Als der strahlende Wahlsieger Jose Antonio Kast (59) auf seine unterlegene kommunistische Herausforderin Jeannette Jara (51) zu sprechen kommen, muss der künftige Präsident seine Anhänger bei der Wahlparty zur Mäßigung aufrufen: „Respekt“, fordert der deutschstämmige Rechtskonservative und plötzlich verstummen die Pfiffe und Buhrufe.
Zuvor hatte Jara (41,8 Prozent) ihre deutliche Niederlage eingestanden. Im Wahlkampf hatte sie sich nicht dazu durchringen können, Kuba als eine Diktatur zu definieren; die venezolanische Friedensnobelpreisträgerin Maria Corina Machado, die sich gegen die Linksdiktatur dort engagiert, hatte sie als „Putschistin“ bezeichnet. Das sorgte für Jubel im eigenen Lager, die chilenische Mitte aber und vor allem viele junge Chilenen wandten sich daraufhin ab von Jara. Kast holte 58,2 Prozent.
Am Sonntagabend hat Jara ihn persönlich aufgesucht, um ihm eine glückliche Hand zu wünschen. Der glücklose scheidende Präsident Gabriel Boric (39), der wegen einer Amtszeitbegrenzung nicht erneut antreten durfte und auf Jara als Nachfolgerin gehofft hatte, sagte eine reibungslose Übergabe der Amtsgeschäfte zu. Nicht viele Länder bekommen derzeit einen so respekt- und würdevollen Wahlabend hin.
Kast wird nun ab dem 11. März die Anden-Nation für vier Jahre regieren. Damit endet ein Halbjahr voller schwerer Niederlagen für die lateinamerikanische Linke. Den Auftakt machte in Bolivien der Sieg des Christdemokraten Rodrigo Paz nach nahezu 20 Jahren Links-Fundamentalismus. Es folgte der klare Wahlsieg der Libertären bei den Parlamentswahlen in Argentinien, der den Reformkurs von Präsident Javier Milei bestätigte. In Honduras gibt es zwar nach zwei Wochen immer noch keinen offiziellen Sieger, die Kandidatin des linken Regierungslagers Rixi Moncada ist allerdings abgestraft und aus dem Rennen.
Für Berlin und Brüssel ergeben sich nun neue Chancen, denn in allen vier Ländern sind oder kommen nun politische Kräfte an die Macht, die eher zum Westen als Partner tendieren als wie zuvor zu China.
Berlins folgenschwerer Fehler
Dazu müssten Berlin und Brüssel allerdings erst einmal schwere strategische Fehler korrigieren. Bis heute setzte die Bundesregierung in Südamerika vor allem auf Partnerschaften mit linken Regierungen und baute gegen das rechte Lager eine Art Brandmauer auf.
Gerade erst sagte Berlin einer Regenwaldschutz-Initiative von Brasiliens linkspopulistischen Präsident Lula da Silva eine Milliarde Euro Unterstützung zu. Obwohl der Linkspopulist gerade alle Negativrekorde bricht: Höchststand an Pestizid-Zulassungen, neue Rekorde bei Investitionen in die fossile Öl- und Gasexploration, neue Rekorde bei der Rindfleischproduktion. Entwicklungen, die bei seinem Vorgänger Jair Bolsonaro noch dazu geführt hatten, dass Brüssel den EU-Mercosur-Freihandelsvertrag auf Eis legte. Es war einer der schwersten strategischen Fehler der EU.
Als Kolumbiens linkspopulistischer Präsident Gustavo Petro im August 2022 sein Amt antrat, wurde der damalige Außenminister Alvaro Leyva nur Tage später von der damaligen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas auf der Zuschauertribüne im Deutschen Bundestag überschwänglich begrüßt. Wenig später ging es mit Millionen Unterstützungsgeldern für den kolumbianischen Friedensprozess zurück nach Bogota. Inzwischen ist Leyva wegen Korruptionsvorwürfen entlassen, der Friedensprozess gescheitert, die Mordrate gestiegen und die Kokain-Produktion in Kolumbien auf einem Höchststand.
Argentiniens Präsident Javier Milei dagegen wartet auch zwei Jahre nach Amtsantritt weiter auf einen hochrangigen Besuch aus Deutschland. Er gehört zu jenen Politikern, die in den vielen Jahren der SPD- und Grünen-Leitung im Auswärtigen Amt hinter eine Brandmauer einsortiert wurden. Zu rechts, zu konservativ, zu neoliberal. Genau wie Jose Antonio Kast in Chile.
Die Folge: Die deutsche Diplomatie muss wieder ganz von vorne anfangen und Klinken putzen. Wirklich gute Kontakte ins Kast-Lager hat das Auswärtige Amt nicht. Immerhin reiste Außenminister Johann Wadephul jüngst nach Bolivien, um sich dort den neuen Machthabern vorzustellen. Washington versucht derweil gerade mit neuen bilateralen Handelsabkommen die europäische Kontaktschwäche in Südamerika auszunutzen.
Kast sortieren Medien derzeit als „ultrarechts“ ein
In den internationalen Medien wird Kast als „ultrarechts“ einsortiert. Der Sohn eines deutschen Wehrmachtssoldaten, der in den 1950er-Jahren nach Chile kam, vertritt Positionen, die an die von alten CDU-Granden wie Alfred Dregger oder Roland Koch erinnern. Familie, Vaterland, Gesetzestreue. Der neunfache Familienvater ist streng katholisch und wirtschaftsliberal. Seine wichtigste Botschaft am Wahlabend: „Ordnung auf der Straße, in der Volkswirtschaft und bei den Prioritäten“, außerdem – zur Überraschung seiner Kritiker – forderte er einen respektvollen Umgang mit der Opposition.
Es gäbe Mütter, die voller Angst zu Hause warten, bis ihre Kinder endlich sicher angekommen sind, sagte Kast mit Blick auf eine der größten Sorgen der Chilenen: Die Alltagskriminalität. Und auch auf das zweite beherrschende Thema des Wahlkampfs: Die illegale Migration. Wer sich in Chile an die Gesetze halte und hart arbeite, sei herzlich willkommen. Alle anderen müssten gehen.
„Die irreguläre Migration wird in Chile als eng verbunden mit dem Anstieg der allgemeinen Kriminalität wahrgenommen. Das Unsicherheitsgefühl der Menschen hat deutlich zugenommen“, sagt Olaf Jacob, Leiter des Chile-Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Santiago im Gespräch mit WELT. Chile hat Hunderttausende Venezolaner aufgenommen. Die würden auch gerne nach Hause, würde dort nicht eine linksextreme Diktatur herrschen.
Kast machte keine Versprechungen, sondern bereitete die Chilenen auf schwere Zeiten vor: „Wir werden ein sehr schwieriges Jahr haben, weil die Finanzen des Landes nicht gut stehen. Die Wiederbelebung des Landes erfordert die Anstrengungen aller.“
Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.
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