- Eine Gruppe von extrem rechten Aktivisten – vier davon aus Mitteldeutschland – ist im September nach Afghanistan gereist, das von den Taliban regiert wird. Der Thüringer Verfassungsschutz ermittelte, dass die Gruppenmitglieder Kontakt zur Terrorgruppe hatten.
- Derartige Auslandsreisen rechter Funktionäre sind keine Seltenheit. Unter anderem in Russland und Syrien wurden schon Netzwerke mit autoritären Strömungen gepflegt. Ziel sei es laut Experten, eine "Nebenaußenpolitik" zu betreiben.
- Bei der Tour nach Afghanistan soll der Fokus besonders auf dem Thema Migration gelegen haben.
Im September ist eine sechsköpfige Gruppe extrem rechter Aktivisten nach Afghanistan gereist. Fotos zeigen die Teilnehmer mit Kaftan und Palästinensertuch vor Wüstenlandschaften, Moscheen und beim traditionellen Essen auf dem Boden.
Nach Recherchen von MDR Investigativ gehörten zu der Reisegruppe Martin S., der für die Thüringer AfD-Landtagsfraktion arbeitet, sowie Mario Müller aus Sachsen-Anhalt, der als Führungsfigur der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB) gilt.
Müller hat im Bundestag für einen AfD-Abgeordneten gearbeitet. Ob der 35-jährige dies heute noch tut, ist unklar. Der Parlamentarier hat sich dazu nicht eindeutig geäußert. Als Redner aufgetreten war Müller im Jahr 2023 in Potsdam bei einem extrem rechten Treffen zum Thema Migration, das bundesweit für Empörung gesorgt hatte.
Verfassungsschutz: "Kontakte zu Taliban"
Vier der sechs Reiseteilnehmer stammen aus Mitteldeutschland. Mit dabei in Afghanistan waren auch ein IB-naher Medienaktivist aus Görlitz, ein IB-Aktivist und Burschenschafter aus Eisenach sowie der IB-nahe Publizist Jonathan S. aus Süddeutschland.
Öffentlich geworden war die Reise durch eine afghanische Reiseagentur, die Bilder des Sextetts im Internet als Werbung gepostet hatte. Auch Jonathan S. selbst veröffentlichte ein Foto von der Tour. Es zeigt ihn auf einem See in einem rosafarbenen Ausflugsboot, das wie ein Schwan geformt ist. Mit einer Hand hält er ein Kalaschnikow-Sturmgewehr, mit der anderen die Hand eines offenbar einheimischen Mädchens auf einem Nachbarboot.
Auf MDR-Anfrage teilte Jonathan S. dazu mit: "Der Angehörige eines in Deutschland lebenden Afghanen, mit dem wir uns gut verstanden haben, hat mir lediglich für ein Foto sein Gewehr in die Hand gedrückt". An Schießtrainings oder sonstigen bewaffneten Aktivitäten habe er während der Reise "natürlich nicht" teilgenommen. Zum Zweck der Tour gab er an, "zwei Reportagen über Afghanistan anzufertigen, die beide im Dezember erscheinen werden". Organisiert worden sei die Reise von einem afghanischen Reiseunternehmen. Über Kontakte der Gruppe zur Taliban-Administration teilte S. mit: "Wenn man in eine neue Stadt kommt, muss man sich bei der Tourismusbehörde anmelden. Eine andere Art des Kontakts gab und gibt es nicht."
Auf einem Gruppenfoto vor einer braunen Felswand wirken die sechs Reiseteilnehmer entspannt und heiter gestimmt. Einige lächeln. Alle tragen lange Gewänder auch Martin S., der für die Thüringer AfD-Landtagsfraktion um Parteilandeschef Björn Höcke arbeitet.
Auf Anfrage teilte ein Fraktions-Sprecher mit: "Mitarbeiter können in ihrer Freizeit in jene Länder reisen, die für sie von Interesse sind. Reisepläne sind Privatsache." Daher könne die Fraktion zu dieser "privaten Reise" keine Auskunft geben. Zudem teilte der Sprecher mit, dass Martin S. in Afghanistan "weder Waffen benutzt noch geführt" habe, und, dass das Land von den "Taliban kontrolliert und regiert" werde und es deswegen "immer wieder zu Berührungspunkten mit den dortigen Sicherheitsorganen" käme. Wert legte der Sprecher zudem auf die "Feststellung", wonach es "im Umfeld der AfD sowie innerhalb der AfD keine Rechtsextremen" gebe.
Dem Thüringer Amt für Verfassungsschutz seien die Reise sowie die politischen Hintergründe der beiden Thüringer Teilnehmer bekannt, teilte die Behörde mit. Das Thüringer Landekriminalamt machte auf MDR-Anfrage keine Angaben.
Ein Sprecher des Bundesamts für Verfassungsschutz sagte: "Solche Reisen von Einzelakteuren werden auch dazu genutzt, um die (politische) Situation vor Ort in eigenen Berichtsformaten als sicher darzustellen, um – daran anknüpfend – 'identitäre' Forderungen wie 'Remigration' als legitim und anschlussfähig erscheinen zu lassen."
Laut dem Nachrichtendienst hätten Teilnehmer eigene "Reisebewegungen in verschiedenen Online-Beiträgen thematisiert und dokumentiert". Demnach habe die Reisegruppe "in Folge von durchgeführten Kontrollmaßnahmen vor Ort auch Kontakte zu Angehörigen der Taliban" gehabt.
Afghanistan, Ukraine, Griechenland – "Simulation von Nebenaußenpolitik"
Der Soziologe David Begrich aus Magdeburg vermutet hinter der Reise unter anderem eine Vernetzungsfunktion. "Solche Aktivitäten von AfD-Funktionsträgern und Mandataren, aber auch aus dem politischen Vorfeld der AfD dienen der Kontaktpflege zu politischen Akteuren im Ausland, die eine gleiche oder vergleichbare Ausrichtung und Agenda wie die in Rede stehenden deutschen Vertreter aufweisen", sagte Begrich, der für den Verein Miteinander arbeitet.
Es falle auf, dass "Personen aus der deutschen extremen Rechten seit Jahren Kontakte nach Russland, zum Assad-Regime in Syrien oder zu anderen autoritären politischen Strömungen im Ausland" unterhielten. Darüber hinaus dienten solche Auslandsreisen offenbar auch dem Imagegewinn der AfD und ihres Vorfeldes. "Man kann auch sagen, hier wird eine Art Nebenaußenpolitik simuliert", sagte der Soziologe.
Es fällt auf, dass Personen aus der deutschen extremen Rechten seit Jahren Kontakte nach Russland, zum Assad-Regime in Syrien oder zu anderen autoritären Strömungen im Ausland unterhalten.
Auslandsreisen wie an den Hindukusch sind zumindest für Mario Müller und den Publizisten Jonathan S. aus Süddeutschland keine Premiere. In den vergangenen Jahren waren die beiden unter anderem gemeinsam in der Ukraine. Fotos zeigen die Männer in der Nähe der Front des russischen Krieges gegen das Land - ausstaffiert mit Helmen und schusssicheren Westen mit der Aufschrift "Presse". Dem Blog "Rhein Main Rechtsaußen" zufolge kämpfte Jonathan S. mehrfach für ukrainische Bataillone. Bilder und Videos, die S. selbst im Internet postete, zeigen ihn bei Kampfhandlungen. Darüber hinaus waren Mario Müller und Jonathan S. in der Vergangenheit auch im Rahmen von flüchtlingsfeindlichen Aktionen der rechtsextremen "Identitären Bewegung" in Griechenland.
"Reisen als Propagandaelemente"
Einen Namen in extrem rechten Kreisen hatte sich Mario Müller bereits Jahre zuvor gemacht. In Halle (Saale) fungierte er als einer der führenden Köpfe des Identitären Hausprojekts "Kontrakultur", das 2019 endete. Ab 2022 arbeitete er in Berlin für den AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt.
Der Politiker teilte auf MDR-Anfrage mit: "Herr Mario Müller ist nicht mehr als Finanzreferent bei mir tätig." Auf die Nachfragen, ob Müller eine andere Tätigkeit für ihn, die AfD-Fraktion oder die Partei ausübe, schrieb Wenzel Schmidt: "Bitte haben Sie Verständnis, dass ich ein Frage-Antwort-Spiel zu Personalangelegenheiten nicht führen werde. Es wurde bereits geantwortet." Fragen über den Zweck solcher Reisen beantwortete der Bundestagsabgeordnete ebenfalls nicht. Mario Müller selbst war für eine MDR-Anfrage nicht zu erreichen.
Bei der Tour stehe die "Skandalisierung des Themas Migration" im Fokus, sagt Johannes Kiess, Extremismusforscher an der Universität Leipzig: "In diesem Zusammenhang fungieren solche Reisen als Propagandaelemente", sagte Kiess. "Suggeriert werden soll eine angebliche Normalität und Sicherheit in Syrien oder Afghanistan, verbunden mit der impliziten oder expliziten Aufforderung zur Deportation".
Gemäß des "rassistischen Konzepts des Ethnopluralismus sollten Syrer nach Syrien, Afghanen nach Afghanistan zurückgeschickt" werden. Dahinter stehe seiner Analyse zufolge sowohl bei Identitärer Bewegung als auch bei AfD gleichermaßen eine "völkische" Ideologie.
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