Tagesthemen“-Moderatorin Jessy Wellmer sieht in Deutschland aktuell eine Werteverschiebung in Richtung Konservatismus.

Die Gesellschaft bewege sich „weg von einer progressiven Stimmung“, sagte Wellmer im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die in Güstrow geborene Journalistin ist für ihre neue Dokumentation „Wie zerrissen ist Deutschland? - Der Streit um Werte, Meinung und Macht“ mehrere Wochen durch ganz Deutschland gereist. Der Film läuft am Montagabend im Ersten Programm der ARD, und macht sich eben diese These zu eigen.

An mehreren Beispielen sei ihr klar geworden, vieles sei „einfach ein Generationenkonflikt“, so Wellmer. Vor allem ältere Menschen wollten sich beispielsweise nicht verbieten lassen, „Zigeunerschnitzel“ zu sagen, wenn sie das ihr Leben lang so genannt hätten. „Und sie sagen auch: Ich will damit doch niemanden beleidigen oder diskriminieren oder bloßstellen“, erläuterte Wellmer.

Enkel, die der Oma angeblich widersprechen

Die Generation der Kinder und vor allem die der Enkel sehe das aber anders, jedenfalls laut Wellmers Beobachtung. „Die kommen dann und sagen: Aber Oma, ich finde, du verletzt da jemanden“, so die ARD-Moderatorin. So bleibe ein Generationenkonflikt, „der sich nicht einfach auflösen lässt – gerade nicht in einer älter werdenden Gesellschaft“.

Allerdings macht Wellmer auch weit über einen solchen Generationenkonflikt hinausgehende Gefahren aus. Sie habe vor allem schauen wollen, was in der Gesellschaft stattfindet: „Was verschiebt sich da, ist das nur eine kleine Kurskorrektur? Oder ist das etwas Größeres, reden wir über völlig neue politische und gesellschaftliche Spielregeln wie in den USA?“

Extreme Kräfte könnten auch hierzulande solche vermeintlich kleinen Kurskorrekturen ausnutzen, warnt sie. Diese Gefahr sehe sie „eindeutig auch für Deutschland und für unsere Gesellschaft – und dann steht unsere liberale Ordnung auf dem Spiel“.

Wellmer ist 1979 in Güstrow geboren und wurde einer breiteren Öffentlichkeit zunächst als Sportmoderatorin bei ZDF und ARD bekannt, dreht aber auch schon länger gesellschaftspolitische Dokus wie 2022 „Russland, Putin und wir Ostdeutsche“ zusammen mit Falko Kurth. Seit 2023 ist sie eine der Hauptmoderatorinnen der ARD-„Tagesthemen“.

Für ihren TV-Beitrag ist die 46-Jährige nun gemeinsam mit Regisseur Dominic Egizzi durchs Land gereist, um im Gespräch mit Prominenten und „Normalbürgern“ die Eingangsfrage zu beantworten. Wie üblich für das Format werden die Gespräche durch exklusive Umfragen von Infratest dimap ergänzt, die das individuelle Meinungsbild mit einer repräsentativen Perspektive hinterfragen. Die Leitfrage scheint zu sein: Was denkt der Einzelne, was denkt die Mehrheit in Deutschland?

Dabei geht Wellmer von der These aus, dass es eine veritable Gegenbewegung zu bisher bevorzugten Werten und Haltungen gebe, dass neuer Konservatismus eine progressive Strömung ablöse. Waren Klimaprotest, Gendern und Diversität lange Trendsetter, so heiße es jetzt: Keine Regenbogenfahne auf dem Reichstag, keine Diversitätsprogramme mehr in den Wirtschaftsunternehmen, Schluss mit Bevormundung. Fest steht: Es kommt zu Reibungen, zu Spannungen.

Bekenntnis zur Vielfalt zurückgedreht?

Auch Betroffene kommen zu Wort, wie die Nachrichtenagentur KNA in ihrer Rezension schreibt. Der queere Entertainer Riccardo Simonetti etwa berichtet, dass ihm „die unmenschlichsten Dinge“ geschrieben würden. Beleidigungen seien salonfähig geworden, die Angst vor Queer-Feindlichkeit gewachsen. Simon Usifo, Geschäftsführer des deutschen Ablegers der Werbeagentur BBDO, sagt, dass Unternehmen weniger auf das Thema Diversität setzen: „Dieses Bekenntnis zur Vielfalt und Stärke wird zurückgedreht. Das ist jetzt schon ein kritischer Moment, ein Scheideweg.“

Weitere Gesprächspartner sind die Chefin des Balletts der Arbeiterwohlfahrt in Mannheim, dem auf der Bundesgartenschau ein Auftritt mit Sombrero, Kimono- und Flamenco-Kostümen verboten worden war – kulturelle Aneignung, lautete der Vorwurf. Dazu kommt der parteilose Kultur- und Medienstaatsminister Wolfram Weimer. Er warnt, dass die Demokratie in Deutschland vor allem von rechts unter Druck gerate: „Wir haben eine fundamentale Verschiebung, wir haben einen Achsbruch unserer Gesellschaften. Autoritarismus ist die neue Bedrohung unserer Generation“, so Weimer.

Schließlich berichtet die Vorsitzende eines Vereins in Bautzen, der demokratiefördernde Projekte betreibt, wie der Kreistag mit der AfD als größter Fraktion und der CDU-Landrat die Fördergelder zusammenstrich. Bei allen Aussagen und Berichten steche heraus, wie offen die Menschen sich der Reporterin gegenüber gezeigt haben. Offenbar wird, so heißt es in der Rezension, Wellmer als unvoreingenommene Gesprächspartnerin wahr- und ernstgenommen. Die Journalistin höre zu, sie wolle etwas erfahren. Das stärke die Glaubwürdigkeit der 45 Minuten, urteilt die Katholische Nachrichtenagentur abschließend.

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