Der Besucherandrang ist groß an diesem Montagmittag vor dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus im Berliner Regierungsviertel. Zu Dutzenden sind die Vertreter der Initiative „Smarter Start ab 14“ gekommen, um ihren Vorstandsmitgliedern Verena Holler und Tobias Windbrake bei ihrem Auftritt vor dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages beizustehen.
Seit fünf Jahren setzt sich die in Hamburg gegründete Elterninitiative dafür ein, Jugendlichen erst ab 14 Jahren ein Smartphone in die Hand zu geben. Eine Bewegung, die sich geradezu erdrutschartig entwickelt hat. Schon an 1500 Schulen gibt es inzwischen „Smarter-Start-Communitys“: Rund 10.000 Eltern engagieren sich dafür, ihrem Nachwuchs eine möglichst lange analoge Kindheit zu ermöglichen.
Und jetzt will die Initiative noch einen Schritt weitergehen. Analog zum australischen Vorbild, wo im Dezember eine Altersbeschränkung für Social-Media-Angebote in Kraft tritt, setzt sie sich für ein generelles Social-Media-Verbot für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren ein. Mehr als 34.000 Unterschriften haben Holler und ihre Mitstreiter dafür seit Februar gesammelt.
Am Montag sitzt die Juristin und Mutter dreier Kinder im Alter von zehn, 16 und 19 Jahren vor den Abgeordneten des Petitionsausschusses und begründet mit eindringlichen Worten, warum viele Eltern nicht länger bereit seien, ihre Kinder mit dem ungeregelten Zugang zu TikTok, YouTube, Instagram und Co. einem Langzeitexperiment mit ungewissem Ausgang auszusetzen.
Kinder seien auf Social Media täglich schutzlos massiven Risiken ausgeliefert, führt Holler aus – vor Systemen, „deren Geschäftsmodell darauf beruht, Nutzungszeit um jeden Preis zu maximieren“. „Wie schützen wir Kinder vor Plattformen, die ihr Verhalten, ihre Schwächen, ihre Stimmung durchgehend beobachten und analysieren, sie als unzufrieden mit ihrem Körper, traurig wegen Liebeskummer oder anfällig für radikales Gedankengut erkennen, um ihnen dann passgenau das vorzusetzen, für das sie in dem Moment empfänglich sind?“, fragt Holler eindringlich.
Für die eine seien das Inhalte, die Essstörungen fördern; für den anderen Inhalte, die Suizid als Lösung aller Probleme glorifizieren; für den Dritten extremistische Propaganda. Kinder, die entwicklungsbedingt weniger Impulskontrolle und Selbstregulation haben und somit leichter verführbar sind, müssten vor dieser Form der Manipulation und Ausbeutung geschützt werden, sagt die 51-Jährige.
Ein Mindestalter sei kein Allheilmittel, aber der notwendige erste Schritt, sagt Holler. „Solange Social Media Kinder nicht schützt, müssen wir Kinder vor Social Media schützen. Durch Regeln, die verhindern, dass Kinder überhaupt Opfer dieser Systeme werden können.“ Die überwiegende Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung sieht sie dabei auf ihrer Seite. Im jüngsten Ifo-Bildungsbarometer hatten sich 85 Prozent der Befragten Erwachsenen für ein Social-Media-Mindestalter von 16 Jahren ausgesprochen.
Die vermeintliche Alternative, Kinder durch Medienkompetenz zum Selbstschutz zu befähigen, klinge zwar vernünftig, sei es aber nicht, sagt Holler. „Es liegt nicht an mangelnder Aufklärung, wenn Kinder zu lange scrollen, Enthauptungen ansehen, sich bei Gewalttaten oder lebensgefährlichen Challenges filmen. Es ist die logische Folge von Algorithmen, die genau zu diesem Zweck programmiert sind.“ Schon vielen Erwachsenen falle es schwer genug, sich dagegen zu behaupten. „Es von Kindern zu fordern, ist unfair.“
Je mehr Länder sich Australiens Vorbild anschlössen und ein Mindestalter für die Nutzung von Social Media einführten, desto größer werde die Chance, die digitale Kindheitskrise noch in den Griff zu bekommen, schließt Holler eindringlich. „Es geht um viel mehr als um Bildschirmzeit: Es geht um Gesundheit, Entwicklung, Selbstbestimmung und Freiheit der kommenden Generationen.“
Bundesregierung sieht „dringenden Handlungsbedarf“
Mareike Lotte Wulff (CDU), parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, zeigt sich gegenüber dem Anliegen der Petenten aufgeschlossen. Auch die Bundesregierung sehe beim Zugang von Kindern und Jugendlichen zu Social-Media-Plattformen „dringenden Handlungsbedarf“, sagt Wolff. Familienministerin Karin Prien (CDU) stehe dem Thema Altersregulierung „positiv gegenüber“.
Daher habe man schon im September eine Expertenkommission zum Kinder- und Jugendschutz in der digitalen Welt einberufen, die bis zum kommenden Herbst Vorschläge vorlegen soll, wie Jugendschutz gewährleistet werden könne, ohne die digitalen Teilhabebedürfnisse zu beschneiden.
Hoffnungen setzt Wulff dabei vor allem auf die europäische Regulierung über den Digital Services Act (DSA) und neue Verfahren zur Altersverifizierung über die sogenannte EU Digital Identity Wallet (EUDI), das ab Ende kommenden Jahres zur Verfügung stehen soll.
Wichtig sei es vor allem, dass Kinder durch die Altersverifikation vor den „toxischen superpersonalisierten Feeds“ der Anbieter geschützt würden, sagt Holler. „Derzeit gilt: je mehr Nutzungszeit, desto mehr Gewinn. Das muss entkoppelt werden.“ Ihr Vorstandskollege Tobias Windbrake fordert, dass es für die Plattformanbieter einen wirtschaftlichen Anreiz geben müsste, sichere und jugendschutzkonforme Angebote zu entwickeln.
Bei den Abgeordneten jedenfalls ist quer durch alle Parteien viel Sympathie für das Anliegen der Elterninitiative zu spüren. „Der große Zuschauer-Zuspruch zeigt, dass wir uns hier nicht im luftleeren Raum bewegen“, sagt der SPD-Abgeordnete Ruppert Stüwe.
Auch die Unternehmerin Verena Pausder, Gründerin und Vorsitzende des Vereins „Digitale Bildung für Alle“, ist zur Unterstützung gekommen. „Kinder zu befähigen, mit digitalen Medien umzugehen und den digitalen Konsum zu beschränken schließt sich nicht aus“, sagt Pausder. „Wir müssen Kinder befähigen, digitale Medien zu verstehen und kreativ zu gestalten, statt sie zu konsumieren und in sozialen Netzwerken manipuliert zu werden.“
Als Verena Holler nach der Anhörung das Parlamentsgebäude verlässt, brandet bei ihren Unterstützern Applaus auf. „Das Feedback der Abgeordneten war sehr positiv. Sie fanden es wertvoll, die Eltern-Perspektive gespiegelt zu bekommen“, erzählt sie aus den Gesprächen mit den Politikern. „Wir Eltern kämpfen einen höchst unfairen Kampf gegen die Plattformbetreiber.“ Angesichts der schwerwiegenden Risiken für Gesundheit und Leben der Kinder müsse jetzt schnell gehandelt werden, sagt Holler noch. „Mein Eindruck ist: Es geht jetzt nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie.“
Sabine Menkens berichtet über gesellschafts-, bildungs- und familienpolitische Themen.
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