Auf dem Platz vor dem Weißen Haus hatte sich am Montagmittag die syrische Exilgemeinde versammelt. Sie sangen, tanzten und feierten den Mann, der als erster Präsident ihres Landes seit der Unabhängigkeit vor 80 Jahren offiziell im Oval Office empfangen wurde.
„Die Leute hier sehen Ahmed al-Scharaa als jemanden, der aus ihren Reihen hervorgegangen ist. Er repräsentiert die Ambitionen und Träume der Syrer. Und er ist der Beste, um diese zu verwirklichen, und seine derzeitige Regierung leistet bisher großartige Arbeit“, sagte Omar Alboga, der aus Damaskus stammt.
Anders als bei gewöhnlichen Staatsbesuchen wartete der Gastgeber jedoch nicht an der Tür des West Wings zur Begrüßung. Stattdessen stahl sich al-Scharaa um 11.37 Uhr (Ortszeit) durch eine Seitentür ins Weiße Haus. Und zum ersten Mal seit Trumps Amtsantritt im Januar war keine Presse erlaubt, um über den Besuch eines Staats- oder Regierungschefs aus nächster Nähe zu berichten.
„Das Weiße Haus hält es vermutlich für keine gute Optik, einen Besucher zu begrüßen, der erst vor wenigen Tagen von der Terrorliste gestrichen wurde und Al-Qaida-Mitglied war“, erklärt Ahmad Scharawi, Nahostexperte der Foundation for Defense of Democracies. Al-Scharaa habe im Gegenzug „harte Fragen der Medien nach seiner Vergangenheit mit al-Qaida vermeiden wollen“.
Fotos wollte Syriens Machthaber dann doch öffentlich machen. Sein Team setzte nach dem Treffen Bilder aus dem Oval Office auf seine Plattformen, die al-Scharaa mit Trump im Oval Office sowie neben Vizepräsident J.D. Vance sitzend zeigen.
Nach al-Scharaas Abfahrt lobt Trump den Gast am Nachmittag. „Er kommt von einem sehr harten Ort und er ist ein harter Typ“, sagte der US-Präsident. Er wolle, dass Syrien „sehr erfolgreich“ werde. Al-Scharaa könne „das schaffen, ich glaube das wirklich“, fügte Trump hinzu.
Der Republikaner hatte Ende Juni die Sanktionen gegen Syrien aufgehoben, was nicht nur im Ausland, sondern auch in den USA und sogar von den Demokraten begrüßt worden war. Damit soll dem durch mehr als ein Jahrzehnt blutigen Bürgerkrieg zerstörten Land die Chance auf Wiederaufbau gegeben werden.
Beitritt zur Anti-IS-Koalition
Trumps Pläne gehen jedoch weit über den Wiederaufbau hinaus. Syrien ist für den US-Präsidenten ein wichtiges Element, um den Nahen und Mittleren Osten zu befrieden. Weshalb al-Scharaa am Montag auf Drängen Trumps der internationalen Anti-IS-Koalition beitrat, die die USA 2014 im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) gegründet hatten. Syriens Regierung betonte aber, dass der Beitritt „keine militärische Komponente“ enthalte.
Der US-Präsident will zudem eine Annäherung zwischen den Erzfeinden Syrien und Israel erzielen – im Idealfall sogar Damaskus‘ Beitritt zu den Abraham-Abkommen, mit denen der Republikaner seit 2020 eine Normalisierung zwischen Israel und den arabischen Staaten voranzubringen versucht.
Al-Scharaa schloss direkte Gespräche zur Normalisierung der Beziehungen mit dem Nachbarland Israel allerdings vorerst aus. Angesprochen auf Trumps Wunsch über den Beitritt zu den Abraham-Abkommen, wies al-Scharaa nach dem Treffen auf Israels andauernde Besetzung der Golanhöhen hin. Im Gespräch mit dem US-Fernsehsender Fox News sagte er, die Bedingungen für Damaskus seien daher andere als für jene Staaten, die sich den Abkommen bereits angeschlossen hätten. „Syrien hat eine Grenze zu Israel, und Israel besetzt seit 1967 die Golanhöhen. Wir werden derzeit keine direkten Verhandlungen aufnehmen“, sagte al-Scharaa laut Übersetzung des Senders. „Vielleicht kann die US-Regierung unter Präsident Trump uns dabei helfen, eine solche Verhandlung zu erreichen.“
Nahostexperte Scharawi erwartet, dass es absehbar ein Sicherheitsabkommen zwischen Syrien und Israel gebe, mit einsaer entmilitarisierten Zone in einem Teil des Südens von Syrien. „Die israelische Regierung wird zudem auf dem Schutz der Drusen bestehen, die sie von jeher unterstützen.“ Eine vollständige Normalisierung sei jedoch trotz des erwartbaren Drucks durch Trump momentan „unrealistisch“.
Ein konkretes Ergebnis nahm al-Scharaa mit nach Hause. Das für Sanktionen zuständige US-Finanzministerium verlängerte die Pausierung der Strafmaßnahmen um weitere 180 Tage. Ganz aussetzen aber kann Trump diese nicht, das obliegt dem US-Kongress.
Doch dort gibt es Widerstand, unter anderem vom Chef des Auswärtigen Ausschusses im Repräsentantenhaus, Brian Mast. Mast ist ein US-Militärveteran, der beim Einsatz in Afghanistan durch die Explosion einer versteckten Sprengfalle beide Beine verlor. „Meine Bedenken in Hinsicht auf Syrien sollten für jeden offensichtlich sein, der die Lage in Syrien verfolgt“, so Mast.
Und Laura Loomer, einflussreiche MAGA-Kommentatorin, schrieb zu al-Scharaas Besuch, dieser sei „der neue IS-Präsident Syriens, ein islamistischer Terrorist, der bis Mai 2025 von der US-Regierung mit einer Belohnung von 10 Millionen Dollar gesucht wurde“ und den Mord an „religiösen Minderheiten, darunter Drusen, Christen und Alawiten“ dulde. „Solange ein IS-Terrorist das Sagen hat, wird es niemals Frieden in Syrien geben.“
Stefanie Bolzen berichtet für WELT seit 2023 als US-Korrespondentin aus Washington, D.C. Zuvor war sie Korrespondentin in London und Brüssel.
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