In der kommenden Woche jährt sich der Tag der bedingungslosen Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands am 8. Mai 1945 zum 80. Mal. Die Deutschen, die einen brutalen Raub-, Eroberungs- und Vernichtungskrieg begonnen hatten, millionenfach mordeten und Europa zerstörten, mussten von den Alliierten mit massiven militärischen Mitteln zum Rückzug gezwungen werden.

Die Welt wurde an diesem Tag vom Nationalsozialismus befreit. Vor allem trifft dies auf die Menschen in den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten zu, auf die Häftlinge in den Konzentrationslagern, auf ins Reich verschleppte Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, an denen entsetzliche Verbrechen begangen wurden. Für die große Mehrheit der Deutschen war es eine Befreiung wider Willen. Die allermeisten hatten das NS-Regime und deren Menschheitsverbrechen getragen oder zumindest geduldet. Den 8. Mai sahen sie als Tag der Niederlage an. Und ab dem 9. Mai wurden sie zu Weltmeistern in Sachen Schuldabwehr, Täter-Opfer-Umkehr und Relativierung. Sie wollten von nichts gewusst haben.

Im Begriff des „Tags der Befreiung“ kann daher durchaus auch eine apologetische und entlastende Note anklingen – als seien die Deutschen gar keine aktiven Unterstützer des nationalsozialistischen Terrorregimes gewesen; als sei ein Volk aus Widerstandskämpfern und Judenversteckern einer Fremdherrschaft eines kleinen Machtzirkels ausgesetzt gewesen.

Die Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der am 8. Mai 1985 vor dem Deutschen Bundestag vom „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ sprach, war dennoch eine wichtige und zentrale Stellungnahme gegen diejenigen, die noch immer die Niederlage NS-Deutschlands betrauerten. Eine wichtige Stelle in der Rede war auch Weizsäckers Betonung, dass man die „Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit“ nicht im Ende des Krieges sehen dürfe, sondern „in seinem Anfang“ sehen müsse.

Den 8. Mai als „Tag der Befreiung“ zu begehen, war seitdem und bis vor Kurzem in der deutschen Politik nahezu Konsens. Dieser erinnerungspolitische Grundkonsens ist mittlerweile Geschichte, denn er wird aus relevanten Teilen der AfD infrage gestellt. Parteichefin Alice Weidel sagte 2023, dass sie nicht die „Niederlage des eigenen Landes“ feiern wolle.

Der damalige AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sagte 2020, dass der 8. Mai zwar für die KZ-Insassen ein Tag der Befreiung gewesen sei, aber auch ein „Tag der absoluten Niederlage, ein Tag des Verlustes von großen Teilen Deutschlands und des Verlustes von Gestaltungsmöglichkeit“. Der Thüringer Landeschef Björn Höcke hatte die Weizsäcker-Ansprache bereits 2017 als „Rede gegen das eigene Volk“ geschmäht.

Solche Ansichten sind in der AfD mittlerweile deutlich verbreiteter als noch vor acht Jahren. Dies zeigen aktuelle Diskussionen um das Gedenken an 80 Jahre Kriegsende.

Ausblenden deutscher Verbrechen

Es sei „gerade im Hinblick auf die unmittelbar vor und auch nach der Niederlage begangenen Kriegsverbrechen der Roten Armee unangemessen und geschichtsvergessen“, von einer Befreiung zu sprechen, heißt es etwa in einem Entschließungsantrag der AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag zum 80. Jahrestag des 8. Mai 1945. „Die Landesregierung wird aufgefordert, in öffentlichen Verlautbarungen den Begriff ‚Tag der Befreiung‘ zu unterlassen.“ Nun stellt sich also eine ganze Fraktion der Rechtsaußen-Partei hinter solche Positionen.

Ja: Man sollte sich auch mit sowjetischem Unrecht auseinandersetzen. In der Gedenkstätte Buchenwald wird etwa auch die Geschichte des dortigen sowjetischen Speziallagers aufgearbeitet, das von 1945 bis 1950 existierte. Dagegen spricht nichts.

Zweck darf allerdings nicht sein, von den Verbrechen der Deutschen abzulenken. Im Antrag der Brandenburger AfD-Fraktion wird die Ursache und der Ausgangspunkt von Unrecht bei Vertreibung und deutscher Teilung allerdings nicht benannt: der von Deutschland begonnene Vernichtungskrieg und die Kriegsverbrechen der Wehrmacht in den besetzten Gebieten.

Auch in der Parlamentsdebatte Ende März blendete der AfD-Redner Dominic Kaufner die Verbrechen der Deutschen sowie die Opfer der NS-Herrschaft und des Holocaust vollständig aus. Kaufner sprach ausschließlich über Handlungen der Alliierten. Er nahm diese aus dem Zusammenhang des Vernichtungswahns der Deutschen. Er stellte die Alliierten als die eigentlichen Kriegsverbrecher hin. Und er verweigerte ihnen Dank für den Sieg über den Nationalsozialismus.

„Es gibt hier nichts zu feiern, nur zu trauern“, sagte er. In Bezug auf den „Tag der Befreiung“ sprach er von einem „unsäglichen Terminus“. Bereits im November 2024 schrieb Kaufner in der neurechten „Sezession“, es brauche eine „grundsätzliche Kampfeslust in der AfD“, um auch in der Geschichtspolitik „Alternative zu sein“. Zudem beklagte er das „Suhlen in der eigenen Schuld“ der „bestehenden Eliten“.

Im österreichischen Rechtsaußen-Magazin „Freilich“ hat sich am Montag auch der AfD-Fraktionschef im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Nikolaus Kramer, zu der Debatte um den 8. Mai zu Wort gemeldet. Er will ebenfalls nicht von einem „Tag der Befreiung“ sprechen. Zwar steht Kramer in einem Halbsatz „historische Schuld“ ein. Dann ist jedoch die Rede von einem „transatlantischen Schuldkomplex“, der „Übernahme fremder Siegernarrative“, „Schuldstolz“ und „Selbstmitleid“.

Auch Kramer thematisiert das Thema Vertreibung ohne den Kontext der vorherigen nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in Osteuropa. Und die Opfer des Holocaust sucht man in seinem Text ebenfalls vergeblich. Mit solchen Vokabeln macht der AfD-Politiker eine aufgeklärte Auseinandersetzung mit der Verbrechensgeschichte des Nationalsozialismus verächtlich. Damit steht er in einer Tradition der extremen Rechten. Dies gilt übrigens auch für die Ablehnung der Beschreibung des 8. Mai als „Tag der Befreiung“.

Dass solche Positionen nun von relevanten Teilen einer Partei vertreten werden, die bundesweit zweitstärkste Kraft ist, ist eine besorgniserregende Entwicklung. Sie verlangt entschiedenen Widerspruch.

Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“. Die bisherigen Folgen:

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