Am Freitagabend ist die im Januar gestorbene WELT-Reporterin Christine Kensche bei Feierlichkeiten im Römer in Frankfurt am Main mit dem renommierten Werner Holzer Preis für Auslandsjournalismus ausgezeichnet worden. Lesen Sie hier die Laudatio der ehemaligen WELT-Chefredakteurin Jennifer Wilton:

Ich muss die Augen nicht schließen, um Ihre Stimme zu hören.

Ich muss die Augen nicht schließen, um Christine Kensches Stimme zu hören, denn wer ihr begegnet ist, vergisst diese Stimme nicht. Auch, weil sie ein bisschen besonders war.

Vor allem aber, weil sie immer erfüllt war von etwas: Bewegt, engagiert, aufgebracht, dringlich. Drängend.

Christine Kensche hatte Anliegen, im besten Sinne des Wortes. Gerade als Journalistin. Da war eine unwahrscheinliche Hartnäckigkeit in der Recherche, in dem in die Tiefe gehen Wollen. Deswegen war sie diejenige, die alleine exklusiv aufdeckte, wie die Finanzströme der Terrororganisation Hamas verliefen, eine ihrer letzten, aufsehenerregenden Recherchen.

Deswegen war sie oft die Erste, die an Orte kam und berichtete, wie nach dem 7. Oktober, in Kibbuzen. War sie die, die Jahre zuvor bei einem der berüchtigsten Clanbosse in Berlin im Garten saß, und sich nicht im Ansatz einschüchtern ließ. Die, die später einen Aussteiger eines solchen Clans lange begleitete – für eine Reportage, die dann ein Buch wurde.

Da war immer Empathie, die Christine Kensche leitete, ihr aber nicht im Weg stand, in der Analyse des Gesehenen und Erlebten, in dem Vermögen, alle Seiten zu sehen und darzustellen.

Das machte sie zu einer hervorragenden Journalistin. Und es machte sie zu einer Ausnahmeerscheinung als Reporterin im Nahost-Konflikt, eines Konfliktes, bei dem die Neigung zum Schwarz-Weißen gerade in den vergangenen Monaten beängstigende Ausmaße angenommen hat.

Die Unbedingtheit und Leidenschaft, die Präzision und Hartnäckigkeit, die hatte sie schon als Volontärin; schon damals ging sie überall hin und überall rein. 2020 wurde sie Korrespondentin der WELT in Israel. Und sie war eine 24-Stunden-Korrespondentin.

Es gab Tage, da kam nicht nur ein Text von ihr. Und während wir ihn noch in Masken und Layouts einpassten, schauen wir hoch und sahen auf den Bildschirmen im Newsroom, wie sie gerade wieder auf ihrem Balkon in Tel Aviv, in Jaffa, das Mikro in die Hand genommen hatte und zum dritten Mal an diesem Tag live in die Kamera sprach.

Ich erinnere mich an eine legendäre Zeitungsproduktion, in der sie Schluss- und Chefredaktion wenige Minuten vor Redaktionsschluss fast in den Wahnsinn trieb, weil ein kleines Detail in einer vier Seiten langen Strecke womöglich nicht exakt so stimmte. Es war kein kleines Detail, wenn es nicht exakt so stimmte. Das war ihre Argumentation. Und sie hatte recht. Und sie gab nicht auf, wenn sie recht hatte. Die Druckmaschinen mussten warten.

So war Christine.

Ihre Stimme wird immer fehlen.

Der Werner Holzer Preis, benannt nach dem langjährigen Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“, würdigt herausragenden Auslandsjournalismus. In diesem Jahr erhielt Juliane Schäuble („Die Zeit“) den ersten Preis, Susanne Koelbl („Spiegel“) und Katharina Willinger (ARD) gemeinsam den zweiten Preis. Festredner war der Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius. Der Preis wird gestiftet von der Familie Holzer und dem Werner Holzer Institut.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.