Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu haben die heftigen Turbulenzen in den Beziehungen beider Länder während der vergangenen Monate zu einem großen Teil abgehakt. Beim Antrittsbesuch des Kanzlers in Jerusalem legten sie den Streit über die zwischenzeitlich weitgehend ausgesetzten deutschen Rüstungsexporte nach Israel ad acta und beschworen die besondere Partnerschaft zwischen beiden Ländern.
„Ich komme als ein Freund des Landes, als ein Freund Israels, der weiß, dass die Freundschaft zwischen Deutschland und Israel unendlich wertvoll und kostbar ist“, sagte Merz. Er bekannte sich wie alle seine Vorgänger zur besonderen Verantwortung Deutschlands für das Existenzrecht Israels – allerdings ohne den von Angela Merkel (CDU) geprägten und von Olaf Scholz (SPD) übernommenen Begriff der „Staatsräson“ zu verwenden.
Stattdessen trug er ins Gästebuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ein, das Einstehen Deutschlands für die Sicherheit Israels gehöre „zum unveränderlichen Wesenskern“ der Beziehungen beider Länder. „Das gilt für heute, das gilt für morgen und das gilt für immer.“
Netanjahu sprach von einem „historischen Wandel“ der Beziehungen beider Länder und hob dabei die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich hervor. „Nicht nur Deutschland arbeitet für die Verteidigung Israels, sondern Israel, der jüdische Staat, arbeitet 80 Jahre nach dem Holocaust für die Verteidigung Deutschlands“, sagte Netanjahu. „Und das ist ein historischer Wandel, der in einer Zeit großer internationaler Turbulenzen und Veränderungen stattfindet.“
Gemeint ist vor allem das gerade erst in Betrieb genommene israelische Raketenabwehrsystem Arrow 3, das Deutschland vor russischen Raketenangriffen schützen soll. Deutschland liefert umgekehrt schon seit Jahrzehnten auch größere Waffensysteme nach Israel, zuletzt vor allem U-Boote, die teilweise mit deutschen Steuergeldern finanziert sind.
Keine Einladung an Netanjahu nach Deutschland
Ein heikles Thema umschiffte Merz bei dem Besuch. Eine Gegeneinladung Netanjahus nach Deutschland sei derzeit kein Thema, sagte er. „Dafür gibt es im Augenblick auch keine Veranlassung, darüber zu sprechen. Wenn es die Zeit erlaubt, dann würde ich gegebenenfalls eine solche Einladung aussprechen, aber das ist zum jetzigen Zeitpunkt für uns beide kein Thema.“
Gegen Netanjahu liegt seit November 2024 ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) wegen Kriegsverbrechen im Gazastreifen vor. Netanjahu weist die Vorwürfe entschieden zurück. Israel erkennt das Gericht nicht an und fordert eine Aufhebung der Haftbefehle.
Netanjahu sagte, natürlich würde er sich freuen, Deutschland wieder zu besuchen und dort mit dem Bundeskanzler zu sprechen. Er verwies aber auf den Haftbefehl, den er erneut scharf kritisierte.
Merz: Kritik an Regierung darf nicht zu Antisemitismus werden
Netanjahu warnte während der Pressekonferenz mit Merz vor einem gefährlichen Wiedererstarken des Antisemitismus in aller Welt. Ungeachtet der Gräueltaten der Hamas-Terroristen gegen Zivilisten am 7. Oktober 2023 würden bei Demonstrationen in internationalen Hauptstädten Flaggen der Terrororganisation getragen, beklagte er. „Dies ist empörend.“ Die Demonstranten gingen für die Hamas auf die Straße und beschuldigten Israel dann der schlimmsten Verbrechen.
„Kritik an der israelischen Regierung ist möglich und manchmal vielleicht sogar notwendig“, sagte Merz. „Das halten die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel auch aus. Aber Kritik an der Politik der israelischen Regierung darf nicht als Vorwand für Antisemitismus missbraucht werden“, mahnte Merz. Er fügte hinzu: „Schon gar nicht in Deutschland, auch das zählt zu unserer geschichtlichen Verantwortung.“
Das Recht zur Kritik an Israel nimmt Merz dann auch für sich selbst in Anspruch. Das weltweit kritisierte Vorgehen der israelischen Armee im Gaza-Streifen habe seine Regierung „in ein gewisses Dilemma geführt“, sagte der Kanzler – es war ein Dilemma, das ihn im August zu der Entscheidung für ein Teil-Waffenembargo gegen Israel führte; eine Entscheidung, die in Israel für Empörung gesorgt hatte.
Merz betont: Anerkennung Palästinas nur am Ende der Verhandlungen
Nach zwei Jahren Krieg im Gaza-Streifen zwischen Israel und der Hamas gilt dort seit zwei Monaten eine fragile Waffenruhe. In einer ersten Phase des von US-Präsident Donald Trump vermittelten Waffenruhe-Abkommens hatte die Hamas alle von ihr noch festgehaltenen lebenden Geiseln freigelassen. Auch die Leichname getöteter Geiseln wurden von den Islamisten inzwischen fast alle übergeben. Nur die Übergabe eines Leichnams steht noch aus.
Netanjahu sprach während der Pressekonferenz nun von „Gelegenheiten für Frieden“ in der Region, aber lehnte zugleich einen unabhängigen palästinensischen Staat weiter ab. „Die iranische Achse ist zerschlagen“, sagte er. „Wir glauben, dass es einen Weg gibt, einen umfassenderen Frieden mit den arabischen Staaten voranzubringen, und auch einen Weg, einen funktionierenden Frieden mit unseren palästinensischen Nachbarn zu schaffen“, betonte Netanjahu. „Aber wir werden keinen Staat vor unserer Haustür schaffen, der sich unserer Zerstörung verschrieben hat.“
Merz sagte, man arbeite „mit an dem Ziel eines neuen Nahen Ostens“, in dem auch der Staat Israel von seinen Nachbarn anerkannt werde. „Unsere Überzeugung lautet, die perspektivische Gründung eines palästinensischen Staates an der Seite Israels eröffnet vermutlich die beste Aussicht auf diese Zukunft.“
Es gehe zunächst darum, Schritt für Schritt den Friedensplan der US-Regierung zu implementieren. Merz betonte: „Was an dessen Ende steht, weiß heute von uns niemand. Und weil das so ist, hat auch die Bundesregierung anders als andere europäische Staaten von einer frühzeitigen Anerkennung eines palästinensischen Staates Abstand genommen. Wir werden das auch in absehbarer Zukunft nicht tun.“ Einem solchen Staat fehlten bis jetzt alle Voraussetzungen dafür, überhaupt ein selbstständiger Staat sein zu können. Zugleich forderte der Kanzler aber auch, dass es im Westjordanland keine Annexionsschritte geben dürfe.
Netanjahu sagte, die erste Phase des Gaza-Plans von US-Präsident Donald Trump sei „fast vorbei“, im Gaza-Streifen befinde sich noch die Leiche einer Geisel. Eine Entwaffnung der islamistischen Terrororganisation Hamas sei eine Vorbedingung für eine friedliche Regelung, betonte er mit Blick auf das weitere Vorgehen. Die zweite Phase des Waffenruhe-Plans werde schwieriger sein als die erste.
Die Hamas erklärte sich am Samstag unter bestimmten Bedingungen zur Abgabe ihrer Waffen bereit. Voraussetzung sei ein Ende der „Besatzung“, erklärte Anführer Chalil al-Hajja. Wie das Büro von al-Hajja auf Nachfrage der Nachrichtenagentur AFP präzisierte, forderte der Hamas-Anführer damit einen souveränen Palästinenserstaat, an den die Hamas bei einem Rückzug der israelischen Armee ihre Waffen übergeben könnte.
Merz in Yad Vashem
Vor seinem Treffen mit Netanjahu hatte sich Merz bei einem Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zu der dauerhaften deutschen Verantwortung für Israel bekannt. Der Bundeskanzler schrieb ins Gästebuch: An diesem Ort sei „mit Händen zu greifen, welche bleibende historische Verantwortung Deutschland trägt“. Er verneige sich „vor den sechs Millionen Männern, Frauen und Kindern aus ganz Europa, die von Deutschen ermordet wurden, weil sie Juden waren“.
Und versprach: „Wir werden die Erinnerung lebendig halten an das furchtbare Verbrechen der Shoa, das Deutsche am jüdischen Volk begangen haben.“
Nach seinem Treffen mit dem Ministerpräsidenten kam Merz in Jerusalem noch zu einem Gespräch mit ehemaligen Hamas-Geiseln und Angehörigen getöteter Geiseln zusammen. Auf seinem X-Account veröffentlichte der Kanzler ein Foto des Treffens. Zudem traf er die Oppositionspolitiker Jair Lapid und Benny Gantz zu einem Meinungsaustausch.
Merz war am Samstagabend zu seinem ersten Besuch in Israel seit seinem Amtsantritt als Bundeskanzler eingetroffen. Bereits bei einem Treffen mit dem israelischen Präsidenten Isaac Herzog nach seiner Ankunft hatte er die dauerhafte deutsche Unterstützung für Israel bekräftigt.
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