Der Ex-Partner kam nachts. Im März 2023 kletterte er durch ein Küchenfenster in die Wohnung der Frau – ein Fenster, das er Wochen zuvor eigens eingeschlagen hatte. Ein Fluchtversuch der Frau scheiterte, beide kehrten in die Wohnung zurück.
„Sodann ergriff der Angeklagte einen auf der Fensterbank in der Küche liegenden Schlosserhammer, schlug sich diesen als Geste der Drohung wiederholt in die eigene Hand und äußerte, er wolle 20.000 Euro dafür haben, dass er in der Vergangenheit eine Beziehung mit der Zeugin geführt und sie ertragen habe“, heißt es in einem Beschluss des Bundesgerichtshofs zum Fall aus dem Juli 2025. „Sollte sie ihm bis zum frühen Morgen kein ‚Angebot‘ machen, wolle er ihr mit dem Schlosserhammer den Schädel zertrümmern und ihre Wohnung in Brand setzen.“
Für die Frau muss die Begegnung ein Alptraum gewesen sein. Schon Wochen zuvor hatte sie sich gegen Nachstellungsversuche des Ex-Partners gewehrt. Mehr als 30 Mal habe sie die Polizei kontaktiert und wiederholt Anzeige erstattet, heißt es in den Unterlagen des Gerichts. Ein Amtsgericht in Nordrhein-Westfalen hatte eine einstweilige Anordnung erlassen, die dem Mann unter anderem verbot, die Frau zu bedrohen oder sich ihrer Wohnung zu nähern. Gehalten hat er sich nicht daran.
Kein Ausnahmefall. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik wurden allein 2023 mehr als 7000 Tatverdächtige registriert, die gegen Kontakt- oder Näherungsverbote verstießen. Im Fall der bedrohten Frau endete der nächtliche Übergriff nicht in einem Tötungsdelikt. Nach erneuten verbalen Attacken zog der Mann wieder ab. Dokumentiert ist die Angst der Frau. In anderen Fällen endet der Bruch solcher Verbote tödlich.
Etwa für eine 20-jährige Frau aus Sachsen-Anhalt, die im Januar 2025 von ihrem Ex-Partner erstochen wurde, wie der Bayerische Rundfunk dokumentiert. Auch sie hatte zuvor ein Kontaktverbot erwirkt. Es verpuffte, weil der Staat es nicht kontrollierte. Es sei „Aufgabe des Geschädigten, eine entsprechende Mitteilung zu machen, dass der Aggressor sich an dieses Gebot nicht gehalten hat“, zitiert der Sender einen Sprecher des zuständigen Landgerichts. Aber was ist, wenn die Geschädigte tot ist, bevor sie Meldung machen kann?
„Der Gesetzgeber steht unter Druck: Es gibt immer mehr rechtspolitische Forderungen, partnerschaftliche Gewalt – insbesondere Gewalt gegen Frauen – wirksamer zu bekämpfen“, sagt Lena Gmelin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsvergleichung, Medizinstrafrecht und Rechtstheorie an der Universität Konstanz, WELT. „Die bestehenden Regelungskonzepte sind häufig nicht aufeinander abgestimmt und funktionieren in der Praxis nur eingeschränkt.“
Zwar existierten rechtliche Instrumente wie Wohnungsverweise oder Näherungsverbote, doch sie würden selten konsequent angewendet oder kontrolliert. „Hinzu kommt: Der Schutz von Gewaltopfern kollidiert oft mit den Umgangsrechten für Kinder. Wenn eine gewaltbetroffene Frau die Kinder zum Besuch beim gewalttätigen Ex-Partner bringen muss, entstehen Konflikte, die das Recht bislang nicht zufriedenstellend auflöst.“
2023 wurden ausweislich der Kriminalstatistik mehr als 250.000 Menschen in Deutschland Opfer von häuslicher Gewalt, wobei alle Formen von Gewalt erfasst sind, auch leichtere. 155 Frauen und 24 Männer wurden durch Partner oder Ex-Partner getötet. 2024 erreichte die Zahl der Straftaten der häuslichen Gewalt mit 265.942 Opfern ein neues Allzeithoch, wie WELT AM SONNTAG berichtete. Es ist ein Zustand, der vielen nicht mehr akzeptabel scheint.
Nicht zeitgemäß erscheint auch, dass sich bestehende Maßnahmen häufig vor allem an die Opfer und nicht immer an die Täter richten. „Obwohl in den Polizeigesetzen der Länder entsprechende Maßnahmen wie Wegweisungen, Betretungsverbote oder Aufenthaltsverbote – ja wie gezeigt sogar elektronische Aufenthaltsüberwachung – bei häuslicher Gewalt vorgesehen sind, zeigt die Statistik, dass sich nur ein geringer Anteil der polizeilichen Maßnahmen an die Täter richtet“, beklagt der Verein Frauenhauskoordinierung. „Eher kommen die gewaltbetroffenen Frauen (20 Prozent) durch polizeiliche Vermittlung ins Frauenhaus.“
Wer geschützt werden will, muss sich zurückziehen. Wer sich aggressiv verhält, kann mitunter sein Leben weiterleben. Doch das scheint sich zu ändern.
„Verantwortung der Täter wird stärker benannt“
Am Mittwoch hat das Kabinett mehrere Maßnahmen beschlossen, um häusliche Gewalt wirksamer zu bekämpfen. Künftig sollen Gerichte elektronische Fußfesseln anordnen können, um das Einhalten von Näherungs- und Kontaktverboten bei Hochrisikofällen zu überwachen. Außerdem sollen Gerichte Anti-Gewalt-Trainings anordnen können. Zunehmend in den Blick gerät also die Kontrolle und Verantwortung der Täter. Gestärkt wird das Opfer, das auf Antrag ein Gerät bekommen kann, um selbst zu kontrollieren, dass ihm der Täter nicht zu nahekommt.
„Wir erleben derzeit die Anfänge einer Verschiebung in der Zuschreibung von Verantwortung bei partnerschaftlicher Gewalt“, sagt Gmelin, die zu geschlechtsspezifischen Tötungsdelikten forscht. „Lange wurde erwartet, dass ausschließlich die Opfer ihr Leben vollständig umkrempeln, während an die Täter keine vergleichbare Erwartung gestellt wurde – zumindest, solange der Vorfall nicht strafrechtlich relevant war.“
Langsam aber verändere sich dieser Blick: „Die öffentlichen Diskurse entfernen sich zunehmend von der opferbeschuldigenden Frage, warum das Opfer geblieben ist, obwohl der Partner gewalttätig war. Stattdessen rückt stärker die gesellschaftliche Verantwortung in den Fokus – also die Frage, welche realistischen Alternativen insbesondere weiblichen Betroffenen offenstehen, auch mit Blick auf soziale, berufliche und finanzielle Konsequenzen. Zugleich wird die Verantwortung der Täter deutlicher benannt.“
Grund sind nicht nur gesellschaftlicher Wandel, sondern auch völkerrechtliche Verpflichtungen. Deutschland ist an die sogenannte Istanbul-Konvention gebunden, ein Abkommen des Europarats zur Bekämpfung häuslicher Gewalt. 2022 wurde die Bundesrepublik gerügt, weil zentrale Vorgaben noch nicht umgesetzt waren. „Die nun vorgesehene Möglichkeit, sogenannte Täterarbeit anzuordnen, greift eine dieser Verpflichtungen auf“, sagt Gmelin.
Bislang offen ist, ob die vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich Erfolge erzielen – oder ob es sich eher um symbolische Schritte handelt. Das Tragen der Fußfessel greift weit in die Grundrechte der Betroffenen ein; sie soll daher nur in Hochrisikofällen zum Einsatz kommen. Das Justizministerium rechnet selbst mit 160 parallel laufenden Fällen pro Jahr.
Notwendig seien unter anderem Schulungen von Polizei und Justiz, teilt der Deutsche Frauenrat mit, ein Dachverband von rund 60 frauenpolitischen Organisationen. „Die Fußfessel kann in bestimmten Situationen Frauen zwar schützen, aber Polizei und Gerichten sind nicht ausreichend ausgestattet, Bedrohungslagen zuverlässig zu erkennen.“ Was weiterhin fehle, sei ein ganzheitlicher Ansatz, sagt Gmelin: „Maßnahmen wie die elektronische Aufenthaltsüberwachung können zwar kurzfristig Schutz schaffen, sie bekämpfen aber nicht die Ursachen häuslicher und geschlechtsbezogener Gewalt.“
Im Fall aus dem März 2023 ist noch offen, wie der Mann am Ende bestraft werden wird. Das Landgericht, das den Fall verhandelte, hatte ihn zunächst zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, weil er gegen das Näherungsverbot verstoßen hatte. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil im Juli 2025 auf – mit der Begründung, das Landgericht habe nicht selbst geprüft, ob die zugrunde liegende Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz überhaupt rechtmäßig war. Der Fall wurde zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.
Ricarda Breyton schreibt seit vielen Jahren über rechtspolitische Themen.
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