In der schwarz-roten Koalition bahnt sich ein Konflikt über den Umgang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention an. Anfang Dezember forderten 27 europäische Staaten, darunter 19 EU-Staaten, eine Neubewertung der Konvention, um mehr rechtlichen Spielraum bei Abschiebungen zu erhalten. Die Bundesregierung hat sich bislang nicht angeschlossen – das stößt nun auf Kritik aus der Union.
„Deutschland wird wieder als führende Kraft in der europäischen Asyl- und Migrationspolitik wahrgenommen. Es passt nicht in dieses Bild, wenn 27 Länder eine Erklärung zur Neubewertung der Menschenrechtskonvention abgeben, um einen besseren Ausgleich in der Migrationspolitik zu erreichen – und Deutschland sich daran nicht beteiligt“, sagte der CDU-Politiker Detlef Seif WELT. Seif ist der Beauftragte der Fraktion für die „Umsetzung der europäischen Asyl- und Migrationswende“. Der Kerngehalt der Menschenrechte stehe nicht zur Disposition, so Seif. „Es geht um die ausufernde Interpretation der Menschenrechte, die am Ende zulasten der Sicherheit der Bürger geht.“
Auch Unionsfraktionsvize Günter Krings (CDU) forderte Neuerungen. „Bei der Europäischen Menschenrechtskonvention sehe ich Reformbedarf, gegebenenfalls auch über ein neues Zusatzprotokoll“, sagte er WELT. Die Vertragsstaaten könnten dabei näher definieren, welche Fälle vom Verbot erniedrigender Behandlung erfasst sein sollen. Würden notwendige Anpassungen „blockiert“, würde die Akzeptanz der Konvention leiden, so Krings.
Bei einem Treffen der Justizminister des Europarats am 10. Dezember kam es zu heftigen Diskussionen über die Rolle der Menschenrechtskonvention in Migrationsfragen. Sie schützt grundlegende Rechte wie das Recht auf Leben sowie das Verbot von Folter oder unmenschlicher Behandlung und begrenzt damit auch die Handlungsspielräume der Vertragsstaaten. So darf niemand in ein Land abgeschoben werden, in dem ihm Folter droht.
Während es kaum grundsätzliche Kritik an der Konvention selbst gibt, mehren sich Stimmen, die die Rechtsprechung dazu kritisieren. Aus Sicht der Kritiker hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg die Konvention in der Vergangenheit zu weit ausgelegt, was Abschiebungen auch von schweren Straftätern erschwert habe. 27 europäische Staaten fordern inzwischen einen klareren Rahmen. So solle etwa das Verbot „erniedrigender Behandlung“ – darunter fällt etwa nicht ausreichende medizinische Versorgung – auf schwere Fälle begrenzt bleiben. Unter anderem Deutschland und Frankreich haben sich bislang nicht angeschlossen.
„Artikel 3 der Menschenrechtskonvention verbietet Folter und erniedrigende Behandlung. Niemand will diesen Kernbereich berühren“, sagte Seif. Wenn einem abgelehnten Asylbewerber im Herkunftsland tatsächlich Gefahr für Leib und Leben drohe, sei eine Abschiebung zu Recht nicht möglich. „Es kann aber nicht sein, dass die Abschiebung selbst schwerster Straftäter verboten wird, weil die Lebensverhältnisse im Herkunftsland prekär sind.“
Ähnliches gelte für Artikel 8 der Konvention, der Ehe und Familie schütze – zu Recht auch von Migranten. Seif sagte: „Wenn wir es aber mit einem Wiederholungstäter zu tun haben, der mehrere Straftaten im mittleren Bereich begeht, oder mit einem Schwerverbrecher, dann muss hier auch die Möglichkeit bestehen, ihn außer Landes zu bringen, selbst wenn er Familie in Deutschland hat.“
SPD rügt eine „Neujustierung der Menschenrechte“
Kritik kommt indes aus den Reihen der SPD. Seit Anfang des Jahres erlebe man, dass eine Reihe von Staaten den Druck auf das Gericht kontinuierlich erhöhten, sagte Gabriela Heinrich, Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, WELT. „Die nun geplante politische Erklärung für eine Neujustierung der Menschenrechte im Kontext der Migration ist ein Angriff auf die richterliche Unabhängigkeit und damit auf die Glaubwürdigkeit des Gerichtshofs insgesamt.“
Die Bundesregierung hat sich bislang nicht inhaltlich zu den Forderungen positioniert. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) zeigte sich grundsätzlich offen für Anpassungen. „Ich kann mir vorstellen, dass es Klarstellungen aus der Politik gibt, die als Grundlage für zukünftige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gelten könnten“, sagte er kürzlich WELT AM SONNTAG. „Die Debatte läuft aktuell in Europa, ihr Ausgang ist aber noch offen.“
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) warnte hingegen davor, politischen Einfluss auf den Gerichtshof zu nehmen. Eine unabhängige Justiz sei „ein elementarer Bestandteil eines wirksamen Menschenrechtsschutzes“, sagte sie WELT. Hubig nahm an dem Treffen des Europarats teil.
Bis Mai wollen die Staaten des Europarats eine politische Erklärung zur Migration erarbeiten. „Ich hoffe sehr, dass Deutschland dabei eine aktive Rolle übernimmt“, sagte Seif. „Diese Erklärung sollte Leitplanken für die Auslegung der Menschenrechtskonvention setzen, die die Rechte von Asylbewerbern und Migranten und die Sicherheitsinteressen des aufnehmenden Staates in einen guten Ausgleich bringen.“
Ricarda Breyton schreibt seit vielen Jahren über Migrationspolitik und rechtspolitische Themen.
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