Anfang November kündigten die zuständigen Berliner Ministerien in einer Pressemitteilung an, den Wolf ins Bundesjagdgesetz aufnehmen zu wollen. Seitdem ringen Wolfsfreunde und die, die den Wolf regulieren wollen, um die Gesetzesnovelle. Erstere wollen keine Jagd auf den Wolf. Letztere wurden misstrauisch, weil in der Pressemitteilung des Bundesumwelt- und des Landwirtschaftsministeriums nur vom Jagdgesetz die Rede war, in das der Wolf nun soll – aber nicht vom Naturschutzgesetz, das ihm seinen hohen Schutzstatus gewährt.
Den grauen Beutegreifer privilegieren nämlich beide Gesetze – das Jagdgesetz, indem es ihn von der Jagd ausnimmt, und das Naturschutzgesetz, indem es dem Wolf als „streng geschützt“ seine bisherige Immunität verleiht. Wieso schwieg die Presseerklärung dazu – sollte da etwa getrickst werden?
Einer war auf Zack. Olaf Lies, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten, fiel die Lücke auf. Am 7. November, einem Freitag, veröffentlichten die beiden Ministerien ihre Presseerklärung. Nicht mal das Wochenende ließ der Niedersachse verstreichen. Schon am Sonntag gab Lies eine Pressemitteilung heraus, die den unausgesprochenen Punkt ansprach: Auch eine Änderung im Naturschutzgesetz müsse her: Der Wolf muss nicht nur bejagt werden dürfen, er muss seinen privilegierten Schutzstatus verlieren. Auf Anfrage erklärte das Landwirtschaftsministerium jetzt: Im Referentenentwurf des Gesetzes „ist vorgesehen, die im Bundesnaturschutzgesetz enthaltenen Sonderregeln für den Wolf zu streichen“.
Solche taktischen Finten zeigen, wie heikel das Thema ist. Den Wolf bejagen zu wollen, war, so scheint es, Provokation genug, da wollte man nicht auch noch herausposaunen, dass er aus dem strengen Naturschutz fliegt. Und das sind nur Spielzüge auf der juristischen Oberfläche. Unter ihr, in Wald und Flur, tobt der Kampf um den Wolf mit harten Bandagen.
Er wird teils lautstark bei ländlichen Versammlungen ausgetragen und manchmal auch mit Gewalt. Wird irgendwo ein geplanter Abschuss eines Problemwolfs, der viele Nutztiere gerissen hat, bekannt, müssen die Jäger, die ihn schießen sollen, nicht nur mit Shitstürmen rechnen, sondern auch mit Remmidemmi im Revier oder gar mit abgefackelten Hochsitzen. Kein Wunder, wenn Jäger fordern, dass ihnen, wenn sie einen solchen Wolf erlegen sollen, Anonymität gewährt wird.
Die Interessen der Jäger vertritt Helmut Dammann-Tamke als Präsident des Deutschen Jagdverbandes (DJV). Das Thema Wolf kennt er selbst gut: „Ich komme aus Niedersachsen – heute das Wolfsland Nummer eins. Und wir sehen, dass etwa 20 Prozent unserer Wolfsrudel für rund 70 bis 80 Prozent der Nutztierrisse verantwortlich sind.“ Eine der Forderungen der Jäger an die Novelle: „Diese Rudel müssen wir komplett rausnehmen und die anderen, unauffälligen Rudel in ihrer Sozialstruktur unbehelligt lassen.“
Noch etwas müsse anders geregelt werden als in der Novelle: „Wir müssen beweisen, dass wir die Wolfspopulation wildbiologisch sinnvoll managen können. Und wir Jäger wissen, wie das geht. Wie bei anderen Wildarten auch, müssen wir, wenn wir den Bestand regulieren wollen, in die Jugendklasse eingreifen.“ Also den Wolf von Juni bis Oktober bejagen, „wenn wir Jung- und Altwölfe zuverlässig unterscheiden können. Und nicht von September bis Februar, wie es der Entwurf zum Jagdgesetz vorsieht.“ Mache man es so wie die Novelle es will, werde die Sozialstruktur im Rudel zerstört. „Dann schaffen wir einen Klub pubertierender Halbstarker, und die Risse von Nutztieren nehmen wahrscheinlich noch zu.“
Vor 15 Jahren, sagt Dammann-Tamke, habe es sechs Rudel in Deutschland gegeben, alle in der Lausitz. „Damals sagten uns die Verfechter der Rückkehr des Wolfs zwei Dinge: Der Wolf ist ein so heimliches und seltenes Tier, dass Sie wohl nie im Leben einen sehen werden. Und: Der Wolf ist körperlich gar nicht fähig, größere Tiere als Schafe zu reißen. Heute wissen wir, das waren Grimms Märchen.“ Der Wolf werde immer selbstbewusster und komme dem Menschen immer näher. „Und natürlich reißt er auch große Tiere wie Kühe und Pferde.“
Die Stimmung scheint sich zu drehen. Knapp über die Hälfte der Deutschen hält die Wolfsjagd zum Schutz von Weidetieren für ethisch vertretbar, auf dem Land sind es sogar knapp zwei Drittel, wie eine aktuelle repräsentative Umfrage des Instituts Civey im Auftrag des DJV ergab.
Das sieht der Naturschutzbund Nabu völlig anders. „Wir erachten die Aufnahme des Wolfs ins Bundesjagdgesetzt nicht als notwendig, um ein möglichst konfliktarmes Nebeneinander von Menschen, Wölfen und Weidetieren zu erreichen“, teilte er auf Anfrage mit. Problematische Wölfe, die Schäden an Weidetieren trotz Herdenschutz verursachten oder sich auffällig Menschen gegenüber verhielten, könnten „auch über das Naturschutzrecht entnommen, das heißt getötet werden“. Dass dies eher selten passiere, liege vor allem daran, dass sich die meisten Wölfe in Deutschland nicht auffällig verhielten und kein Grund bestehe, sie zu entnehmen. „Eine reguläre, anlasslose Bejagung, wie jetzt im Gesetzesentwurf vorgesehen, lehnen wir ab.“
Wölfe, erklärt der Nabu, lernten durch Bejagung nicht, Abstand zu Weiden zu halten, denn nicht die Weidetiere stellten eine Gefahr für sie dar. Eventuell zeigten bejagte Wölfe eine höhere Fluchtdistanz gegenüber Menschen – „doch dies hilft bei der Vermeidung von Rissen nicht, wenn die Halter vor allem nachts nicht bei ihrer Herde sind, um Wölfe zu vertreiben“. Elektrozäune oder Herdenschutzhunde hätten eine um ein Vielfaches effizientere abschreckende Wirkung auf Wölfe.
Zur Jagd auf Problemwölfe indes sagt der Nabu: „Ja – Wölfe, die trotz empfohlenem Herdenschutz Risse verursachen, sollten in letzter Konsequenz auch geschossen werden können. Dieses Verhalten zeigen nur sehr wenige Wölfe.“ Im Prinzip also solle alles so bleiben, wie es ist. Allenfalls auf Landesebene könne man die bestehenden Regeln hier und da nachjustieren.
Ein beliebtes Argument der Wolfsfreunde, wenn es um Wolfsrisse geht, schiebt den Weidetierhaltern den Schwarzen Peter zu: Sie schützten ihre Herden schlecht. In Niedersachsen etwa zeigten laut Nabu offizielle Zahlen, „dass in circa 80 Prozent der gemeldeten Risse an Schafen kein oder nur ein ungenügender Herdenschutz bestand.“
Diesen Vorwurf empfinden Weidetierhalter als Schutzlastumkehr. Nicht der Wolf, der ihre Tiere reißt, ist der Übeltäter – sie selbst sind es, weil sie ihre Zäune nicht hoch genug bauen. Gina Strampe, Sprecherin der Interessengemeinschaft Weidetierhalter Deutschland, wehrt sich dagegen: „Die Zahl der Wolfsrisse steigt kontinuierlich“, sagt sie, weshalb ja die Bundesregierung das Gesetz anpassen wolle. „Wölfe lernen schnell und sind intelligente Tiere. Sie geben ihr Wissen und Erfahrungen an die Welpen weiter. Wölfe, die gelernt haben Zäune zu überwinden, werden es immer wieder versuchen.“
Millionen Euro für Herdenschutz & Prävention
Die Belastung durch Herdenschutzmaßnahmen wachse, so Strampe. Vielfach – etwa bei Deichschafhaltung, Schaf- und Ziegenhaltung allgemein, Almwirtschaft, Rinder- und Pferdehaltung und in Abkalbe-Perioden „reicht gute Schutztechnik praktisch nicht mehr aus“.
Sie nennt Zahlen: Laut der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf wurden 2024 an Weidetierhalter 780.400 Euro für Wolfsrisse ausgezahlt. „Gleichzeitig wurden 23.400.000 Euro in den Herdenschutz und Präventionsmaßnahmen investiert.“ Für weitere Schäden wie Tierarztkosten oder Zuchtwertverluste gebe es oft keinen finanziellen Ausgleich. Kleinere Betriebe meldeten mittlerweile ihre Übergriffe nicht mehr – seien doch nach Wolfsrissen immer wieder Wolfsfreunde an den Weiden aufgetaucht, die behauptet hätten: „Der Zaun war nicht richtig aufgebaut.“
Weidetierhalter, sagt Strampe, seien nicht prinzipiell gegen den Wolf. „Es gibt Gebiete in Deutschland, wo der Wolf seinen Lebensraum finden kann oder gefunden hat. Nicht alle Bundesländer sind dicht besiedelt.“ Der Wolf solle weiterhin in Deutschland leben – „jedoch unter Bedingungen, die Konflikte reduzieren. Ein aktives, rechtssicheres Bestandsmanagement ist daher zwingend notwendig, um die Koexistenz zu ermöglichen.“
DJV-Chef Dammann-Tamke war am 25. November im Bundestag. Vor der offiziellen Verbändeanhörung hat er die Vorschläge der Jäger einer Gruppe von Parlamentariern vorgestellt. „Wir hatten den Eindruck“, sagt er, „dass sie positiv aufgenommen wurden.“ Die Verbändeanhörung endete am 3. Dezember. Das Landwirtschaftsministerium sagte WELT: Nach Auswertung der Stellungnahmen der Verbände „streben wir zeitnah die Kabinettsbefassung an“.
Dem ist so, schon am 17. Dezember soll die Novelle ins Kabinett. Dann muss sie noch durch den Bundesrat, und in etlichen Landesregierungen sitzen Minister der Grünen, die bisher eher zu den Wolfsfreunden hielten.
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