Als die Ukraine-Gespräche in Berlin am Montag zu Ende gegangen sind, war die Stimmung im Bundeskanzleramt optimistisch. „Wir haben jetzt die Chance auf einen echten Friedensprozess für die Ukraine“, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz bei einer Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Laut US-Präsident Donald Trump ist eine Einigung näher als je zuvor.

Eine Reihe von europäischen Spitzenpolitikern, darunter EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Großbritanniens Premier Keir Starmer und Polens Premier Donald Tusk, hat sich nach Gesprächen mit Selenskyj und den US-Unterhändlern auf eine Erklärung geeinigt.

Darin bekennen sie sich zur „Gewährleistung der Sicherheit, der Souveränität und des Wohlstands der Ukraine“. Die Länder wollen eine ukrainische Armee von 800.000 Soldaten mittragen und eine „multinationale Truppe für die Ukraine“ entsenden, welche die ukrainische Armee unterstützen sowie den Luftraum und die Seewege sichern soll.

Ein von den USA geführter Mechanismus soll den Waffenstillstand überwachen. Eine „rechtlich bindende Verpflichtung, Maßnahmen zur Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit im Fall eines zukünftigen bewaffneten Angriffs zu ergreifen“ soll als Sicherheitsgarantie dienen – weil sie „den Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ umfassen kann, der nach „innerstaatlichen Verfahren“ geregelt wird.

Darüber hinaus stellen die Länder Investitionen für den Wiederaufbau in Aussicht, „unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, dass Russland die Ukraine für den verursachten Schaden entschädigt“. Dazu kommt die „nachdrückliche Unterstützung des Beitritts der Ukraine zur Europäischen Union.“

Angesichts mancher vom Weißen Haus lancierten Ideen der vergangenen Monate klingt das für die Ukraine vertretbar. Allerdings bleibt im Dunkeln, warum Russland einer Friedenslösung unter solchen Bedingungen überhaupt zustimmen sollte.

Die Präsenz ausländischer Truppen in der Ukraine ist lange als eine rote Linie für den Kreml bekannt. Sicherheitsgarantien, die den Einsatz westlicher Truppen auslösen könnten, kommen faktisch einer Beistandsverpflichtung im Sinne des Artikel 5 der Nato-Charta gleich – ebenfalls ein Tabu für Russland. Die angedeutete Enteignung russischer Auslandsvermögen in Europa ist für Russland ohnehin ein rotes Tuch.

Kaum überraschend die Reaktionen aus Moskau: Russland hat laut Vize-Außenminister Sergej Rjabkow noch keine Kenntnis von Vereinbarungen, die die USA, die Ukraine und europäische Staaten in Berlin getroffen haben. Die Regierung in Moskau werde unter keinen Umständen einer Stationierung von Nato-Soldaten in der Ukraine zustimmen, so der russische Politiker.

Weit schärfer hat es Russlands Außenminister Sergej Lawrow formuliert. Mit Europa gebe es „nichts zu kommunizieren“. Der Umgang mit den russischen Geldern zeige, „dass Diebstahl im Blut der Europäer liegt“. Die „Ideen und Praktiken des Nationalsozialismus“ würden in Europa „wiederbelebt“, so Lawrow.

Wladimir Putin wiederum hat in den vergangenen Wochen wiederholt deutlich gemacht: Russland braucht keine Friedenslösung. Seine Ziele in der Ukraine könne das Land auch mit militärischen Mitteln erreichen.

Aktuell beschießt Russland sein Nachbarland monatlich mit rund 5000 Langstrecken-Drohnen und 200 ballistischen Raketen und Marschflugkörpern. In den Gebieten bis zu 40 Kilometer von der Frontlinie setzt Russland derzeit bis zu 1000 Drohnen pro Tag ein.

Die Ukraine gerät angesichts ausbleibender US-Militärhilfen, die Europa in diesem Jahr laut einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft nur unzureichend kompensieren konnte, immer weiter in die Defensive.

Gleichzeitig verstärkt Russland die Angriffe auf ukrainische Infrastruktur. Allein in der Region Odessa im Süden des Landes sind derzeit fast 300.000 Haushalte ohne Strom. Landesweite Blackouts werden zu einem realen Risiko.

Russland sieht sich auf der Siegerseite und trotz der Verschärfung der Sanktionen gegen seinen gewinnbringenden Energiesektor nicht unter Druck. Ein baldiger Ukraine-Deal ist nicht abzusehen, glaubt der Russland-Experte Janis Kluge von der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik.

Nur radikale Zugeständnisse könnten ein Interesse Putins für echte Verhandlungen auslösen, schrieb Kluge im sozialen Netzwerk Bluesky. Nötig dazu seien „territoriale Geschenke“ im Donbass, eine kleine ukrainische Armee von 100.000 Mann, strenge Obergrenzen für Waffensysteme und keine echten westlichen Sicherheitsgarantien.

Weitreichende Forderungen Moskaus

Für Russland sei es essenziell, dass die Ukraine „verwundbar bleibt“, nicht nur bei der Größe der Armee, sondern auch bei Flugabwehr und Drohnen größerer Reichweite und Raketensystemen. Der Kreml werde nur solchen vermeintlichen Sicherheitsgarantien zustimmen, die faktisch nichts garantieren und durch ein russisches Veto außer Kraft gesetzt werden können, glaubt Kluge.

Russland wolle viel mehr bekommen als jeder bisherige Vorschlag geboten habe, so der Experte. Tatsächlich wäre es aus russischer Sicht unsinnig, einem Vorschlag zuzustimmen, der alle strategischen Fortschritte des Krieges wie freie Hand bei Luftangriffen im ukrainischen Luftraum und das Fernhalten westlichen Militärs zunichtemachen und Moskau nur die bereits eroberten Gebiete lassen würde.

Die sind für Russland aber nur ein Teil der Gleichung. Die jüngsten europäischen Pläne, um die Ukraine vor Russland zu schützen, so Kluge, seien deshalb für den Kreml inakzeptabel.

Pavel Lokshin ist Russland-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2017 über Russland, die Ukraine und den postsowjetischen Raum.

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