Aller guten Dinge seien Drei, ruft José Antonio Kast (59) den rund 10.000 begeistern Anhängern in der Movistar Arena in Santiago de Chile zu. Dort, wo normalerweise laute Rockkonzerte die Chilenen begeistern, greift der rechte Hardliner nach der Macht. In der riesigen Halle herrscht die Stimmung wie auf einem Parteitag der Republikaner in den USA.
Und genau das ist auch so gewollt: Kast hat seine chilenischen „Republicanos“ in den letzten zehn Jahren nach dem Trump-Modell Stück für Stück aufgebaut. „Die Kraft des Wandels“ steht auf den tausenden Fahnen in den drei chilenischen Landesfarben weiß, blau und rot. Es ist der dritte Anlauf des Sohnes eines nach Chile ausgewanderten deutschen Wehrmachtsoffiziers – und es dürfte der aussichtsreichste sein.
Denn Kast ist der personifizierte Gegenentwurf zum glücklosen sozialistischen Präsidenten Gabriel Boric (39), der wegen einer Amtszeitbegrenzung nicht mehr wieder gewählt werden darf. Die Zustimmungswerte für den ehemaligen Studentenführer, den eine Welle von linken Sozialprotesten 2022 im Alter von 36 Jahren ins Amt spülte, sind ohnehin katastrophal.
Für Boric kam das Amt einige Jahre zu früh. Nun sehnt sich angesichts wachsender Alltagskriminalität offenbar eine Mehrheit der Chilenen nach einem rechten Hardliner mit grauen Haaren und der Attitüde eines Law-and-Order-Sheriffs, der wieder für Ordnung im Stadtbild sorgt. Kast ist streng katholisch, neunfacher Familienvater, erzkonservativ.
An diesem Sonntag steht nun die mit Spannung erwartete erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Chile an. Nach dem historischen Richtungswechsel in Bolivien, wo vor wenigen Wochen erstmals seit 20 Jahren der Christdemokrat Rodrigo Paz die Dominanz der Sozialisten brach, deutet sich auch in Chile ein radikaler Politikwechsel an. Umfragen sagen voraus, dass einer der drei rechten Kandidaten spätestens aus einer ziemlich sicher notwendigen Stichwahl am 14. Dezember als Präsident hervorgehen wird.
Nachdem bei den Parlamentswahlen in Argentinien die libertäre Bewegung von Javier Milei gestärkt wurde, dürfte dann im neuen Jahr das gesamte sogenannte Lithium-Dreieck Argentinien, Bolivien, Chile von libertär-konservativen Regierungen bestimmt werden. Die Zeit der linken Dominanz über einen der wichtigsten Rohstoffe der Zukunft, die vor allem für die Akkus einer E-Mobilitäts-Verkehrswende gebraucht wird, wäre dann vorbei.
Vor allem für die USA ergeben sich damit ganz neue Perspektiven: „Die beeindruckende und weitverbreitete positive Einstellung gegenüber den Vereinigten Staaten in der Region, die möglicherweise sogar noch größer ist als während der ersten Amtszeit von Trump, eröffnet Washington wichtige strategische Chancen in regionalen multilateralen Organisationen sowie in den Bereichen Wirtschaft, Sicherheit und anderen Bereichen“, sagt Dr. Evan Ellis, Forschungsprofessor für Lateinamerikastudien am US Army War College, im Gespräch mit WELT.
Aus dem Feld der Kandidaten stechen vier Namen heraus, die sich Hoffnung machen dürfen, Nachfolger von Boric zu werden: Die Kommunistin Jeanette Jara (51) geht für das linksgerichtete Regierungslager ins Rennen und führt die Umfragen mit rund 30 Prozent an. Allerdings dürfte sie bei einer Stichwahl gegen alle drei rechtsgerichteten Herausforderer verlieren.
Kast gilt als aussichtsreichster Kandidat der rechten „Republicanos“. Christdemokratin Evelyn Mathei (72) steht für das moderate Mitte-Rechts-Lager. Vor allem in den sozialen Netzwerken unterwegs ist der libertäre Johannes Kaiser (49), der eine knallharte Migrations- und Abschiebepolitik verspricht. Ihm wird ein Überraschungserfolg zugetraut.
Keine Stimme für den Onkel
„Wir werden sehen, dass die drei Oppositionskandidaten gegen die Regierung Boric deutlich mehr Stimmen erhalten werden als die Linke. Die chilenische Bevölkerung lehnt die Idee einer extremistischen Linken ab“, sagt der chilenische Senator Felipe Kast. Er wirft der Kommunistin Jara vor, die Politik von Boric fortsetzen zu wollen. WELT erreicht den Neffen von José Antonio Kast in seinem Auto auf dem Weg zu einer Wahlkampfveranstaltung.
Er selbst kämpft um Stimmen für die liberale Bewegung „Evopoli“. Unter den anderen Kandidaten unterstützt allerdings nicht seinen Onkel, sondern Evelyn Matthei: „Sie vertritt die liberalen Werte am besten, die es ermöglichen würden, die kommunistische Kandidatin in der Stichwahl komfortabel zu schlagen.“ Unabhängig davon, wer die Wahl gewinne, „werde Chile alle seine internationalen Verpflichtungen erfüllen“, sagt Felipe Kast. Alle drei Oppositionskandidaten würden den institutionellen Rahmen respektieren.
Das linke Regierungslager wirft den Kandidaten Mathei, Kast und Kaiser vor, die Zeit der rechtsextremen Diktatur (1973 bis 1990) zu verharmlosen. Unter General Augusto Pinochet wurden damals unter Mithilfe des amerikanischen Geheimdienstes CIA rund 2000 Menschen ermordet und zehntausende Menschen gefoltert. 1000 Menschen gelten als vermisst. Ein älterer Bruder von José Antonio Kast war während dieser dunklen Epoche Minister unter Pinochet.
Der libertäre Kandidat Kaiser argumentiert, Pinochet habe verhindert, dass Chile zu einer linksextremen Diktatur wie Venezuela oder Kuba geworden sei. Allerdings sei Pinochet auch selbst ein Diktator gewesen, der schwere Menschenrechtsverletzungen zu verantworten habe.
Kommunistin Jeanette Jara muss sich den gleichen Vorwurf aus dem rechten Lager anhören. Sie hatte in den letzten Jahren trotz Berichten über Folter und schwere Menschenrechtsverletzungen auf Kuba die Auffassung vertreten, das kubanische Ein-Parteien-Regime sei „eine andere Art von Demokratie“. Erst während des Wahlkampfes begann sie sich von ihren früheren diktaturfreundlichen Aussagen zu distanzieren.
Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.
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