Stellen Sie sich vor, Sie erfahren ganz überraschend, dass Ihre alten Eltern reich sind. Sie werden bald 500 Millionen Dollar erben. Was würden Sie damit anfangen? Ellen Marcus hatte eine gute Idee: Sie bat ihre Eltern, das Geld noch zu Lebzeiten zu spenden. Und so bekam die Ben-Gurion University of the Negev in Israel eine halbe Milliarde Dollar, die vor allem für Forschung zum Thema Wasser ausgegeben wird.

Am 16. November waren Ellen Marcus und Vertreter der Universität auf Einladung des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) in Berlin, um mit Gästen aus der Wirtschaft, der Forschung und dem organisierten Judentum über die Familie Marcus, die Wüste Negev als Utopie und den Beitrag israelischer Forschungseinrichtungen zur Lösung eines der dringendsten Probleme der Menschheit – das Wasserproblem – zu reden.

Warum Berlin? Zum einen, weil hier der Anlagenberater Richard Markus arbeitet, der als entfernter Verwandter von Ellen Marcus die Veranstaltung organisiert hat und künftig als Vertreter der Ben-Gurion University tätig sein wird. Zum anderen aber, weil die Spur dieser Spende nach Deutschland führt.

Ellens Großeltern väterlicherseits, Hugo und Johanna Marcus, betrieben in Bochum ein Konfektionsgeschäft. Ihr jüngster Sohn Hans, Ellens Vater, wurde Zahnarzt. Nach dem „Judenboykott“ 1933 floh er aus Deutschland. Die Eltern blieben. Sie wurden drangsaliert, terrorisiert, enteignet und schließlich 1942 in einem Zug Richtung Osten gesteckt, wo sie, zusammen mit ihren beiden älteren Töchtern, ermordet wurden. Weil sie Juden waren.

Hans schaffte es in die USA, wo er sich fortan Howard nannte und Lottie Blümlein kennenlernte. Auch sie war als Jüdin aus Deutschland geflüchtet. Ihre Eltern Arthur und Ida betrieben in Nürnberg einen Spielzeugladen. Sie wurden zusammen mit ihrem geistig behinderten Sohn Robert deportiert und ermordet. Und dennoch sagte Howard über Lottie: „Sie schaffte es, mich zum Lachen zu bringen. Erst da fiel mir auf, dass ich seit Jahren nicht mehr gelacht hatte.“

Lottie Marcus hat noch mehr geschafft. Vor ihrer Ehe hatte sie als Sekretärin bei einer Investment-Firma an der Wall Street gearbeitet. Es ist vermutlich ihrem Gespür zu verdanken, dass sie und Howard in den 1960er-Jahren ihre bescheidenen Ersparnisse einem unbekannten Investor namens Warren Buffett anvertrauten. Als ihre Tochter sie 40 Jahre später überredete, ihr Vermögen der Universität in der Negev-Wüste zu vermachen, waren daraus 200 Millionen Dollar geworden, bis zum Tod Lotties 2016 waren es fast eine halbe Milliarde.

Die Negev-Wüste als besonderer Ort für Juden

Warum aber Israel? Warum die Wüste Negev? Warum Wasser? Obwohl Howard wegen des Holocausts seinen Glauben an Gott verloren hatte, blieben er und Lottie stolze Juden; aus ihren Erfahrungen hatten sie eine zentrale Lehre gezogen, die Ellen in Berlin so formulierte: „Am Ende will uns niemand haben. Juden brauchen ein Heimatland.“

Für Israels Gründervater David Ben-Gurion wiederum war der Negev der Ort, an dem sich Israel bewähren und wiedererfinden sollte. Indem Israel die Wüste besiedelt und zum Blühen bringt, erfüllt es, so Ben-Gurion, den Auftrag, „ein Licht für alle Völker“ zu sein, wie es der Prophet Jesaja forderte.

Jahrzehnte hindurch schien es, als wäre Ben-Gurion, der selbst seinen Lebensabend im Negev-Kibbuz Sde Boker verbrachte, eher Träumer als Prophet. Die Bevölkerung Israels konzentrierte sich im fruchtbaren Küstenstreifen zwischen Haifa und Tel Aviv.

Im Negev gab es in den 1950er-Jahre eine Handvoll Kibbuzim, hauptsächlich aus strategischen Gründen errichtet, den neuen Forschungsreaktor in Dimona, Heimat der israelischen Atombombe, ein paar Beduinenstämme und die unwirtliche Kleinstadt Beerscheba.

Heute wohnen etwa 1,2 Millionen Menschen im Negev. Etwa 300.000 sind Beduinen, von denen es bei der Staatsgründung 1948 höchstens 12.000 gab. Die anderen sind in der überwiegenden Mehrzahl israelische Juden; nach Plänen des jüdischen Nationalfonds sollen in den nächsten Jahren 500.000 weitere Israelis aus den überfüllten Gegenden im Norden mit ihren verrückten Grundstückspreisen und Verkehrsproblemen in den Süden ziehen.

Hier entstehen Firmen in der Hightech- und Verteidigungsindustrie, aber auch Weingüter und Gemüsefarmen. Wasser ist die Grundlage dieser Entwicklung, und die Wissenschaft ist der Schlüssel fürs Wasser.

Hier spielt die Ben-Gurion Universität des Negev mit ihren Standorten in Beerscheba, Eilat am Roten Meer und Sde Boker eine entscheidende Rolle. In israelischen Kibbuzim wurde die Tropfbewässerung entwickelt, die es ermöglicht, mit der halben Wassermenge den doppelten Ertrag zu erzielen. Die Technik wird weltweit vermarktet und in Zusammenarbeit mit der Universität weiter verfeinert.

Hinzu kommt die Verwendung von Abwasser in der Landwirtschaft – Israel hat eine Wiederverwendungsquote von 95 Prozent – und vor allem die Meerwasserentsalzung durch Umkehrosmose. Trotz wachsender Bevölkerung kann Israel heute Wasser exportieren.

Blumen, Bäume und Rasen in der Wüste

Die Universität und der mit einem Teil der Spende errichtete „Marcus Family Campus“ illustrieren das Wunder: Wo einst trockene Wüste war, gibt es für die 20.000 Studenten und 6700 Beschäftigten schattige Bäume, Rasen, Blumenbeete und mit Klimaanlage ausgestattete Forschungslabore und Hörsäle.

Howard und Lottie hofften, dass die gemeinsame Arbeit von Israelis und Arabern am Wasserproblem zum Frieden beitragen würde. Auch gegen diese Hoffnung richtete sich der Terrorangriff des 7. Oktober. Keine 50 Kilometer liegen zwischen dem Campus und dem ausgelöschten Kibbuz Nir Oz, keine 80 Kilometer sind es zum Nova-Festgelände, wo viele feiernden Studenten von Hamas-Terroristen ermordet wurden.

Es liegt immer noch ein Schatten auf dem Campus. Viele Studenten und Lehrkräfte sind einberufen worden, um in Gaza oder an der Nordfront zu kämpfen. Die Uniklinik wurde von einer iranischen Rakete getroffen. Dafür verlegen die israelischen Streitkräfte 35.000 Beschäftigte permanent in den Negev, darunter Eliteeinheiten für Technologie und Nachrichtentechnik, die mit den Informatik-Experten der Universität zusammenarbeiten oder sich als Teil ihres Diensts weiterbilden werden.

Und es wird weiter geforscht, an besseren Wasserfiltern, effektiveren Pumpen, widerstandsfähigeren Pflanzen – und an einer Diät für Kühe, damit sie nicht so viel klimaschädliches Methan produzieren.

Von einem Spielzeugladen in Nürnberg und einem Kleidungsgeschäft in Bochum ging es für die meisten Mitglieder der Familien Marcus und Blümlein in den Tod. Die Überlebenden haben mit ihrer Spende – der größten Privatspende in der Geschichte Israels – dazu beigetragen, die Wüste zum Leben zu erwecken und Israel stärker zu machen. Ihre Geschichte ist eine Illustration des Spruchs von Theodor Herzl, der den modernen Zionismus begründete: „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen“.

Der Film über die Familie und ihre Spende, „Who Are the Marcuses?“ wurde bisher nur auf Festivals gezeigt. Es wäre schön, wenn er einen deutschen Verleih finden und in allen Schulen der Republik gezeigt werden könnte.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.