Am 16. Mai 2025 geriet Ceca M. endlich einmal an den Falschen, der in Wahrheit der Richtige war. Die 27-jährige gebürtige Serbin verdiente ihren Lebensunterhalt zu diesem Zeitpunkt damit, Menschen, deren Fähigkeiten zur Unterscheidung von Sinn und Unsinn nur gering ausgeprägt sind, das Geld aus der Tasche zu ziehen. Dieses Mal wurde zum letzten Mal, so beschreibt es die Anklage.

Ein Jahr zuvor, am 24. Mai 2024, saß sie bereits an der Steinernen Brücke, die in Regensburg über die Donau führt, und sprach Passanten an, um sie auszunehmen. Sie muss ein gewisses Gespür dafür entwickelt haben, wie Leute aussehen, die sich betrügen lassen – oder betrügen lassen wollen. Gibt es einen Blick, der Unsicherheit oder gar Verzweiflung ausstrahlt? Eine Gangart, eine bestimmte Kleidung?

Als sie Stefan M. (Name geändert) aus Straubing vorbeigehen sieht, sieht sie eine solche Seele und spricht den Mann an, der laut Anklage an einer „Autismus-Erkrankung mit kognitiven Einschränkungen“ leidet. Sie bittet um Geld, er gibt ihr 100 Euro. Sie fragt nach einer Stelle als Putzfrau, die kann er ihr nicht geben. Dann geht er weiter, in die Kirche.

Als er über die Brücke zurückkehrt, sitzt Ceca M. immer noch da. Sie fragt ihn, ob er verzweifelt sei. Und sie meint, dass ein Fluch auf ihm liege. Stefan M. ist ein gläubiger Mensch, das sagt er von sich selbst. Er ist nicht wirklich glücklich und deshalb empfänglich für solche Botschaften. Stefan M. trifft Ceca M. von nun an öfter, über mehrere Monate.

Sie sagt ihm, dass sie den Fluch beseitigen könne – für 500.000 Euro. Der Mann plündert seine Konten und überlässt der vermeintlichen „Heilerin“ insgesamt 310.000 Euro. Für die letzten 34.000 Euro nimmt er sogar einen Kredit auf; er hat Angst, dass er die halbe Million nicht erreichen kann und der „Fluch“ weiter auf ihm lasten würde. Sein Erbe müsse „gereinigt“ werden, und diese Aufgabe könne sie als „Medium“ übernehmen, macht sie ihm weis.

Es klingt zum Lachen oder Weinen: Wie kann man so einen Unfug glauben? Wer verschenkt all sein Geld an eine wildfremde Frau, die einem doch nur Angst macht? Hier flieht einer vor dem Unglück, scheint es – koste es, was es wolle.

Andererseits, zur Gegenprobe: Einer Allensbach-Umfrage zufolge spielen sieben Millionen Bundesbürger regelmäßig Lotto, obwohl die rechnerische Chance auf „sechs Richtige“ eins zu fünfzehn Millionen steht. Sie halten sich für normal, obwohl sie dem Glück hinterherrennen, das unerreichbar weit weg ist. Sind die auch alle verrückt?

Stefan M. weiß heute, dass er betrogen worden ist. Er geriet in die Fänge eines Clans, der nach Erkenntnissen der Regensburger Staatsanwaltschaft seinen Lebensunterhalt mit Betrügereien und Schwindeleien bestreitet, eine Art Organisierte Kriminalität mit angeschlossenem Familienbetrieb.

Eine Familie M. ist etwa in Wien bekannt geworden mit solchen Taten. Sie sollen so zwölf Millionen Euro erbeutet haben; die Hauptverdächtige Mariana M., eine selbst ernannte Schamanin, ist auf der Flucht. Ob die beiden Familien zusammenhängen, ist unklar.

Die österreichische Familie M. trifft sich am 12. Dezember in Wien vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Betrug in Millionenhöhe vor; die Mitglieder des Clans lebten in Saus und Braus von ihren ergaunerten Geldern. In der Tiefgarage stellte die Staatsanwaltschaft Luxuswagen wie einen goldenen Mercedes-Oldtimer und einen Aston-Martin-Sportwagen sicher. In verschiedenen Verstecken ihrer Villa fanden die Beamten dazu kiloweise Schmuck.

M.s Rechtsanwalt spricht von „Unsinn“

Am Donnerstag sitzt Ceca M. vor dem Landgericht Regensburg, Saal E7. Die nur etwa 1,60 Meter große Frau versinkt im Sitz neben ihrem Anwalt Thomas Pfister. Die Stimmung ist aufgeräumt, man scherzt und lacht. M. will gestehen und dafür einen Strafrabatt erhalten: Sie gesteht die Vorwürfe vollumfänglich ein und bezahlt Stefan M. 200.000 Euro zurück, dafür erhält sie eine Bewährungsstrafe von bis zu zwei Jahren.

Das mit der Hellseherei sei natürlich „Unsinn“ gewesen, sagt Pfister, die Angeklagte verfüge nicht über „okkulte Fähigkeiten“, es liege eine Täuschungshandlung vor. Das alles trägt er im Plauderton vor, als ginge es um einen Parkverstoß. Kann ja mal passieren.

Pfister und seine Mandantin haben allen Grund zur Freude, denn sie sind die Gewinner in diesem Verfahren. Staatsanwalt Stefan Pschorr trägt den Verständigungsvorschlag „mit Bauchgrimmen“ mit, obwohl er weiß, dass er den Strafanspruch des Staates damit preisgibt – gegen die Zahlung der 200.000 Euro an Stefan M. „Die Opferinteressen wiegen hier höher“, sagt er in der Verhandlung.

Denn Angaben zu ihrer Organisation oder den drei anderen Beschuldigten wird Ceca M. ohnehin nicht machen – es sind ihre Verwandten. Der verständliche Wunsch der Staatsanwaltschaft, mehr über die Strukturen der Familie zu erfahren und den ganzen Laden hochzunehmen, erfüllt sie nicht.

So läuft es nun mal in den meisten Verfahren der Organisierten Kriminalität: Erfahren würde das Gericht ohnehin nichts, also nimmt man einfach das Geld, das natürlich auch wieder aus kriminellen Geschäften „erwirtschaftet“ worden ist. Mehr ist nicht drin. „Wir hätten ja nichts davon, wenn wir sie jahrelang einsperren, immer noch nichts über die Hintergründe wissen und das Opfer bekommt am Ende keinen Cent“, sagt Pschorr am Rande des Verfahrens. Er sagt das mit einer Miene, als hätte er gerade in eine unreife Zitrone gebissen.

Stefan M. immerhin hat sich aus seiner Opferrolle befreit, als er endlich bemerkte, dass ihm böse mitgespielt wurde, und ist zur Polizei gegangen. Und die hat sich der Causa mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln angenommen und Ceca M. eine Falle gestellt: Ein „nicht-öffentlich ermittelnder Polizeibeamter“ – im Behördendeutsch „NOEP“ genannt – wanzte sich wie eingangs erwähnt an die Frau auf der Steinernen Brücke, die dort wieder lauerte, heran. Man kam ins Gespräch, und Ceca M. witterte das nächste Opfer.

Am 16. Mai um 15 Uhr vereinbarte die 27-Jährige ein Treffen mit dem Beamten, Deckname „Thomas“, der vorgab, einen Geldbetrag von insgesamt 250.000 Euro geschenkt bekommen zu haben. Wieder bot die Angeklagte an, das Geld zu „reinigen“.

Die beiden trafen sich am Bahnhof in Ulm und gingen zur Kirche Sankt Michael zu Wengen. Doch sie waren nicht allein: Ihnen folgten jeweils zwei Observationsteams; eines von der Polizei und eines der Täter-Familie M. Der NOEP-Führungsbeamte sagte am Donnerstag aus, dass er die Familienmitglieder von Ceca M. durchaus bemerkt habe und „Thomas“ allein lassen musste, um nicht aufzufliegen. „Die waren richtig professionell“, so der Polizist. „Die schauten ab und an in Schaufenster, aber vom gesamten Erscheinungsbild her passten die sehr gut zu Ceca M.“

In der Kirche erklärte das „Medium“ dem vermeintlichen „Thomas“, dass er spirituell „krank“ und sie in der Lage sei, ihn zu heilen. Dazu überreichte sie ihm laut Anklage eine kleine Glasflasche mit „Medizin“ und hängte ihm einen Rosenkranz um den Hals. Sie vereinbarten ein Treffen am Montag, dem 19. Mai 2025, an seinem Wohnort Plattling, um dort 250.000 Euro in bar sowie Gold und Schmuck nicht bezifferten Wertes zu erhalten. Sie beabsichtigte, nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft, den vollen Betrag an sich zu nehmen und für sich zu behalten, um sich und die weiteren Angeschuldigten „gemäß dem gemeinsamen Tatplan zu bereichern“.

Als „Thomas“ die Kirche verließ, gab er ein vorher vereinbartes Handzeichen, und von allen Seiten stürmten Polizisten in Zivil auf die vier Familienmitglieder zu und nahmen sie fest. Ceca M. geriet an den Richtigen. Sie blieb als Einzige des Quartetts bis zum heutigen Tag in Untersuchungshaft.

Die Zeit im Gefängnis dürfte sich bald erledigt haben. Am 9. Dezember soll bereits das Urteil fallen; bis dahin müssen die 200.000 Euro bei Stefan M. gelandet sein. Pschorr machte sich in seiner Stellungnahme zum Verständigungsvorschlag selbst Mut, als er sagte, dass die Angeklagte nur ein „kleines Licht in einer dunklen Ecke“ der Organisation sei. Wie die genau aussieht, bleibt wieder einmal offen.

Richter Zenger gibt Ceca M. noch auf dem Weg, sich doch nun auf den rechten Pfad der Tugend zu bewegen, immerhin habe sie ein kleines Kind zu Hause.

Ceca M. nickt stumm.

Chefreporter Per Hinrichs schreibt über Kriminalität, Justiz und weitere Gesellschaftsthemen.

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