Die knappe Mehrheit der Koalition wackelt. Zwar verfügt Schwarz-Rot über eine Mehrheit von zwölf Stimmen im Parlament. Zur Jungen Gruppe, die aber vehement auf eine Reform beim Rentenpaket drängt, zählen aber 18 Abgeordnete. Das heißt, dass die Koalition von CDU, CSU und SPD ohne sie keine eigene Mehrheit hat.
Derzeit sieht es danach aus, als könnten einige Abgeordnete der Jungen Gruppe dem Gesetzentwurf am Ende doch im Bundestag zustimmen, um eine Regierungskrise zu verhindern. Beide Varianten – Zustimmung oder Regierungskrise – sind aus Sicht von Ökonom Daniel Stelter verheerend.
„Eine Regierungskrise kann sich in der heutigen Lage keiner wünschen“, stellt Stelter bei WELT TV klar. Deutschland brauche aktuell nichts dringender als eine handlungsfähige Regierung. Eine Zustimmung zum Rentenpaket in seiner jetzigen Form wünscht sich der Ökonom aber auch nicht, „weil der Verdacht sehr nahe liegt, dass das passiert, was schon in der Vergangenheit passiert ist: dass jetzt versprochen wird, ‚Irgendwann machen wir mal Reformen‘ und die Reformen kommen nicht“.
Der Strategieberater erinnert daran, als die schwarz-rote Regierung das 1000 Milliarden Euro teure Schuldenpaket beschlossen und Reformen versprochen hat. Monate später seien aber keine Änderungen abzusehen: „Herbstreformen sind vorbei, jetzt kommt der Winter.“ Vor diesem Hintergrund wünscht sich Stelter, dass das Rentenpaket in seiner jetzigen Form nicht zustande kommt, „aber nicht, damit die Regierung scheitert, sondern damit die Regierung endlich erkennt, dass dringend Reformen angebracht sind.“ Diese Erkenntnis fehlt aus seiner Sicht bislang.
Die Unions-Führung hat den jungen Renten-Rebellen mittlerweile verschiedene Angebote unterbreitet, um die Abgeordneten doch noch zur Zustimmung zu bewegen. Unter anderem soll die geplante Rentenkommission früher eingesetzt und die Ergebnisse früher präsentiert werden. Doch mit welchem Druck kann die Union beziehungsweise die junge Gruppe dann noch Reformen durchsetzen? Stelter verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Kommission, die die Schuldenbremse reformieren soll, und spricht von einem „schlimmen System“.
„Eigentlich geht es doch darum, die Schuldenbremse zu schleifen“, sagt Stelter und führt aus, dass das Rentenniveau möglichst lange hochgehalten werde. Dafür müssten hohe staatliche Ausgaben festgeschrieben werden, weil die Rentenzahlungen statt über die Rentenbeiträge der Arbeitnehmer über Steuern finanziert werden müssten. Das wiederum treibe die Staatsausgaben hoch.
Dann stellt sich laut Stelter irgendwann wieder die Frage, wie die finanzielle Lücke bei der Rentenfinanzierung geschlossen werden kann. Steuererhöhungen wären da ein altbewährtes Mittel. „Die SPD ist ja ganz groß dafür, weil angeblich die Steuern nicht hoch genug sind“, führt Stelter aus und ergänzt. „Das ist Gift für den Standort, das wäre ganz falsch, aber ist nicht auszuschließen.“
Jetzt höhere Renten – und in der Zukunft noch mehr Schulden
Eine andere Option wären weitere Staatsschulden. Der Ökonom vermutet deshalb, dass die Kommission irgendwann zu dem Ergebnis kommt, dass die Schuldenbremse geschliffen werden muss. „Also heißt es: Wir beschließen jetzt höhere Renten für die Zukunft, damit wir in Zukunft ein Argument haben, mehr Schulden zu machen und noch mehr Steuern zu erheben“, so der Ökonom.
Immer weiter Steuern zu erhöhen könne aber doch nicht die Lösung sein. „Wenn Frau Bas und die SPD oder die Politik überhaupt etwas tun wollte, um Renten für die Zukunft sicherzumachen, dann müssten sie sich darum kümmern, dass die Wirtschaft gut läuft“, fordert Stelter nachdrücklich. Das sei die wichtigste Voraussetzung für den Wohlstand aller und zugleich Grundlage dafür, künftig auskömmliche Renten zu zahlen.
Gerade hat der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI angesichts der wirtschaftlich prekären Lage vom tiefsten Absturz seit dem Bestehen der Bundesrepublik gesprochen. „Und wir diskutieren über sonst was für Themen“, ätzt Stelter. „Wir diskutieren aber nicht darüber, was in diesem Bereich getan werden muss.“ Jetzt wieder Kommissionen einzusetzen sei genau der falsche Weg. „Die Hütte brennt, die Feuerwehr muss jetzt ausrücken.“
Dass es in absehbarer Zeit dazu kommt, bezweifelt der Ökonom aber mit Blick auf die aktuellen politischen Debatten. „Ich bin skeptisch, dass dann die Reformen kommen, die wir dringend brauchen. Und das ist dramatisch.“
Angesprochen auf die Kritik an Arbeitsministerin Bärbel Bas nach ihrem Auftritt auf dem Juso-Bundeskongress, sagte Stelter: „Wo hat eigentlich die SPD mal was getan? Das Bürgergeld, die sogenannte Bürgergeldreform, wenn wir ehrlich sind, ist ein Etikettenschwindel.“ Da ändere man den Namen, aber nicht den Inhalt. „Wir haben eine reformunfähige Regierung. Wir brauchen aber eine, weil eine Alternative gibt es nicht. Vor dem Hintergrund wäre meine große Hoffnung, dass bei irgendjemandem die Vernunft einkehrt. Ich sehe aber nicht wie, leider Gottes.“
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