Gerhard Karner (ÖVP) gehört zu den profiliertesten Innenministern in der EU. Viele Vorschläge, die der 58-jährige Niederösterreicher bereits vor Jahren in Brüssel gemacht hatte und die damals noch umstritten waren, werden mittlerweile umgesetzt. „Willkommen in Wien“, sagt der Minister und bietet einen Tee an.
WELT: Herr Minister, was tut Österreich gegen die zunehmende Bedrohung von kritischer Infrastruktur, wie Flughäfen, durch Drohnen?
Gerhard Karner: Wir verfügen seit Jahren über eine Drohnenabwehrstrategie. Es geht jetzt angesichts der neuen Herausforderungen und vermehrter Störungen durch Drohnen aber darum, diese Strategie zwischen zivilen und militärischen Einheiten, also Polizei und Bundesheer, aber auch den Flughafenbetreibern enger zu koordinieren und zu verfeinern. Natürlich gibt es unterschiedliche Methoden, Drohnen auszuschalten, wie Störung der Funkfrequenzen, Abschuss oder Einfangen durch Netze. Aber so einfach, wie es sich anhört, sind derartige Maßnahmen nicht. Die Erfahrungen der Ukraine können uns bei der Ausarbeitung einer optimalen Drohnenabwehrstrategie sicherlich helfen.
WELT: Fürchten Sie, dass die Zahl der Drohnen am Himmel zunehmen könnte?
Karner: Europäische Sicherheitskreise gehen davon aus, dass die Bedrohung von kritischer Infrastruktur, wie Flughäfen, in den EU-Ländern durch Drohnen nach dem Ende des Ukraine-Kriegs noch spürbar zunehmen wird. Es ist zu erwarten, dass nach dem Ende des russischen Angriffskrieges in der Ukraine künftig zahlreiche gefährliche Waffen über dunkle Kanäle, darunter natürlich auch Drohnen, in die Hände der organisierten Kriminalität, aber auch von Kleinkriminellen, geraten werden. Ähnliche Erfahrungen machte man auch nach dem Ende des sogenannten Jugoslawien-Kriegs in den 90er-Jahren. Hochgefährliche modernste Drohnentechnik, die sich in der Hand von skrupellosen Kriminellen befindet – das dürfte die Staaten in Europa vor ganz neue Herausforderung stellen. Wir brauchen darauf schnelle und europaweit koordinierte Antworten.
WELT: Neben Drohnen stehen auch verstärkte Abschiebungen auf der Agenda der EU-Innenminister. Nur jeder fünfte Migrant ohne Schutzberechtigung wird in Europa auch tatsächlich abgeschoben. Österreich hat nach dem Sturz von Diktator Assad im Juli als erstes Land damit begonnen, Syrer abzuschieben.
Karner: Konkret wurden in den letzten Wochen drei Syrer und zwei Afghanen, die in Österreich schwere Straftaten begangen haben, direkt in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Österreich ist damit bisher das einzige Land. Die Abschiebungen von Syrern und Afghanen müssen aber zum Regelfall in ganz Europa werden.
WELT: Welche Gruppen haben Sie im Blick?
Karner: Unsere Priorität liegt eindeutig bei verurteilten Straftätern. Aber wir sind derzeit auch dabei, die Schutzberechtigung von Syrern zu überprüfen, die in den vergangenen fünf Jahren einen Asylstatus erhalten haben. Es wird in etwa 7000 Fällen überprüft, ob die jeweiligen Personen aus Syrien auch wirklich noch schutzbedürftig sind. Das Gleiche streben wir mit Afghanen an. Ein Talib ist in Afghanistan doch mindestens genauso sicher wie in Europa.
WELT: Sind die Regierungen in Afghanistan und Syrien denn bereit, ihre Landsleute wieder zurückzunehmen?
Karner: Abschiebungen sind immer harte Arbeit. Ich habe im April zusammen mit der damaligen deutschen Innenministerin Nancy Faeser Damaskus besucht und damit die Voraussetzungen für Abschiebungen von Österreich nach Syrien geschaffen. Im September ist eine Delegation der afghanischen Verwaltung in Wien gewesen, und unsere Beamten haben mit den Behördenvertretern aus Afghanistan verhandelt.
WELT: Wünschen Sie sich mehr Unterstützung bei den Abschiebungen?
Karner: Ich bin davon überzeugt, dass wir die EU-Grenzschutzagentur Frontex noch stärker bei Abschiebungen einbeziehen sollten, insbesondere auch bei Zurückweisungen nach Syrien und Afghanistan. Es macht doch in vielen Fällen Sinn, verurteilte syrische und afghanische Straftäter aus den jeweiligen EU-Staaten gemeinsam und koordiniert abzuschieben.
WELT: Bis Mitte Juni 2026 soll die EU-Asylreform (GEAS) umgesetzt werden. Geplant sind dabei zunächst auch 30.000 Plätze für Turbo-Asylverfahren bei Migranten mit wenig Aussichten auf Asyl. Diese Verfahren sollen direkt an den EU-Außengrenzen stattfinden. Ungarn hat aber bereits angekündigt, nicht mitzumachen. Das wären dann rund 8000 Plätze weniger als gefordert.
Karner: Ich halte die Zahl 30.000 nicht für zielführend. Wenn wir erreichen wollen, dass die Ankünfte von Migranten in der EU nachhaltig sinken, dann brauchen wir vor allem Rückkehrzentren in Staaten außerhalb Europas, wohin die Europäer Migranten ohne Schutzanspruch abschieben können (‚return hubs‘). Und zugleich müssen wir auf Asylverfahren in Staaten außerhalb Europas setzen. Das wäre das klare Signal an die Migranten: Es lohnt sich nicht, sich auf den Weg nach Europa zu machen und kriminelle Schleuser zu bezahlen.
WELT: Ein weiterer wichtiger Pfeiler der EU-Asylreform ist neben schnellen Grenzverfahren auch die Umsiedlung von Migranten nach festgesetzten Quoten aus stark belasteten Ankunftsländern auf weniger belastete Staaten. Was halten Sie von diesem ‚Solidaritätsmechanismus‘?
Karner: Der ‚Solidaritätsmechanismus‘ im neuen EU-Asylsystem ist im Grunde eine Fehlkonstruktion. Denn die Lösung für die Migrationskrise ist ganz bestimmt nicht Verteilung unter den EU-Ländern, sondern es sind Maßnahmen, die verhindern, dass Menschen aus Afrika überhaupt nach Europa kommen. Das sind Asylverfahren in Staaten außerhalb Europas, Rückkehrzentren und ein robuster Schutz der Außengrenzen, notfalls auch mit Soldaten. Die EU-Bevölkerung kann bei Migration das Wort ‚Solidarität‘ nicht mehr hören.
WELT: Österreich hat der solidarischen Verteilung von Migranten aber zugestimmt.
Karner: Nein, das hat Österreich nicht. Im Klartext: Es muss anerkannt werden, dass Österreich in den vergangenen Jahren bereits sehr viele Migranten aufgenommen hat. Eine Verteilung von Migranten kommt für uns nicht in Frage. Ich freue mich, dass die EU-Kommission in ihrer aktuellen Bewertung die bisherigen enormen Anstrengungen Österreichs anerkennt.
WELT: Bundeskanzler Friedrich Merz hat in Deutschland „Probleme mit dem Stadtbild“ beklagt und dafür Migranten ohne Aufenthaltsrecht und Arbeit, die sich nicht an die Gesetze halten, verantwortlich gemacht. Hat Österreich auch „Probleme mit dem Stadtbild“?
Karner: Das liegt im Auge des Betrachters der jeweiligen Stadt. Wichtig ist, der Gewalt im öffentlichen Raum rechtzeitig zu begegnen durch konkrete Maßnahmen vor Ort. Wir haben, nicht zuletzt auf Wunsch der Kommunen, per Erlass die Videoüberwachung an potenziell von Kriminalität betroffenen Orten erleichtert. Die Speicherdauer beträgt 48 Stunden. Wichtig ist auch eine ausreichende Beleuchtung und eine Durchmischung der Wohnviertel, sodass es erst gar nicht zur Gettobildung kommt. Das ist vor allem auch eine stadtplanerische Aufgabe. Die Bundesregierung plant auch gefängnisähnliche Aufenthalte für Jugendliche unter 14 Jahren, die bereits mehrfach durch kriminelle Aktivitäten aufgefallen sind.
Christoph B. Schiltz ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet unter anderem über Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die europäische Migrationspolitik, die Nato und Österreich.
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