• Das Mindestlohngsetz sollte vorgeben, woran sich die Mindestlohn-Kommission bei der Höhe zu orientieren hat.
  • Doch Bundesregierung und Parteien haben das nicht klar geregelt.
  • Deshalb könnte der jetzt festgelegte Mindestlohn nichtig sein.
  • Klagen von Arbeitgebern dagegen sind zu erwarten.

Die Mindestlohn-Kommission hat eine Erhöhung des Mindestlohns am 1. Januar 2026 auf 13,90 Euro empfohlen und die Bundesregierung zugestimmt. 2027 soll er dann weiter auf 14,60 Euro pro Stunde steigen. Im Vorlauf hatte Bundeskanzler Friedrich Merz, die Mindestlohnkommission gestärkt. Die könne die Mindestlohn-Höhe "in eigener Autonomie" festlegen, hatte er erklärt. Das aber sei womöglich nicht zu halten, meint der Arbeitsrechtler Christian Picker, Leiter des Lehrstuhls für bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Tübingen. Im Interview mit MDR AKTUELL erklärt er das.

MDR AKTUELL: Herr Picker, Sie haben einen juristischen Fachaufsatz geschrieben, indem Sie dem Bundeskanzler widersprechen. Sie sagen nämlich, die Empfehlung der Mindestlohn-Kommission sei nichtig. Hat sich Friedrich Merz mit Ihnen schon in Verbindung gesetzt? 

Christian Picker: Nein, das wird er auch nicht. Herr Merz hat, glaube ich, auch noch größere Baustellen zu bewältigen als dieses Thema. Insofern will ich auch gleich vorweg klar betonen, mir geht es überhaupt nicht dagegen, den Mindestlohn kaputt zu machen, sondern mir geht es darum, dass letztlich der parlamentarische Gesetzgeber, der dafür die Verantwortung trägt, seine Hausaufgaben macht und insbesondere eine Ermächtigungsgrundlage, die hinreichend klar und bestimmt ist, für die Mindestlohn-Kommission schafft. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass der Aufsatz solche Wellen schlägt.

Aus der jetzt alle anderen Zeitungen zitieren. Welche Hausaufgaben hat denn der Gesetzgeber nicht gemacht? Also, warum ist die Mindestlohn-Erhöhung, die die Kommission vorsieht, aus Ihrer Sicht so nicht machbar? 

Das Grundproblem ist, dass wir einen Paragraph 9 im Mindestlohngesetz haben. Der ist die Ermächtigungsgrundlage. Der sagt, woran sich die Mindestlohn-Kommission zu orientieren hat, wenn sie den Mindestlohn festsetzt. Und in diesem Paragraphen 9 steht eben nichts von einem 60-Prozent-Bruttomedianlohn, wie er unter anderem auch in der Mindestlohn-Richtlinie als Option – als bloße Option –, aber nicht als verpflichtendes Element vorgesehen ist.

Der Gesetzgeber hat sich aus der Verantwortung gestohlen. Er hat diese Ermächtigungsgrundlage nicht angerührt, obwohl die Mindestlohn-Richtlinie nicht ordnungsgemäß oder überhaupt nicht umgesetzt wurde. Und jetzt ist das große Problem in dem Kreis, den ich angesprochen habe, dass wir eine ganz andere Mindestlohntradition und -funktion haben, als sie jetzt der europäische Gesetzgeber vorsieht. 

Warum erkennen eigentlich nur Sie das, Herr Picker, aber nicht die Politik? Da sitzen ja auch ein paar Experten, die von Experten wiederum beraten werden. 

Das ist mir als Jurist, der ich eine saubere, auch verfassungskonforme Ordnung haben will, unbegreiflich. Es ist aber letztlich den Zwängen der Politik geschuldet. Man konnte sich nie in der Regierung und damit nicht mehrheitlich im Parlament auf eine Änderung verständigen und deshalb hat man das einfach laufen lassen und hat letztlich das der Mindestlohn-Kommission überlassen. Die Mindestlohnkommission, auch das will ich betonen, hat wirklich eine wichtige Funktion, aber sie ist eben ein staatlich beliehenes Organ und darf eben nicht eigenmächtig sich über die Vorgaben des Gesetzes erheben. 

Machen wir es mal ganz konkret, vielleicht in Zahlen, wenn Sie das denn vermögen: Wie könnten denn Arbeitgeber dieses Dilemma, diese Lücke im Gesetz für sich konkret nutzen? Welche Mindestlohnhöhe ist denn gerade momentan die richtige? 

Wenn man meiner Auffassung folgt, ist es so, dass die gegenwärtige, die jetzt beschlossene aktuelle Verordnung, die zum 1.1.2026 in Kraft treten wird, eben nichtig ist. Und damit bleibt es bei der bisherigen Verordnung und damit bleibt es bei einem Mindestlohn von 12,82 Euro.

Das heißt, das Thema Mindestlohn wird aus Ihrer Sicht zeitnah ein Thema für viele Gerichte

Ja, ich bin gewohnt, dass bestimmte Branchen immer klagen, aber es ist in der Tat angespannt im Niedriglohnsektor. Die Zahlen ja auch nicht die niedrigen Löhne aus Spaß. Hier in meiner Region, Großraum Stuttgart, ist der Mindestlohn kein Thema, da werden höhere Löhne gezahlt. Sondern es gibt letztlich gerade wahrscheinlich in Ostdeutschland ein größeres Problem in Gegenden, wo eben Dienstleistungen nur mit niedrigen Löhnen nachgefragt werden. Da wird es ein großes Problem und da wird es die Not sicher verursachen, dass einzelne Arbeitgeber dagegen vorgehen.

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