Als Alice Schwarzer an diesem Abend die Bühne im Berliner Theater Pfefferberg betritt, wirkt sie kämpferisch. Kämpferisch, weil sie seit fünf Jahrzehnten für das eintritt, was sie als Kern des Feminismus begreift. Und weil sich die Debatten, die sie einst prägte, aus ihrer Sicht bedenklich verschoben haben – besonders dort, wo linke Milieus, islamistische Ideologen und die deutsche Debattenkultur aufeinandertreffen. Schwarzer scheint entschlossen, an diesem Abend bei „Constantin Schreiber – Late Night“, kurz vor ihrem 83. Geburtstag, genau darüber zu sprechen. Ohne Filter. Ohne Rücksicht auf Empfindlichkeiten.
Kaum hat WELT-Reporter Constantin Schreiber nach der Lage im Nahen Osten gefragt, setzt Schwarzer zu einer Grundsatzrede an. Ihr Ton bleibt ruhig, aber fest, manchmal schneidend. „Natürlich gibt es viele Gründe, sich Gedanken um die Palästinenser zu machen“, sagt sie. „Aber es gibt auch ebenso viele Gründe, sich Gedanken um Israel zu machen.“ Für sie ist das mehr als eine außenpolitische Frage – es ist ein moralisches Fundament, gerade für Deutschland. Dass man es, so formuliert sie, „richtig findet, dass es auf dieser großen Erde ein Stück Land gibt, wo Juden zu Hause sind. Wo sie nicht die Fremden sind. Nicht weggejagt werden können“.
Schwarzer sieht derzeit eine gefährliche Verschiebung im deutschen Diskurs, eine Vermengung berechtigter Kritik an der israelischen Regierung mit blankem Judenhass. „Das ist der nackte Antisemitismus“, sagt sie scharf. Ihre Stimme wird an dieser Stelle lauter. Applaus brandet auf.
Schwarzer kritisiert „Zustrom der antisemitischen Islamisten“
Die Feministin richtet ihren Blick dabei nicht nur auf die politische Linke, sondern auch auf islamistische Milieus. „Von Linksextremen und von Islamisten kommt eine Verstärkung des immer schon latenten Antisemitismus in Deutschland.“ Dass Deutschland nach 1945 einmal als Beispiel für politische Aufarbeitung galt, schätzt sie hoch – und sieht diesen Fortschritt nun bedroht. „Deutschland hatte ja nach dem 2. Weltkrieg eigentlich dazu gelernt. (…) Durch den Zustrom der antisemitischen Islamisten ist die Zahl dann sprungartig wieder in die Höhe gegangen. Und da berührt es sich: Linksradikale und Islamisten.“
Dann wendet sie sich gegen jene Begriffe, die aus ihrer Sicht zu defensiv, zu ausgrenzend mit jüdischer Identität umgehen: „Unsere jüdischen Mitbürger! Wenn ich das schon höre! Was heißt denn Mitbürger? Deutsche Juden sind Bürger wie alle anderen!“ Das Sprechen über „jüdisches Leben“ hält sie für ein symptomatisches Ausweichen: „Kann man nicht einfach sagen ‚Jude‘? Ist das Wort so verbrannt, dass man es nicht mehr wagt auszusprechen?“
Schwarzer scheint gerade erst warm geworden. Als Schreiber auf die Kopftuch-Debatte zu sprechen kommt, lehnt Schwarzer sich nach vorn, als wolle sie gleich eingreifen. „Diese weltweite Allianz zwischen der radikalen Linken und Islamisten in Bezug auf Juden und Frauen ist fatal.“ Sie meint damit nicht den Islam als Religion, sondern jene politischen Strömungen, die sie als „islamistisch“ bezeichnet.
Schwarzer erzählt von den Grundideen des Feminismus, dem jahrzehntelangen Kampf gegen die Vorstellung der Frau als sexuelles Objekt oder Sündenträgerin. „Die Islamisten argumentieren, dass das Haar einer Frau haram sei, und auch ihr Körper, also Sünde. Entschuldigung, dafür habe ich nicht 50 Jahre gekämpft!“
„Das ist eine politische Bewegung, keine Glaubensbewegung“
Was diese Debatte für sie so explosiv macht, sei die westliche Akzeptanz gegenüber dem Kopftuch als aus ihrer Sicht vermeintlichem Symbol kultureller Vielfalt. Das islamische Kopftuch – der Hijab – wird unterschiedlich interpretiert. Für viele ist es Ausdruck muslimischen Glaubens. Auch wenn es Staaten wie den Iran gibt, in denen Frauen gesetzlich verpflichtet sind, ihr Haar zu bedecken, und auch im Westen in Teilen ein sozialer Druck auf junge muslimische Frauen besteht, entscheiden sich viele Musliminnen, freiwillig zum Tragen des Hijab.
Alice Schwarzer lässt dies nicht gelten. „Dass man das hinnimmt und nicht bekämpft. Das ist eine politische Bewegung, keine Glaubensbewegung.“ Sie spricht von einer Ideologie, die Männer wie Frauen erniedrige: „Das Argument lautet ja: Wenn ein Mann die Haare einer Frau sieht, kann er sich nicht halten. (…) Mein Männerbild ist im Jahr 2025 anders.“
Ihre Kritik richtet sich dabei besonders gegen junge queere und digitale Feministinnen, die das Kopftuch als „empowernd“ interpretieren. Für Schwarzer ist das ein Verrat an den mutigsten Frauen der Gegenwart. „Ich bewundere unendlich die Iranerinnen, die ihr Leben riskieren, um ihr Kopftuch abzunehmen.“
Und dann: „Diese Pseudofeministinnen verraten diese Frauen (…) durch ihren lächerlichen Kampf für das Kopftuch.“
Sie will differenzieren, aber ohne zu relativieren: Ja, sagt sie, es gebe Rassismus gegen Muslime. Ja, viele seien entwurzelt. Aber das ändere nichts daran, dass „das Kopftuch nicht nur ein Stück Stoff, sondern Symbol für ein ganzes Unrechtssystem“ sei.
Der Auftritt endet mit einem Satz, der wie eine Kampfansage wirkt – an politische Gegner, an Aktivisten: „Wir müssen doch mal offen reden. Ich habe lange geschwiegen, aber das ist vorbei! Es reicht!“
Die nächste Ausgabe von „Constantin Schreiber – Late Night“ findet am 29. Januar 2026 in Berlin statt. Tickets für die Veranstaltung gibt es hier.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.