Am heutigen Dienstag bekommt die langwierige Affäre um die Verbrechen des Sexualstraftäters Jeffrey Epstein ein weiteres Kapitel. Im US-Repräsentantenhaus wird eine Abstimmung zur Freigabe aller Akten erwartet. Mit einer breiten Zustimmung zu dem Gesetz ist zu rechnen – besonders, nachdem US-Präsident Donald Trump am Sonntag eine plötzliche Kehrtwende vollzogen und den Republikanern im US-Kongress beim anstehenden Votum auf einmal die Zustimmung empfohlen hatte. „Die Republikaner im Repräsentantenhaus sollten dafür stimmen, die Epstein-Akten freizugeben, denn wir haben nichts zu verbergen“, erklärte der US-Präsident auf seiner Plattform „Truth Social“.
Was als Eilmeldung die Spätnachrichten füllte, geht weit über die vielen offenen Fragen zu den Verbrechen des verurteilten Sexualstraftäters Jeffrey Epstein hinaus, der 2019 in einer Zelle in einem New Yorker Gefängnis Selbstmord beging. Denn der Streit um eine transparente Aufarbeitung der Vorwürfe gegen jenen Mann, der zu seinem Bekanntenkreis in Manhattan und West Palm Beach Amerikas Prominenten-A-Liste zählte, ist nur einer der Grabenkämpfe innerhalb der MAGA-Bewegung.
Neben der Konfrontation zwischen Trump und ehemals treu ergebenen Anhängern im Hinblick auf den Umgang mit der Epstein-Affäre geht es um mindestens drei andere Konflikte: Die Vergabe von H1-B-Visa an ausländische Fachkräfte, die vor allem Techfirmen nutzen. Den Umgang mit Israel und antisemitischen Ausfällen des ultrarechten MAGA-Flügels. Und Trumps „America First“-Außenpolitik, aktuell in Form der massiven Militärmanöver vor Venezuelas Küste.
Dass mächtige MAGA-Vertreter den Präsidenten zunehmend auflaufen lassen oder sogar herausfordern, illustriert nicht nur die Friktionen in einer ideologisch sehr breiten, bis ins rechtsradikale Extrem reichenden Bewegung. Es offenbart auch, dass Trump in seiner zweiten Amtszeit mit fortschreitender Zeit unvermeidlich an Macht verliert und sich seine Anhänger für die Zukunft positionieren.
Streit über die Epstein-Akten
Mit Erstaunen verfolgt das politische Washington seit dem Wochenende die Wandlung der Republikanerin Marjorie Taylor Greene. Greene galt lange Jahre als „Poster-Girl“ von MAGA. Laut, provokativ, offen nationalistisch, forderte die Abgeordnete aus Georgia jahrelang unbedingte Trump-Loyalität ein. Vor ihrer Wahl 2020 in den Kongress hatte sie auf ultrarechten Social-Media-Kanälen sogar verklausuliert Optionen für eine Hinrichtung der Demokraten Barack Obama, Nancy Pelosi und Hillary Clinton debattiert.
Im Interview mit dem den Demokraten nahestehenden Sender CNN am Sonntag gab sie sich geläutert. „Ich möchte mich demütig dafür entschuldigen, dass ich mich an dieser toxischen Politik beteiligt habe; das ist sehr schlecht für unser Land“, sagte Greene. „Das ist etwas, worüber ich viel nachgedacht habe, insbesondere seit Charlie Kirk ermordet wurde.“
Zuvor hatte Trump Greene als „Verräterin“ bezeichnet, worauf die Abgeordnete erklärte, ihr Leib und Leben seien bedroht. „Das Verletzendste, was (Trump) gesagt hat und was absolut nicht wahr ist, ist, dass er mich als Verräterin bezeichnet hat, und das ist so extrem falsch“, sagte Greene. „Das sind genau die Worte, die Menschen gegen mich aufbringen und mein Leben in Gefahr bringen können.“
Greene steht stellvertretend für eine Gruppe von Republikanern im US-Kongress, die schon seit geraumer Zeit gegen Trumps Willen die Öffnung aller Epstein-Akten fordern. Zum Wochenanfang veröffentlichten mutmaßliche Opfer des toten Financiers ein weiteres Video, in dem sie forderten, „endlich Licht in die Dunkelheit zu bringen“. Fünf US-Administrationen hätten nichts getan, um die Vergehen an „mehr als tausend Mädchen“ umfassend aufzuklären.
Trump aber wollte das Thema bis zuletzt nicht anfassen. Er bestellte Ende vergangener Woche Greenes Parteifreundin, Lauren Boebert, sogar zu einem Gespräch in den „Situation Room“ des Weißen Hauses. Boebert hatte ebenfalls angekündigt, dass sie für die Offenlegung stimmen werde. Dass Trump nun einlenkte, zeigt: Der US-Präsident wusste, dass er diesen Kampf mit MAGA nicht gewinnen würde.
Kontroversen über Antisemitismus
Trump legt aber nicht nur eine viel beachtete Kehrtwende im Hinblick auf die Epstein-Akten hin. Aufsehen erregt auch sein jüngster Kommentar über den rechten Talkshow-Host Tucker Carlson. Carlson hatte für heftige Kontroversen im MAGA-Lager gesorgt, weil er den für neonazistische und antisemitische Kommentare berüchtigten Aktivisten Nick Fuentes Ende Oktober ein zweistündiges Interview geben ließ.
Fuentes sprach darin unter anderem von der „großen Herausforderung durch das organisierte Judentum in Amerika“ und davon, dass „das gesamte politische System darauf basiert, dass Frauen niemals für ihre Entscheidungen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Der Rechtsradikale verkündete zudem, dass „weiße Menschen hier als Amerikaner ein besonderes Erbe haben“.
Carlson gab sich keine Mühe, den Gast wegen seiner rassistischen und frauenfeindlichen Parolen zu konfrontieren. Stattdessen bot er Fuentes eine Plattform mit vielen Millionen US-Zuschauern. Trump schaltete sich erst fast vier Wochen später ein. „Man kann (Tucker Carlson) nicht vorschreiben, wen er interviewen darf“, so der Präsident und segnete damit ab, dass Fuentes ein so großes Publikum bekommt. Im selben Atemzug behauptete Trump, „kaum etwas“ über Fuentes zu wissen. In Wahrheit traf Trump den Rechtsradikalen im November 2022 zum Abendessen in seinem Mar-a-Lago-Club in Florida.
Der Vorfall illustriert zum einen die wachsende Kluft innerhalb von MAGA beim Thema Israel und Gaza. Die Kritik an Trump wächst, weil dieser nach Ansicht einiger Republikaner Israels Vorgehen in Gaza weder politische noch finanzielle Grenzen setzt, statt sich auf das Problem der hohen Lebenshaltungskosten in den USA zu konzentrieren. Gleichzeitig dürfen Rassisten und Antisemiten wie Fuentes immer größeren Einfluss in der MAGA-Welt ausüben, was die große Pro-Israel-Fraktion innerhalb der Bewegung aufbringt.
Ted Cruz, generell Trump-Loyalist und Senator aus Texas, besetzt das Thema bereits für den eigenen Wahlkampf. „Wenn Stimmen innerhalb unserer eigenen Bewegung gefährliche und fehlgeleitete Ideen vertreten, dürfen wir nicht wegsehen“, stellte sich Cruz dieser Tage erneut auf die Seite Israels. Cruz soll laut Medienberichten eine Kandidatur für 2028 erwägen.
Visa-Frage spaltet MAGA
Mitte September ordnete Trump in einer Hauruckaktion an, dass die 85.000 jährlich ausgegebenen „H1B“-Visa für Fachkräfte ab sofort 100.000 US-Dollar kosten. Ein Schock vor allem für die Tech-Industrie, die weltweit die besten Experten anheuert. Damit erfüllt der Präsident eine der wichtigsten Forderungen der MAGA-Basis: dass gut bezahlte Jobs an US-Bürger gehen.
Das ist eines der Lieblingsthemen von Vizepräsident J.D. Vance: Statt ausländische Arbeitskräfte zu holen, sollte sich die Regierung auf die „Unterstützung heimischer Fachkräfte konzentrieren“, sagte Vance am Wochenende dem Sender „Fox News“. Höhere Löhne für heimische Arbeiter seien gut für Amerika, betonte der MAGA-Liebling.
Trump hingegen lässt immer wieder durchscheinen, dass er das Fachkräfte-Visaprogramm befürwortet. Die USA „müssen ausländisches Talent ins Land bringen“, sagte der US-Präsident jüngst. Ein Spaltpilz für MAGA, in dem neben orthodoxen „America First“-Fans auch schwerreiche Tech-Investoren ihren Platz haben.
„America First“ statt Auslandseinsätze
Seit Sonntag liegt der Flugzeugträger USS Gerald R. Ford vor der Küste Venezuelas, 5000 Soldaten und Dutzende Kampfflugzeuge sind an Bord. Acht US-Kriegsschiffe waren bereits vorher in der Region. Am Montag schloss Trump erneut Militärschläge gegen das Regime von Nicolás Maduro nicht aus.
Zugleich verbringt Trump viel Zeit mit ausländischen Gästen. Vergangene Woche empfing er Syriens Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa, diese Woche den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Trump trifft den russischen Präsidenten Wladimir Putin und das ukrainische Staatsoberhaupt Wolodymyr Selenskyj, er reist zu Nato-Treffen und nach Asien.
Das löst Proteste innerhalb der MAGA-Bewegung aus, die angesichts der trotz Trumps Wahlversprechen nicht sinkenden Preise protestiert. „Es ist jetzt an der Zeit, den Druck der Agenda von Präsident Trump zu verdoppeln und zu verdreifachen“, sagte sein Ex-Berater Steve Bannon nach den von den Demokraten klar gewonnenen Wahlen am 5. November. Der Präsident müsse sich auf die hohen Lebenshaltungskosten fokussieren, so Bannon.
„Ich würde mir wirklich wünschen, dass im Weißen Haus ununterbrochen Treffen zur Innenpolitik stattfinden und nicht zur Außenpolitik und mit Staatschefs anderer Länder“, beschwerte sich auch die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene vor wenigen Tagen.
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