Mit ihrem neuen Strategiepapier hat die US-Regierung die Politiker in den europäischen Hauptstädten aufgeschreckt. Zahlreiche Kommentatoren der internationalen Presse sehen das Dokument als eine Art Scheidungspapier, Freude gibt es hingegen in Moskau.

In der Nationalen Sicherheitsstrategie heißt es, Europa drohe eine „zivilisatorische Auslöschung“; es könnte eines Tages seinen Status als verlässlicher Verbündeter verlieren. Die Europäische Union wird als undemokratisch bezeichnet. Ziel der USA müsse es sein, „Europa bei der Korrektur seines derzeitigen Kurses zu helfen“ und „patriotische“ Parteien zu unterstützen. In dem Papier wird europäischen Regierungen die „Untergrabung demokratischer Prozesse“ vorgeworfen.

Der Überblick über die Pressestimmen:

„Neue Osnabrücker Zeitung“: Trump-Regierung will EU zerstören

„Die Trump-Regierung hat mit Europa gebrochen und arbeitet – genau wie Wladimir Putin – auf die Zerstörung der Europäischen Union hin. In Brüssel klammert man sich weiter an das Mantra, Amerika sei Europas wichtigster Verbündeter. Das kann aber nicht über den Schock hinwegtäuschen, ganz offiziell zum Gegner erklärt zu werden. Die Europäische Union wird nur noch als Abnehmer von Frackinggas akzeptiert. Wo sie – etwa beim Datenschutz gegen Meta und Co. – den Geschäften von Trump und seinen Freunden im Wege steht, wird sie bekämpft.“

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“: Nicht jede Kritik an der EU ist falsch

„Das Strategiepapier zeigt, dass der oft genug erratische Eindruck der Aussagen Trumps nicht bedeutet, dass er planlos vorginge. Es gibt sorgfältig ausformulierte Vorstellungen, wie man sich die internationale Ordnung vorstellt. Für das europäische Nachkriegswerk von Frieden und Wohlstand, kurz EU, bedeutet das Gefahr. Ein Rückfall in nationalstaatliches Konkurrenzdenken würde es zerstören und nicht den Kontinent stabilisieren, wie im US-Papier behauptet. (…) Aber nicht jede Kritik an der EU ist falsch, nur weil sie von Trump herrührt. Das gilt nicht nur für das Thema Migration. Europa ist potentiell stark, das wird in der Doktrin sogar ausdrücklich anerkannt. Es muss aber einiges dafür tun. Angesichts dessen überrascht das weitgehende Schweigen der Bundesregierung nach der Veröffentlichung des Papiers.“

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„Schwäbische Zeitung“: Es braucht endlich ein selbstbewusstes, handlungsfähiges Europa

„Europa muss anerkennen, dass die vielbeschworene Wertegemeinschaft mit den USA zur Fassade geworden ist. Die neue US-Sicherheitsstrategie zeigt: Unter Trump zählt nicht mehr das moralische Band, sondern reines Machtkalkül. Washington arbeitet offen daran, Europa zu spalten und seine Demokratien zu schwächen. Der Hinweis, Europa müsse ab 2027 seine Verteidigung selbst tragen, passt ins Bild eines transatlantischen Verhältnisses im Zerfall. Besonders sichtbar wird der Bruch in der Ukraine-Politik: Während Europa Freiheit und Demokratie verteidigt sieht, sprechen die USA nur noch von „strategischer Stabilität“ mit Russland – zum Entsetzen Macrons. Europa steht an einer Wegscheide, verharrt aber im Schlafwandel. Es braucht endlich gemeinsame sicherheitspolitische Verantwortung und ein selbstbewusstes, handlungsfähiges Europa. Nur dann wird der Kontinent nicht zum Opfer globaler Erschütterungen, sondern zum Architekten seiner eigenen Sicherheit.“

„The Independent“ (Großbritannien): Trump will die EU untergraben

„Die große Sorge ist jedoch, dass Trumps innige Sympathie für Russland und sein Bestreben, irgendein Abkommen zu erzielen – so grotesk es auch sein mag – entweder zum Scheitern der Bemühungen um eine Verhandlungslösung führen wird, wobei Amerika die Ukraine vollständig im Stich lassen und die Sanktionen gegen Russland lockern würde, oder zu einem Abkommen, das fast vollständig den Bedingungen des Kremls entspricht und die Ukraine, andere europäische Nationen sowie die Nato selbst in eine fatale Lage bringen würde.

Solche Befürchtungen werden durch die neue Sicherheitsstrategie der USA noch verstärkt. Das Dokument zeigt, dass es zur Politik der USA gehört, demokratisch gewählte liberale europäische Regierungen zu schwächen, die Europäische Union zu untergraben und die Erweiterung der Nato zu verhindern. Anstatt die europäischen Verbündeten als souveräne Partner mit gemeinsamen Werten zu behandeln, möchte die Trump-Regierung lieber, dass sie mehr wie Ungarn werden.“

„de Volkskrant“ (Niederlande): USA wollen die Europäische Union schwächen

„In einer für den Populismus typischen Weise wird die Welt auf den Kopf gestellt. Ausgerechnet ein Präsident, der in seinem Land versucht hat, ein Wahlergebnis zu fälschen, den Sturm auf das Kapitol provoziert hat, den Rechtsstaat mit Füßen tritt, politische Gegner dämonisiert und strafrechtlich zu verfolgen versucht, bezichtigt Europa, die Demokratie zu untergraben. (...)

Mit den inneren Angelegenheiten des Polizeistaats Russland möchten sich die Amerikaner nicht beschäftigen, aber sehr wohl mit denen der europäischen Demokratien. Ganz offen erklären sie, dass sie ‚patriotische‘ Parteien unterstützen werden. Die Absicht ist klar: Ebenso wie Russland versuchen sie, den populistischen Nationalismus zu stärken, um die Europäische Union zu schwächen. (...)

Europa steht damit vor einer schwierigen Aufgabe. Es kann nicht mehr auf die USA zählen und muss so schnell wie möglich unabhängig werden, doch es wird von Populisten behindert, die von Amerika unterstützt werden.“

„El País“ (Spanien): Koordinierter Angriff auf die EU

„Die russische Operation zur Zersetzung der Europäischen Union ist in eine neue Phase eingetreten. Eine zentralisierte und vertikale Kampagne, die darauf abzielt, die Institutionen zu schwächen, die Wahrnehmung der Realität zu manipulieren, politische und soziale Prozesse zu beeinflussen und die Bevölkerung zu polarisieren. Es gibt eine klare Erzählung: Die EU ist ein schwaches Relikt, zerrissen von internen Spaltungen – Ost-West, Nord-Süd, staatliche Souveränität versus Brüssel. Am Rande des Zusammenbruchs aufgrund von Wirtschafts-, Energie- und Migrationskrisen. (...)

Dazu kommt die neue nationale Sicherheitsstrategie der Trump-Regierung, in der sie behauptet, der europäische Kontinent untergrabe die Demokratie, die EU und die Nato seien für die Verlängerung des Krieges in der Ukraine verantwortlich, und Europa stehe aufgrund von Einwanderung und Bevölkerungsrückgang kurz vor dem Untergang. (...)

Wir werden ein starkes und solidarisches Mediensystem brauchen, das in der Lage ist, sich mit den Universitäten und Forschungszentren für eine große Kampagne abzustimmen, um die Bevölkerung (gegen solche Kampagnen) zu wappnen.“

„NZZ am Sonntag“ (Schweiz): Donald Trump lässt Europa fallen

„Wer es nicht glauben wollte, hat es nun schriftlich, mit Siegel und Unterschrift des Präsidenten: Die USA von Donald Trump brechen mit Europa, ihrem Bündnispartner, mit dem Alten Kontinent, aus dem die amerikanische Gesellschaft einst hervorgegangen ist. Die Strategie zur nationalen Sicherheit, die das Weiße Haus diese Woche veröffentlichte, kennt keine Wertegemeinschaft mehr. Stattdessen zählt und wiegt Trumps Regierung die Staaten und misst ihnen Bedeutung zu, je nachdem, wie sie die ­Geschäftsinteressen der USA zu ­befördern vermögen. Das ist die merkantile Seite von Trumps Amerika.

Es gibt aber auch eine ideologische, ethnonationalistische. Sie wird vor allem von Vizepräsident James David Vance vorangetrieben. Der warf den Europäern schon bei einer Rede in München im Februar Zensur und ­antidemokratisches Verhalten vor. ­Damit meinte er Rechtsverfahren gegen Hass-Postings im Netz oder die Ausgrenzung rechtsextremer Parteien. Die neue Sicherheitsstrategie der USA geht einen Schritt weiter. Weil europäische Staaten massiv Migration zuließen, stünden sie vor einer ‚zivilisatorischen Auslöschung‘. Trumps USA wollen deshalb Gleichgesinnte in Europa unterstützen. Im Klartext: antipluralistische Rechtsaußenparteien und illiberale Demokratien wie Ungarn. Das ist nicht der Westen, den wir kennen.“

„Rossijskaja Gaseta“ (Russland): Russland keine Bedrohung mehr für USA

„Insgesamt entsteht ein revolutionärer Eindruck von der veröffentlichten neuen Strategie der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten; in ihren Grundzügen entspricht sie dem ‚Geist von Anchorage‘ (des Treffens der Präsidenten Russlands und der USA in Alaska).

(...) In den Medien der Alten Welt begann direkt oder indirekt die Suche nach den Schuldigen dafür, dass das Weiße Haus eine so negative Haltung gegenüber den europäischen Institutionen eingenommen hat. Unter Beschuss geriet sofort die für die Außenbeziehungen der EU zuständige Kaja Kallas. (…) Brüssel wird nun bezahlen müssen für den Radikalismus von Kallas und für ihre eklatante Unprofessionalität. (…)

Jetzt werden Feindseligkeit und Vorsicht zur offiziellen Politik Trumps gegenüber Europa. (…) Und die Wiederherstellung der strategischen Stabilität mit Russland ist nun eine der wichtigsten außenpolitischen Prioritäten der USA in Europa. (…) Russland ist keine Bedrohung mehr.“

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