Nach den falschen Terrorwarnungen gegen Berliner Schulen ermittelt der Verfassungsschutz. Die Behörden würden prüfen, ob es sich um gezielte Desinformation russischer Dienste handelt, berichtete der „Tagesspiegel“. Die Warnungen vor einem Anschlag waren laut Polizei über Telegram in russischer Sprache verbreitet worden. Sollte das Ziel gewesen sein, Panik zu verbreiten, ist es gelungen: Elternchats liefen Sturm, beim Notruf der Polizei gingen hunderte Anrufe ein.

Der Vorfall in Berlin ist weder der erste noch der einzige seiner Art in Europa. Unabhängig davon, ob es sich im konkreten Berliner Fall tatsächlich um einen gezielten hybriden Angriff handelt, wie ihn nun die Ermittler prüfen: An der Nato-Nordostflanke – in den baltischen Staaten – ist das Bewusstsein für solche potenziellen Zwischenfälle deutlich ausgeprägter.

Im Oktober 2023 gingen in Litauen innerhalb kurzer Zeit rund 900 falsche Bombendrohungen gegen Schulen, Kindergärten und andere Einrichtungen ein. Einige der E-Mails waren auf Russisch verfasst. Der damalige Polizeichef Renatas Pozela sprach von einem koordinierten Angriff, der zeitgleich auch Estland, Lettland, Polen, Moldau und zuvor die Ukraine betroffen habe. Das Ziel war demnach, Panik und gesellschaftliche Verunsicherung zu erzeugen.

Laut litauischem Geheimdienst VSD waren die Drohungen „offenbar ein gezielter und koordinierter Angriff, der auf Initiative feindlicher Staaten durchgeführt wurde“. Obwohl Russland nicht beim Namen genannt wurde, wird davon ausgegangen, dass es sich um eine Aktion der russischen Geheimdienste handelte. Rund ein Jahr später wiederholte sich der Vorgang: Am ersten Tag des neuen Schuljahrs im September 2024 gingen erneut Bombendrohungen in russischer Sprache ein.

„Die Bevölkerung lässt sich nicht so einfach verunsichern“

Der Unterschied zu Deutschland ist: Die Balten haben aufgrund ihrer geografischen Nähe zu Russland und der Erfahrung sowjetischer Besatzung früh ein ausgeprägtes Bewusstsein für hybride Bedrohungen entwickelt. Dort weiß man: Es geht um Destabilisierung, darum, Unsicherheit und Misstrauen in der Bevölkerung zu säen und den Eindruck zu erwecken, der Staat sei nicht mehr in der Lage, seine Bürger und die öffentliche Ordnung zu schützen.

„Wir als Gesellschaft haben es geschafft, das Problem zu verstehen“, sagt Romanas Judinas, Analyst der litauischen Nichtregierungsorganisation Locked ’n’ Loaded und selbst Vater zweier Töchter im Schulalter. „Wir haben im Allgemeinen ein gutes Verständnis dafür, wie [die Russen] vorgehen“, sagt er in Vilnius am Rande der Konferenz „Defending Baltics“, die einmal im Jahr hochrangige Militärs, Politiker und Sicherheitsexperten zusammenbringt, um Lehren von der ukrainischen Front für die Verteidigung des Baltikums zu ziehen.

„Hybride Angriffe aus Russland finden in Deutschland ebenso statt wie im Baltikum“, sagt Julius von Freytag-Loringhoven, der das Büro der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Vilnius leitet, die die Konferenz mitorganisiert. „Aber hierzulande ist das Bewusstsein deutlich ausgeprägter, und die Bevölkerung lässt sich nicht so einfach verunsichern.“

Im Bereich Monitoring und Prävention liegt das Baltikum ebenfalls vor vielen westeuropäischen Staaten. Litauen betreibt seit drei Jahren ein landesweites Krisenmanagementzentrum, zu dem auch ein Lagezentrum gehört und das unter anderem Sicherheitsbedrohungen behandelt. Lettland eröffnete kürzlich eine ähnliche Einrichtung, die alle zivilen Bedrohungen erfasst und Regierungsmaßnahmen koordiniert.

Zudem spielt das Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft eine Rolle. „Die baltischen Gesellschaften haben ein hohes Maß an Vertrauen in die Militär- und Sicherheitsstrukturen“, sagt Sandis Sraders, Direktor des Zentrums für Verteidigungstechnologie an der Technischen Universität Riga, Lettland.

Der litauische Analyst Judinas empfiehlt Behörden, in Situationen wie jener der Drohungen gegen Schulen von Anfang an ehrlich und transparent mit der Bevölkerung zu kommunizieren. Wenn Informationen vorlägen, dass ein staatlicher Akteur verantwortlich ist, sollte man dies offen sagen. Zudem rät er, dass sich offizielle Stellen in ihrer Kommunikation absprechen, damit sie keine sich widersprechenden Botschaften an die Bürger senden.

Sraders erwartet eine Intensivierung russischer hybrider Operationen in Europa. „Russland wird alles tun und alle Mittel außer militärischer Gewalt einsetzen, um seine strategischen Ziele zu erreichen“, sagt er – und fügt in Richtung Deutschland gewandt hinzu: „Ihr solltet euch ebenso um die Sicherheit unserer Demokratien sorgen wie wir.“

Carolina Drüten ist International Security Correspondent.

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