Die Berliner Republik scheint nervös in den Stunden vor der Renten-Abstimmung am Freitagvormittag im Bundestag. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat sie durch seine Forderung nach einer absoluten „Kanzler-Mehrheit“ für das Rentenpaket mit noch mehr Bedeutung aufgeladen, als ihr bislang ohnehin zugeschrieben worden war. Und unter den Oppositionsparteien Grüne und Linke ist ein Streit ausgebrochen über das richtige Verhältnis zur schwarz-roten Renten-Politik.
Hintergrund: Die Linke hat angekündigt, sich bei der Renten-Abstimmung zu enthalten. Das erleichtert es Schwarz-Rot, trotz etwaiger Abweichler in den eigenen Reihen eine Mehrheit zu erringen, weil die Linken-Enthaltung die für einen Erfolg nötige Anzahl an Ja-Stimmen senkt.
Dafür attackiert sie nun der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch: „Die Linke hat die Revolution ausgerufen und landet als Mehrheitsbeschaffer von Friedrich Merz“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. Im Gegensatz zu den Linken wollen die Grünen am Freitag hart bleiben, betonte Audretschs Fraktionschefin Britta Haßelmann ebenfalls gegenüber der „Süddeutschen“.
Denn für die Grünen gelte: „Wer unsere Zustimmung für ein Gesetz will, muss mit uns reden. Wir haben Vorschläge zur Rente gemacht, die das Rentenniveau länger stabil halten und gerechter gegenüber der jungen Generation sind“, so Haßelmann. Ihre Fraktion hatte ein eigenes Renten-Reform-Konzept vorgelegt; Grünen-Chefin Franziska Brantner hatte zudem im Interview mit WELT zuletzt laut über eine langfristige Anhebung des Renten-Eintrittsalters nachgedacht.
„Auf einmal“ zeigten die Grünen „Rückgrat“
Für die Linkspartei ist dergleichen kaum denkbar; gegen den Grünen-Angriff schoss die Linken-Chefin scharf zurück. „Die Grünen biedern sich seit Monaten der Koalition an, um mitzuregieren“, sagte Linken-Chefin Ines Schwerdtner. Und weiter: Ausgerechnet jetzt, wo es darum gehe, die Renten zu sichern, entdeckten die Grünen „auf einmal ihr Rückgrat. Die Grünen, die Junge Gruppe der Union und die Arbeitgeberverbände stehen auf der anderen Seite der Barrikade“, sagte Schwerdtner.
Schwerdtners Bundestagsfraktion habe lange abgewogen, wie sie sich zum Rentenpaket verhalten solle. Zustimmen könne man dem Paket zwar wegen Schwachpunkten nicht, so die Linken-Chefin. Ablehnen könne man es aber auch nicht, „weil wir einerseits für die Mütterrente und andererseits für die Absicherung des Rentenniveaus sind“.
Die Fraktionschefin der Linkspartei selbst, Heidi Reichinnek, sagte zu dem Disput am Donnerstagabend im „heute journal update“: „Ich helfe weder den Unionsparteien noch Friedrich Merz oder Jens Spahn“. Zwar sei das Rentenpaket „bei weitem nicht genug“, beteuerte Reichinnek – es sei aber besser, „das zu sichern, was es jetzt gibt, als dabei zuzusehen, wie noch mehr Rentnerinnen und Rentner in Armut fallen.“
Die Deutschen dürften den Schritt der Linkspartei begrüßen. Laut Deutschlandtrend vom Donnerstag, den Infratest Dimap im Auftrag der ARD- „Tagesthemen“ und WELT erhebt, sind drei von vier Deutschen gegen eine Absenkung des Rentenniveaus auf unter 48 Prozent des durchschnittlichen Einkommens. Genau eine solche Festschreibung des Renten-Niveaus zumindest bis 2031 will Friedrich Merz auf Betreiben der SPD hin am Freitagvormittag beschließen lassen.
Der Deutschlandtrend zeigt auch: Renten-Reformen gegenüber sind die Deutschen nur teils aufgeschlossen. Eine Erhöhung des Renten-Eintrittsalters auf 70 Jahre zum Beispiel ginge für vier von fünf Wahlberechtigten (81 Prozent) in die falsche Richtung. Nur jeder Sechste (16 Prozent) fände das richtig. Einen vorzeitigen Renteneintritt nur noch aus gesundheitlichen Gründen zu ermöglichen, hielte dagegen eine knappe Mehrheit für richtig; 47 Prozent hielten es für falsch.
Mehrheitliche Zustimmung bekam der Vorschlag, Beamte, Selbstständige und Politiker in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen: 83 Prozent fänden das richtig, 11 Prozent falsch. Und die Einführung der sogenannten Aktivrente, mit der Rentner, die weiterarbeiten, monatlich bis zu 2000 Euro steuerfrei hinzuverdienen können sollen, wird von 78 Prozent befürwortet. Die Aktivrente ist gleichfalls Teil des Rentenpakets, über das der Bundestag am Freitag abstimmt.
„Sicher, dass das durchgehen wird“, meint Bas
Am Vorabend der Abstimmung gaben sich mehrere schwarz-rote Spitzenpolitiker sicher, dass diese gelingen werde. Die SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas sagte in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“: „Ich bin sicher, dass das durchgehen wird.“ Die angekündigte Enthaltung der Linken wertete sie als Beleg dafür, dass das Rentenpaket gute Inhalte habe.
Durch die Enthaltung der Links-Fraktion würden der Koalition bereits 284 Stimmen für die Gesetzes-Verabschiedung ausreichen. Spitzenleute von Union und SPD betonten im Vorfeld der Abstimmung jedoch, eine Mehrheit unabhängig vom Stimmverhalten der Linken anzustreben. Das wäre dann eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen. In der Regel fehlen bei jeder namentlichen Abstimmung im Bundestag einige Abgeordnete. Wären also zum Beispiel 620 anwesend, würden 311 Stimmen reichen.
Kanzler Merz aber hat die Latte – Stichwort „Kanzler-Mehrheit“ – höher gelegt. „Wir haben 630 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Die Mehrheit ist 316. Wir haben 328, und ich würde mir ein Ergebnis wünschen zwischen 316 und 328“, sagte er nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder in Berlin am Donnerstag. Sein Fraktionschef Jens Spahn (CDU) hatte sich optimistisch gegeben, dieses Ziel erreichen zu können. Die Gespräche, die er derzeit mit den CDU/CSU-Abgeordneten führe, deuteten darauf hin, „dass wir das Erreichen“, so Spahn.
In der Union stemmen sich seit Wochen junge Abgeordnete gegen die Regierungspläne zur Stabilisierung des Rentenniveaus. Sie argumentieren, dass diese Kosten die künftigen Generationen übermäßig belasteten. Am Dienstag fand eine Probeabstimmung in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion statt, bei der offenbar rund 15 Abgeordnete gegen die Rentenvorlage stimmten. Seitdem laufen intensive Gespräche mit den Kritikern, um ein Scheitern des Vorhabens zu verhindern. Mit welchem Erfolg – das wird der Vormittag zeigen.
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