Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat einen offensiveren Kurs im Kampf gegen Cyber-Attacken und Angriffe auf deutsche Infrastruktur angekündigt. Dafür bekommt er aus der schwarz-roten Koalition Unterstützung.
Am Dienstag sagte Dobrindt auf dem WELT-Sicherheitsgipfel: „Im Moment leiten wir Cyber-Angriffe nur um und wehren diese damit ab. Das reicht aus meiner Sicht nicht mehr aus. Deswegen werden wir die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, zukünftig gezielt die Gegenwehr gegen den Aggressor zu ermöglichen. Auch wenn seine Infrastruktur, Server und Software sich im Ausland befindet, werden wir sie stören und zerstören können.“
Günter Krings (CDU), stellvertretender Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion, sagte WELT dazu: „Bundesinnenminister Dobrindt hat völlig recht: Der Staat braucht die Fähigkeit zur aktiven Gegenwehr, wenn unsere kritische Infrastruktur oder Unternehmen angegriffen werden.“ Entscheidend sei dabei, dass solche Maßnahmen rechtlich klar geregelt, parlamentarisch kontrolliert und völkerrechtskonform seien. „Deutschland darf kein wehrloses Ziel für feindliche Akteure bleiben.“
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Fiedler, verwies darauf, dass Schwarz-Rot im Koalitionsvertrag beschlossen habe, „unsere Fähigkeiten zur aktiven Cyberabwehr im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen auszubauen. Vor diesem Hintergrund sind die Äußerungen des Bundesinnenministers zu verstehen.“ Man werde bald gesetzliche Möglichkeiten schaffen.
Deutschland ist zunehmend Ziel von Spionage und Sabotage, auch staatliche Akteure wie Russland mischen in dieser hybriden Auseinandersetzung mit. Zuletzt häuften sich europaweit Drohnensichtungen, etwa auch über deutschen Marinehäfen, Rüstungsanlagen oder anderen kritischen Infrastrukturen. Das Land befinde sich in „einem Stresstest – ob der Staat den äußeren Bedrohungen standhalten kann“, sagte Dobrindt auf dem WELT-Sicherheitsgipfel, einem Zusammentreffen von hochrangigen Vertretern aus Politik sowie der Rüstungs- und Sicherheitsbranche. „Ausländische Mächte versuchen zunehmend, das Land mit neuen Technologien zu destabilisieren.“
Auch zur Herkunft der Drohnen über kritischen Infrastrukturen des Landes machte der Bundesinnenminister konkrete Angaben: „Wir haben Hinweise darauf, dass die Drohnensichtungen zum Teil von der russischen Schattenflotte ausgehen.“
Dobrindts Haus plant, die Drohnenabwehr in Krisenlagen per Amtshilfe an das Verteidigungsministerium zu übertragen. Würde eine Drohne zur akuten Bedrohung für kritische Infrastruktur oder Menschen, soll künftig die Bundeswehr für das Aufspüren, Abwehren, Abfangen und Abschießen zuständig sein. Eine diesbezügliche Änderung des Luftsicherheitsgesetzes steht noch aus.
Ein nationales Drohnenabwehrzentrum soll künftig ebenfalls die Kompetenzen von Bundespolizei, Bundeskriminalamt und den Polizeibehörden der Länder im Kampf gegen Drohnen bündeln. Dobrindt nannte auf dem Gipfel „Mitte Dezember“ als konkreten Zeitpunkt für die Einrichtung eines solchen Zentrums.
„Bislang kaum um das Thema gekümmert“, rügen die Grünen
Die Opposition im Bundestag bewertet Dobrindts Pläne und seine neue Rhetorik kritisch. „Die Aussagen des Innenministers haben uns durchaus gewundert. Denn Alexander Dobrindt hat sich trotz zahlreicher Aufforderungen bisher kaum um das Thema hybride Bedrohungen gekümmert“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz. Der Innenminister habe sich beinahe ausschließlich mit der vermeintlichen „Migrationswende“ beschäftigt. „Von einem kohärenten, den großen Herausforderungen angemessenen Vorgehen sind wir weit entfernt“, sagte von Notz, der stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist, das sich mit der Geheimdienstarbeit beschäftigt.
Der Grünen-Politiker forderte „mehr als reine Ankündigungen“, sagte aber auch: Wenn der Innenminister nun eine Regelung vorlege, „die hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, und einen gangbaren Vorschlag macht, wie die Gefahrenabwehr auch in diesem Bereich effektiviert werden kann, schauen wir uns diesen gerne an“.
Die innenpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion, Clara Bünger, verwies auf hohe rechtliche Hürden für eine offensive Cyberabwehr. „Die Ankündigung, ‚Gegenwehr im Cyberraum‘ zu ermöglichen, ist verfassungs- und völkerrechtlich hochproblematisch. Der Bund kann ohne Grundgesetz-Änderung keine eigenen Abwehrbefugnisse schaffen, und digitale Gegenschläge gegen Server im Ausland würden die Souveränität anderer Staaten verletzen.“
Statt neuer Eingriffsbefugnisse für Sicherheitsbehörden zu schaffen, sollte die Bundesregierung auf Prävention, Resilienz und europäische Kooperation setzen, forderte Bünger: „Eine abgestimmte europäische Cyberabwehr-Strategie wäre sicherheitspolitisch weit sinnvoller als nationale Alleingänge auf wackliger Rechtsgrundlage.“
Die AfD-Fraktion äußerte sich nicht zu einer WELT-Anfrage zum Thema.
Zuletzt zeigte sich bei der Vorstellung des Jahresberichts des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), wie sehr Deutschland im Fokus von Cyberangriffen steht. Viele digitale Systeme, Server und Online-Dienste sind laut Analyse des BSI weiterhin unzureichend geschützt – was es Angreifern ermöglicht, in Netzwerke einzudringen oder Daten zu stehlen. Zwischen Juli 2024 und Juni 2025 stieg die Zahl der täglich neu entdeckten Schwachstellen um 24 Prozent.
Korrespondent Philipp Woldin kümmert sich bei WELT vor allem um Themen der inneren Sicherheit und berichtet aus den Gerichtssälen der Republik. Im September ist im Verlag C.H. Beck sein Buch „Neue Deutsche Gewalt. Wie unsicher unser Land wirklich ist“ erschienen, das er gemeinsam mit WELT-Investigativreporter Alexander Dinger geschrieben hat.
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