Inhalt des Artikels:
- Anteil versicherungsfremder Leistungen der GKV liegt bei 19,5 Prozent
- Auch Kosten für Bürgergeldempfänger gehören dazu
- Spitzenverband der Krankenkassen verklagt Bundesregierung
- Betriebskrankenkassen: 0,5 Prozentpunkte Senkung wäre dann möglich
Anteil versicherungsfremder Leistungen der GKV liegt bei 19,5 Prozent
2025 sind die Kassenbeiträge um durchschnittlich 0,8 Prozent gestiegen. Auch für 2026 sind weitere Erhöhungen angekündigt. Doch was belastet die Töpfe der Gesetzlichen Krankenversicherungen zunehmend? "Ein Teil dieser Ausgaben, die wir momentan sehen, sind versicherungsfremde Leistungen. Also, Leistungen, die erstmal gar nichts mit einem potenziellen Krankheitsfall oder tatsächlichem Krankheitsfall zu tun haben, sondern eher aus Gründen von Strukturpolitik, Familienpolitik oder auch Sozialpolitik bedingt sind", erklärt Dennis Häckl vom Wissenschaftlichen Institut für Gesundheitsökonomie und - forschung in Leipzig dem MDR-Magazin Umschau. Dabei zahlten die Versicherten derzeit "die höchsten Beiträge, die wir je gezahlt haben".
Zu diesen sogenannten versicherungsfremden Leistungen gehören zum Beispiel die Mitversicherung von Kindern und nicht-erwerbstätigen Ehepartnern, das Kinderkrankengeld und die Krankenversicherung im Bürgergeld. Das Wissenschaftliche Institut für Gesundheitsökonomie und - forschung in Leipzig hat im Auftrag der IKK berechnet, was solche Leistungen, die eigentlich der Staat übernehmen müsste, die Kassen kosten. 2023 wären das den Berechnungen nach von 306 Milliarden Euro Ausgaben insgesamt 19,5 Prozent gewesen, also mehr als 60 Milliarden. Der Bund hatte 2023 aber nur 16,5 Milliarden Euro davon zurückerstattet. In anderen Jahren war es sogar noch weniger.
Auch Kosten für Bürgergeldempfänger gehören dazu
Für den Spitzenverband der Krankenkassen in Berlin ist das nicht länger hinnehmbar, sagt Florian Lanz dem MDR-Magazin Umschau. "Wenn der Staat eine Sozialversicherung, in unserem Fall die Gesetzliche Krankenversicherung, mit einer staatlichen Leistung beauftragt, dann muss er das zu 100 Prozent gegenfinanzieren", fordert er. Der Staat würde sonst Kosten auf die Krankenkassen abschieben. "Damit müssen Sie und ich das über unsere Krankenkassenbeiträge bezahlen", so Lanz.
Wenn der Staat eine Sozialversicherung, in unserem Fall die Gesetzliche Krankenversicherung, mit einer staatlichen Leistung beauftragt, dann muss er das zu 100 Prozent gegenfinanzieren.
Zehn Milliarden Euro allein durch Kosten für Bürgergeldempfänger
Am Beispiel der Gesundheitsversorgung für Bürgergeldempfänger wird die Umverteilung der Kosten auf die Gesetzlichen Krankenversicherungen deutlich: Der Staat zahlt pro Bürgergeldempfänger eine Pauschale von 133 Euro im Monat. Doch der Beitrag deckt nur etwa ein Drittel der tatsächlichen Kosten. Das Defizit müssen die Beitragszahler der Krankenkassen zahlen. Insgesamt sind das rund zehn Milliarden Euro pro Jahr. Das Geld fehlt den Kassen seit vielen Jahren. Der Spitzenverband der Krankenkassen habe bereits 2009 gefordert, dass dies geändert werde, sagt Florian Lanz. Die jetzige Praxis sei "rechtswidrig".
Spitzenverband der Krankenkassen verklagt Bundesregierung
Dem zuständigen Gesundheitsministerium scheint die Unterfinanzierung seit vielen Jahren bewusst zu sein. So stand bereits im Koalitionsvertrag 2018: "Wir wollen die schrittweise Einführung von kostendeckenden Beiträgen zur GKV für die Bezieher von ALG II aus Steuermitteln finanzieren." Und auch die Ampelregierung versprach in ihrem Koalitionsvertrag: "Wir finanzieren höhere Beiträge für die Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln.“ Beides Versprechen, die nie erfüllt wurden.
Im aktuellen Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot steht nun nichts mehr von einer Gegenfinanzierung der Kosten. Deshalb hat jetzt der Spitzenverband im Auftrag aller Krankenkassen die Bundesregierung auf die Zahlung der zehn Milliarden verklagt. "Und wir erwarten ein Grundsatzbeschluss des Bundesverfassungsgerichtes", betont Florian Lanz gegenüber dem MDR-Magazin Umschau.
Auch Privatperson klagt gegen die IKK
Nicht nur die Krankenassen klagen, auch Armin Haberkorn aus Rheinland Pfalz zog jetzt vor Gericht. Der 65-Jährige ist bei der IKK Südwest krankenversichert. Auch er musste in diesem Jahr Beitragserhöhungen hinnehmen. Das hat ihn schließlich motiviert, sich dagegen zu wehren, dass seine Beiträge für versicherungsfremde Leistungen ausgegeben werden. "Was mich hier einfach ärgert ist, dass hier in meine Tasche und in die Tasche von Millionen Beitragszahlen gegriffen wird. Wer sich nicht daran beteiligt, sind Beamte, Abgeordnete, Millionäre, Immobilienbesitzer, wer auch immer. Die bleiben alle außen vor. Also das Ganze Spektrum der Privatversicherten. Und das ist eindeutig eine Ungleichbehandlung", erklärt er.
Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK-Bundesverbandes, findet die Klage auch wichtig und hilfreich für die Kassen selbst: "Es geht darum, dass die Beiträge nicht zweckentfremdet werden dürfen. Sie dürfen nicht zur Finanzierung von staatlichen Aufgaben herangezogen werden. Das heißt, wenn der Versicherte vor dem Sozialgericht Recht bekommt, dann nutzt uns das auch in unserem Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland."
Betriebskrankenkassen: 0,5 Prozentpunkte Senkung wäre dann möglich
Für die Betriebskrankenkassen, die sich an der Klage des Spitzenverbandes gegen die Bundesregierung beteiligen, wäre eine spürbare Entlastung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber möglich, wenn der Staat die Kosten für die Bürgergeldempfänger den Krankenkassen ganz rückerstatten würden. "Wenn diese Gelder vom Bund bezahlt würden, könnte der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz um 0,5 Prozentpunkte gesenkt werden. Das heißt, er würde jetzt nicht 2,9 Prozent betragen, sondern 2,4", erklärt Anne-Kathrin Klemm vom BKK Dachverband e.V.
Wie will das Bundesgesundheitsministerium die Finanzierung der Krankenversicherung ändern, damit Kosten für Bürgergeldempfänger nicht weiter auf der Beitragszahler abgewälzt werden? "Dazu gibt es noch keine Einigung innerhalb der Bundesregierung. Da gibt es noch keinen Weg. Wir müssen da mit den Krankenkassen eine Lösung finden. Es ist das gute Recht der Krankenkassen, das jetzt gerichtlich klären zu lassen", sagt Bundesgesundheitsministerin Nina Warken auf MDR-Nachfrage. Doch die Verfahren werden dauern. Mit Beitragssenkungen können Versicherte also nicht so schnell rechnen.
MDR (cbr)
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