Maybrit Illners Polittalk am Donnerstagabend wurde zur schonungslosen Bestandsaufnahme. Die Sendungsfrage lautete: „Stadt, Land, Angst – steigt Deutschland ab?“ Doch die eigentliche Frage wurde eine andere: Zerbricht die schwarz-rote Regierung an ihren ständigen Streitigkeiten wie aktuell der Renten-Debatte und fehlender Reformen?
Mittendrin: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Er schien angetreten zu sein, um den aktuellen Streit in der Renten-Debatte herunterzuspielen. Dem konterten aber Grünen-Parteichef Felix Banaszak, Landrätin Tanja Schweiger (Freie Wähler) aus Regensburg, Journalist Michael Bröcker (Chefredakteur von „Table Media“) und Elisa Hoven, Strafrechtsprofessorin an der Universität Leipzig.
Auslöser der Renten-Debatte war der Abgeordnetenzusammenschluss „Junge Gruppe“ der Union. 18 junge Abgeordnete drohen, bei der Rentenreform die Gefolgschaft zu verweigern und damit die knappe Mehrheit der schwarz-roten Koalition im Bundestag (zwölf Stimmen) zu gefährden.
Ob die Regierung daran scheitern könne? „Die Frage stellt sich gar nicht“, behauptete CDU-Vize Kretschmer. Die Diskussion sei „mehr als notwendig“ und die Menschen seien sogar dankbar dafür. „Wenn wir in diesem Land jede Diskussion, jede fachliche Auseinandersetzung, was richtig oder falsch ist, zu einer Machtfrage machen, ob die Koalition scheitert oder nicht, dann haben wir verloren.“ Die Sorge vor dem Bruch sei lediglich ein Narrativ von „Journalistinnen und Journalisten in der Berliner Blase“.
Doch „Table Media“-Chefredakteur Michael Bröcker ließ ihm das nicht durchgehen. „Herr Kretschmer, das ist wirklich naiv“, urteilte der Journalist hart. Bei der kleinen Mehrheit im Bundestag sei jede inhaltliche Frage automatisch eine Machtfrage und „kein Gespinne von Journalisten“. Bröcker ließ Kretschmer mit seiner Strategie auflaufen, den Konflikt als normale Debatte zu bewerten.
„Merz hat viel versprochen und so vieles nicht gehalten“
Dass das Problem tiefer liegt als nur in Debatten im politischen Berlin, machte dann Tanja Schweiger deutlich. Die Landrätin aus Regensburg (Freie Wähler) brachte den Frust der Kommunen auf den Punkt. Und ging dabei auch Bundeskanzler Friedrich Merz direkt an. „Merz hat so viel im Wahlkampf versprochen und so vieles nicht gehalten“, kritisierte sie. „Die Ampel hat viele Sachen nicht hingebracht und die GroKo bringt jetzt auch die Reformen nicht weiter. Was hat sich denn jetzt geändert, fragen sich die Menschen im Land.“ Die Glaubwürdigkeit sei dahin. „Die Menschen werden nicht mehr mitgenommen, das ist auch der Grund, warum sie kein Vertrauen mehr in den Staat haben.“
Fachlich pflichtete ihr die Leipziger Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven bei, die den Vertrauensverlust der Bürger in die Politik in einer Mischung sieht aus „Unwilligkeit“, Probleme zu sehen, „Unfähigkeit“, sie zu lösen (Stichwort Bürokratie), und „Unehrlichkeit“. Wenn Versprechen nach der Wahl „ohne Not aufgegeben“ würden, dürfe man sich über den Vertrauensverlust nicht wundern, so Hoven. Ihr Rat an die Politik: „Politiker können den Bürgern mehr Realitätssinn zutrauen.“
Über die wirtschaftliche Lage Deutschlands malte die gesamte Runde ein düsteres Bild. Grünen-Chef Felix Banaszak sprach von einem „schleichenden Abstieg“. Große Absatzmärkte in China, billiges Gas aus Russland, US-Sicherheitsgarantien: „Das ist alles vor unseren Augen eingebrochen“, so Banaszak. „Wir haben noch nicht die Kraft gefunden, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen“, sagte er. „Das deutsche Wirtschaftsmodell ist durch die veränderte Weltlage fundamental herausgefordert.“
Journalist Bröcker untermauerte das mit einer gewaltigen Zahl: 200 Milliarden Euro. Das war nämlich die Summe, die von deutschen Unternehmern in den vergangenen Jahren in US-Anlagen statt in Deutschland investiert wurde. „Das ist genau das Geld, was wir für die Technologie von morgen brauchen, für die grüne Transformation der Wirtschaft“, sagte Bröcker.
Kretschmer: „Dann sind wir wirklich erledigt“
„Der Staat ist der, der am meisten das Wachstum bremst“, sagte Landrätin Schweiger und verwies wieder auf die Bürokratie, etwa viele Dokumentationspflichten im Gesundheitswesen, die zu höheren Kosten für die Steuerzahler führten: „Wir wundern uns, wenn die Gesundheitskosten steigen. Dabei muss ein Klinik-Arzt drei Stunden am Tag seine Behandlungen dokumentieren. Und es gibt in der Verwaltung noch mal drei Leute, die aufpassen, dass er alles richtig macht. Das kostet Personal und Geld.“
Ministerpräsident Kretschmer setzte auf das Thema Wirtschaftsstärke. Seine Logik: „Wenn wir wirtschaftlich nicht stark sind, können wir nicht in unsere Verteidigung investieren, dann können wir das nicht mit den Renten machen – dann sind wir wirklich erledigt.“ Der Staat müsse deshalb mehr Möglichkeiten schaffen: Wenn etwa die Automobilindustrie nicht mehr das Zugpferd Deutschlands sei, dann müsse man der Wirtschaft mehr Freiheiten geben, die Zukunftsmärkte wie etwa die Gentechnologie zu gestalten.
Als ein großes Problem bezeichnete er das Festhalten an Jahreszahlen beim Klimaschutz. „Das Klimaziel 2040 mauert uns so ein, dass danach viele Dinge nicht mehr möglich sind“, warnte der CDU-Politiker. Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU) sei durch die Gesetzeslage „eingemauert“, es brauche aber mehr „Flexibilität“, um Deutschland wettbewerbsfähig zu halten.
Ein Punkt, dem der Grüne Banaszak naturgemäß widersprach. Ministerin Reiche würde die Energiewende nicht „updaten“, kritisierte er, sondern „all das, was in den letzten Jahren funktioniert hat, wird jetzt erst mal ausgebremst.“ Während Banaszak mehr Digitalisierung und Netzausbau forderte, um etwa auch weniger abhängig von Flüssigerdgas (LNG) aus den USA zu sein, sah Kretschmer in weniger Fesseln für die Industrie die Lösung.
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