In einem modernen Bürogebäude in Vilnius, Tür an Tür mit litauischen Start-ups, baut General Christoph Huber mit Hochdruck die deutsche Panzerbrigade 45 „Litauen“ auf – ab 2027 soll sie die Nato-Ostflanke verteidigen. Nie zuvor stationierte die Bundesrepublik einen solchen Großverband des Heeres, der selbstständig Operationen ausführen kann, im Ausland. Kann der ambitionierte Plan gelingen, angesichts von Personal- und Materialsorgen der Bundeswehr?
WELT AM SONNTAG: Herr General, Sie sind jetzt seit einem Jahr in Vilnius, um den Aufbaustab für die deutsche Brigade in Litauen zu führen. Sind Sie im Plan?
Christoph Huber: Die Aufgabe, mit einem tollen Team die Brigade aufbauen zu dürfen, ist die größte Freude und Ehre meines bisherigen Berufslebens. Das kann ich sagen, weil wir die politischen Vorgaben, die der deutsche und der litauische Verteidigungsminister in der Roadmap vom Dezember 2023 in Vilnius festgelegt haben, bislang eins zu eins in militärisches Handeln umsetzen konnten. Wir sind komplett im Plan. Was die Frauen und Männer bei diesem Mammutprojekt geleistet haben, macht mich stolz – dass wir uns nicht mehr nur mit Aufbauarbeit befassen, sondern vor allem mit militärischem Handwerk ist vor allem der Verdienst meiner Soldatinnen und Soldaten. Ende 2027 werden wir eine in Gänze kriegstüchtige Panzerbrigade 45 „Litauen“ einsatzbereit vor Ort haben.
WAMS: Sie sind also über die Vorarbeit hinaus?
Huber: Es gab und gibt weiterhin viel Aufbauarbeit zu erledigen, viel Administration. Nun geht es darum, zügig in unsere großen Ausbildungs- und Übungseinheiten gehen zu können und abschreckungsfähig zu sein, also das Gefecht der verbundenen Waffen auf Brigadeebene führen zu können, damit Freiheit und Frieden erhalten bleiben. Dafür habe ich mal die Uniform angezogen.
WAMS: Wann wird die Brigade einsatzbereit sein?
Huber: Bis Jahresende werden wir die Führungsfähigkeit für den Brigadestab herstellen. Also letzten Endes mich in die Lage versetzen, das Gefecht der verbundenen Waffen einer schweren mechanisierten Brigade des Heeres führen zu können. Das ist Voraussetzung für den nächsten Schritt: Im Februar 2026 wird die multinationale Battlegroup Litauen der Nato, die derzeit Teil der litauischen Iron-Wolf-Brigade ist, der Panzerbrigade 45 unterstellt. Und es kommen gleichzeitig das Panzergrenadierbataillon 122 aus Oberviechtach in Bayern, der Verband, dessen Kommandeur ich einst war, und das Panzerbataillon 203 aus dem nordrhein-westfälischen Augustdorf unter das Kommando der Brigade. 2026 werden beide Bataillone für zwei große Übungsserien nach Litauen verlegen. Unter der Führung der 10. Panzerdivision und im Zusammenwirken mit unseren Nato-Verbündeten stellen wir Abschreckungsfähigkeit her und können sagen: Hier steht die Nato. Bis hierhin und keinen Schritt weiter.
WAMS: Und nach 2026?
Huber: Das alles ist Voraussetzung für den weiteren Aufwuchs der Brigade bis Ende 2027. Der ganz große Sprung ist dann die dauerhafte Verlegung der Verbände 122 und 203 nach Litauen, mit Kampfpanzern Leopard und Schützenpanzern Puma. Dazu werden weitere Einheiten wie ein Artilleriebataillon mit Panzerhaubitzen 2000 und ein Versorgungsbataillon aufgestellt und fest stationiert in ihrer neuen militärischen Heimat Litauen. Wir haben schon große Mengen Material, etwa Transportpanzer Fuchs und Boxer, auf dem Seeweg über den Hafen Klaipėda hierher verlegt. Ich brauche die verschiedenen Fahrzeuge für Führung, Instandsetzung, Betriebsstoff- und Munitionsversorgung der Kräfte, die schon hier sind, wie meine Stabsunterstützungskompanie, meine Fernmeldekompanie, den Brigadestab oder der Feldjägerkräfte.
WAMS: In der Ukraine sehen wir eine Revolution der Kriegführung – eine fast starre Front, dafür massive Luftangriffe, vor allem mit Drohnen. Sind schwere Verbände wie Ihrer im Drohnenkrieg nicht die ersten Opfer?
Huber: Für uns als Soldaten ist wichtig, so gewappnet zu sein, dass wir einen Krieg in der Zukunft siegreich bestehen können. Nicht den Krieg der Vergangenheit, auch nicht unbedingt den Krieg der Gegenwart, wie wir ihn jetzt in der Ukraine sehen. Wir müssen das antizipieren, was uns erwarten würde bei einer Verteidigung der Nato aufgrund eines russischen Angriffs. Das ist das Entscheidende, was uns umtreibt. Wichtig ist, den richtigen Mix an Fähigkeiten zu haben. Zum einen das, was wir schon haben, unsere gepanzerten schweren Verbände, Grenadiere, Infanterie, vor allem auch unsere Artillerie, um eine Feuerüberlegenheit zu erreichen bei einem möglichen russischen Angriff. Diese Kräfte ermöglichen es uns, ganz klassisch Raum zu verteidigen. Dazu brauchen wir die neuen Fähigkeiten, die so neu gar nicht mehr sind.
WAMS: Also die Lehren aus der Ukraine?
Huber: Ist das Kriegsbild mit massivem Drohneneinsatz, das wir in der Ukraine sehen, eine Revolution oder eine Evolution? Ich denke letzteres. Ganz wichtig ist, wir müssen unsere Überlebens- und Durchhaltefähigkeit gegen feindliche Flugzeuge und vor allem Drohnenschwärme sicherstellen und damit unsere Siegfähigkeit. Hier führt das deutsche Heer Mittel ein, die dies gewährleisten, den Skyranger zum Beispiel, ein mobiles Flugabwehrsystem, das Heeresverbände oder Konvois schützen soll. Nötig ist ein 360-Grad-Schutz gegen Bedrohungen aus der Luft, damit wir als Heeresgroßverband weiter operieren können. Wir unternehmen mit der Nato große Anstrengungen, um das zu erreichen. Das ist der passive Schutz. Wir brauchen aber auch den aktiven Schutz – also Aufklärungsdrohnen in allen Größen. Unsere Aufklärungsreichweiten heute, auch der mir unterstellten Verbände, sind nicht mit denen zu vergleichen, die wir früher hatten. Und wir brauchen Kampfdrohnen, die feindliche Systeme zerstören können, intelligente Drohnen, Loitering Ammunition (auch Kamikazedrohne genannt, kann sie über einem Ziel lauern, bevor sie attackiert, Anm. d. Red.).
WAMS: Vor Kurzem wurden Drohnen in deutschen Debatten noch abgelehnt, und jetzt wollen Sie sogar Kamikaze-Drohnen, die Ziele selbst ausmachen und sich beim Angriff selbst vernichten?
Huber: Wollen wir siegfähig sein? Dann brauchen wir das, was heute militärische Realität ist. Nach abgeschlossener Testphase erhält die Panzerbrigade 45 „Litauen“ mit höchster Priorität diese neuen Fähigkeiten. Um für den Krieg der Zukunft gerüstet zu sein, werden wir auch Veränderungen unserer Strukturen sehen. Die neuen Techniken ziehen neue Strukturen nach sich, in den deutschen Streitkräften wie in der Nato. Die führen wir ein, und zwar schnell, auch hierbei hat unsere Brigade höchste Priorität. Ich schaue sehr positiv auf diese Entwicklung. Wir stellen sicher, dass wir durchsetzungs- und siegfähig sind. Damit leisten wir einen entscheidenden Beitrag zur Abschreckung, weil klar ist: hier steht jemand, der versteht sein Handwerk, der ist Teil der Nato.
WAMS: Sie sagen, Ihre Brigade hat Priorität – aber die Bundeswehr insgesamt hat ernste Probleme bei Personal und Material.
Huber: Die Panzerbrigade 45 „Litauen“ hat höchste Priorität in der Bundeswehr, weil wir mit der höchsten Einsatzbereitschaft stehen werden, direkt an der Nato-Ostflanke. Wir erhalten alles, was wir zur Auftragserfüllung benötigen. Kampfpanzer Leopard 2A8, Schützenpanzer Puma S1, Artilleriesysteme vom Typ Panzerhaubitze 2000, Loitering Ammunition. Wichtig ist aber, das darf nicht auf uns beschränkt sein. Als Teil der 10. Panzerdivision, die zur Verteidigung der Ostflanke vorgesehen ist, brauche ich als Brigadekommandeur auch Fähigkeiten der Division, um das Gefecht erfolgreich führen zu können. Die Bundeswehr kann aber nicht nur eine Brigade gut ausstatten. Wir brauchen das in der Breite im deutschen Heer. Ich bin froh, dass das angegangen wird, damit sich erfüllt, was der Bundeskanzler sagt: die Bundeswehr wieder zur stärksten konventionellen Armee in Europa zu machen.
WAMS: Sie kommen aus der Ära der Auslandseinsätze, waren zweimal in Afghanistan. Und nun kehrt Marsch zurück zur Landesverteidigung – wie geht das?
Huber: Ich bin 1995 zur Bundeswehr gegangen. Das war eine Armee, noch sehr geprägt durch den Kalten Krieg. Die Brigaden hatten, soweit ich das sah als junger Offizier, alles, was sie zur Erfüllung ihres Auftrags brauchten. Aber es begannen schon die Einsätze in Somalia, Bosnien, Kosovo. Meine Einsätze in Kunduz und Masar-i-Scharif in Afghanistan, die Zeit des internationalen Krisenmanagements haben mich und andere Soldaten meiner Generation geprägt. Wir sind aber auch wieder Teil dieser Refokussierung auf Landes- und Bündnisverteidigung geworden. Ich war 2017 der erste Kommandeur der multinationalen Battlegroup der Nato hier in Litauen und erlebte, dass es wieder auf etwas ganz anderes ankommt – nicht auf Gefechte wie in Afghanistan, sondern auf das Gefecht der verbundenen Waffen, auf Operationsführung im großen Stil. Das trainieren wir, und es macht mich stolz, dass jeder in meiner Brigade das voll mitträgt. Um glaubwürdige Abschreckung zu gewährleisten, damit wir das, was wir können, hoffentlich nicht anwenden müssen.
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