Nach dem mühsam erkämpften Renten-Beschluss von Union und SPD werden Forderungen nach einem grundlegenderen Umbau der Sozialsysteme laut. Sie kommen aus den Bundestagsfraktionen, aber auch von Ministerpräsidenten der Länder. Hoffnung, aber auch Kritik richten sich auf die geplante Renten-Kommission, die noch vor Weihnachten ihre Arbeit aufnehmen soll.
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) etwa regte in der WELT AM SONNTAG an: „Aus meiner Sicht wäre es zum Beispiel wichtig, die Frühstart-Rente deutlich auszubauen. Wir brauchen nicht immer nur weitere Milliarden für ein bestehendes System unter massivem Finanzierungsdruck, sondern kluge Anreize für private Vorsorge und eine Altersvorsorge von Geburt an mit einer echten und tragfähigen Frühstart-Rente für die junge Generation.“ Gleichzeitig müsse eine „Abschaffung des Bürgergelds und damit eine Rückkehr zu einer positiven Leistungskultur und zu Anreizen für Arbeit statt für Arbeitslosigkeit“ rasch kommen.
Zu viele Ausnahmen
Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) sagte am Wochenende in der ARD, man brauche ein „völlig neues Rentensystem“. Es werde in der geplanten Kommission „keine Denkverbote“ geben. Besetzt werden soll diese mit Politikerinnen und Politikern der Koalition und mit Fachleuten aus der Wissenschaft. Die Kommission will auch für die Koalition kontroverse Themen angehen – von der Frage einer weiteren Verlängerung der Lebensarbeitszeit über 67 hinaus für gesetzlich Versicherte, über die Einbeziehung weiterer Gruppen in die gesetzliche Rente – also eventuell von Beamtinnen und Beamten – bis hin zu Beiträgen auch auf Kapitaleinkünfte.
Das Kabinett könnte die Kommission in ihrer Sitzung am 17. Dezember einsetzen. Nach Ende des zweiten Quartals 2026 sollen Vorschläge für Grundsatz-Reformen bei gesetzlicher und privater Rente vorliegen. Auf dieser Basis will die Koalition weitere grundlegende Gesetze zur Rente machen.
„Wir sind bereit zu einer Reform im Rentensystem, die es auch kleinen und mittleren Einkommen ermöglicht, ihren Lebensstandard im Alter zu halten“, sagte die stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt. „Ich bin zuversichtlich, dass die Rentenkommission dazu gute Vorschläge erarbeiten wird.“ Grundsätzlich müsse man sich allen Baustellen im Sozialstaat zuwenden, „wo wir viel Geld ausgeben und die Menschen trotzdem oftmals das Gefühl haben, dass es für sie nicht gut funktioniert“, sagte Schmidt, „etwa im Gesundheitssystem“. Der Sozialstaat müsse einfacher und verständlicher werden.
„Fokus der Kommission müsste auf der Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung liegen“, kritisierte die rentenpolitische Sprecherin der Linken, Sarah Vollath. „Stattdessen setzt die Union mit ihren Forderungen nach mehr privater Vorsorge und längerer Lebensarbeitszeit darauf, die GRV weiter zu schwächen.“ Auch bei Kranken- und Pflegeversicherung gebe es zu viele Ausnahmen. „Unser Vorschlag der solidarischen Gesundheitsversicherung sieht vor, dass alle in Deutschland lebenden Menschen sich nach ihrem Einkommen an der Finanzierung des Gesundheitssystems beteiligen.“
„Es ist Zeit für grundlegende Reformen“, sagte der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch. „Die gesetzliche Rente muss verlässlich sein, nicht nur für ein paar Jahre, sondern für immer, sodass junge Menschen von heute wieder darauf vertrauen können.“ Um die Finanzierung der Rente zu sichern, müssten künftig alle einzahlen, auch Abgeordnete.
Die AfD-Fraktion möchte die Basis der Beitragszahler verbreitern, „indem perspektivisch auch neue Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Die Altersgrenze von 67 ist zu sichern, 45 Beitragsjahre müssen aber unabhängig vom Einstiegsalter ausreichen“, sagte der arbeitspolitische Sprecher der Partei René Springer. Ohne eine Kehrtwende in der Migrationspolitik allerdings bleibe jede Reform „Flickwerk“.
Nach monatelangen Diskussionen hatte der Bundestag am vergangenen Freitag das Rentengesetz mit Kanzler-Mehrheit beschlossen. Die Junge Gruppe der Unionsfraktion hatte zuvor mit Ablehnung des Gesetzes gedroht, weil das Rentenniveau auch nach 2031 um rund einen Prozentpunkt höher als im geltenden Recht liegen soll. Das soll die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler weitere rund 111 Milliarden Euro bis 2040 kosten. Zugutekommen soll das den dann Renten beziehenden Menschen, ihre Bezüge sollen auch nach 2031 nicht so rapide absinken, wie es allein die Demografie mit den immer mehr Älteren nahelegen würde.
Korrespondent Philipp Woldin kümmert sich bei WELT vor allem um Themen der inneren Sicherheit und berichtet aus den Gerichtssälen der Republik.
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