Die Geschäftsführerinnen der deutschen Beratungsstelle HateAid weisen die US-Vorwürfe der Zensur weit von sich.

„Unsere Arbeit hat nichts mit Zensur zu tun. Im Gegenteil, wir setzen uns dafür ein, dass die geltenden Gesetze im Internet umgesetzt werden und Menschen sich im Rahmen dieser Gesetze frei äußern können“, sagte Josephine Ballon, eine der beiden Geschäftsführerinnen dem „Spiegel“.

Die US-Regierung hatte Einreiseverbote gegen sie, Mit-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg sowie gegen drei andere Europäer verhängt und dies mit angeblicher Zensur von US-Online-Plattformen begründet.

HateAid bietet Menschen, die im Internet bedroht oder angegriffen werden, psychologische und rechtliche Unterstützung an. Zudem ist HateAid eine der sogenannten „Trusted-Flagger“-Organisationen. Laut dem Digital Services Act müssen ihre Hinweise auf Hasskommentare von den Plattformen vorrangig behandelt werden.

„Einen Nerv getroffen“, sagt die Hate-Aid-Chefin

Die Einreisesperre zeige, dass HateAid mit seiner Arbeit „einen Nerv getroffen“ habe, sagte von Hodenberg. Es gehe hier um mächtige ökonomische Interessen der Plattformen, die die konsequente Umsetzung der EU-Gesetzgebung viel Geld kosten würde. „Und eine US-Regierung, die auf das Internet angewiesen ist, um politische Gegner einzuschüchtern. Mit unserer Arbeit für Menschenrechte stellen wir uns dem entgegen und haben auch keine Angst, uns mit den großen Techplattformen anzulegen – vor Gericht und bei der Unterstützung der Aufsichtsbehörden.“

Zu den praktischen Konsequenzen der US-Entscheidung sagte von Hodenberg, dass sie und Ballon und gegebenenfalls auch die Familien nicht mehr einreisen dürften. „Darüber hinaus prüfen wir gerade, ob die Bankkonten von HateAid sicher sind und natürlich befürchten wir, dass US-Diensteanbieter uns blockieren werden. Wir bereiten uns auf das Schlimmste vor.“

Ballon betonte: „Wir lassen uns nicht einschüchtern.“ Zugleich befürchtet sie, dass weitere Organisationen mit entsprechenden US-Reaktionen rechnen müssten. „Leider müssen wir davon ausgehen, dass wir die Ersten, aber nicht die Letzten waren.“

Kritik an USA in Berlin und Brüssel

Das von den USA verhängte Einreiseverbot gegen fünf Menschen in Europa stieß in Deutschland, Brüssel und anderen europäischen Ländern auf heftige Kritik. Die Bundesregierung wies die Zensur-Vorwürfe der US-Regierung zurück. „Nach welchen Regeln wir in Deutschland und in Europa im digitalen Raum leben wollen, wird nicht in Washington entschieden“, erklärte unter anderem Justizministerin Stefanie Hubig (SPD).

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb auf X: „Diese Maßnahmen kommen Einschüchterung und Zwang gleich, die darauf abzielen, die europäische digitale Souveränität zu unterwandern.“ Die Regelungen des Digital Services Act (DSA), mit dem Online-Plattformen in der EU reguliert werden, seien durch einen demokratischen Prozess getroffen worden und dürften nicht von außerhalb Europas bestimmt werden. Es gehe darum, dass auch online illegal sei, was offline illegal ist.

Die EU-Kommission drohte unterdessen Vergeltungsmaßnahmen an. Man verurteile die Entscheidung der USA aufs Schärfste und habe Klarstellungen erbeten, teilte die Behörde in Brüssel mit.

Falls erforderlich, werde man rasch und entschlossen reagieren, um das Recht zu verteidigen, seine eigenen Regeln festzulegen. Wie sie genau auf die Anreiseverbote reagieren könnte, erläuterte die EU-Kommission zunächst nicht.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb zu dem Beitrag auf X: „Die Meinungsfreiheit ist die Grundlage unserer starken und lebendigen europäischen Demokratie. Wir sind stolz darauf. Wir werden sie schützen.“ Die EU-Kommission sei die „Hüterin unserer Werte.“

Auch EU-Ratspräsident António Costa bezeichnet die US-Einreiseverbote als nicht hinnehmbar. „Solche Maßnahmen sind zwischen Verbündeten, Partnern und Freunden inakzeptabel“, schrieb der frühere portugiesische Regierungschef in sozialen Netzwerken. Die EU werde die Meinungsfreiheit und ihre fairen Digitalregeln ebenso verteidigen wie das Recht, eigene Regeln zu setzen.

Deutschlands Außenminister Johann Wadephul (CDU) schrieb auf X, die verhängten Einreiseverbote seien nicht akzeptabel. Der von der US-Regierung scharf attackierte Digital Services Act stelle sicher, „dass alles, was offline illegal ist, auch online illegal ist“. Er sei von der Europäischen Union für die EU demokratisch beschlossen worden und wirke nicht extraterritorial, betonte Wadephul. „Andere Auffassungen wollen wir mit den USA grundsätzlich im transatlantischen Dialog klären, um unsere Partnerschaft zu stärken.“

Vom Einreiseverbot ist auch der frühere französische EU-Kommissar Thierry Breton betroffen, der als einer der Architekten des Digital Services Act gilt. Das Gesetzespaket und dessen praktische Anwendung – im Fall der Plattform X von US-Außenminister Marco Rubio als „Attacke auf alle amerikanischen Tech-Plattformen und das amerikanische Volk durch ausländische Regierungen“ bezeichnet – soll verhindern, dass im Internet ein rechtsfreier Raum entsteht.

Rubio droht zudem weiteren europäischen Verantwortlichen mit Aufnahme auf die schwarze Liste. „Ideologen in Europa“ zwängen US-Internetplattformen dazu, missliebige Meinungen abzustrafen, erklärte Rubio. „Die Trump-Regierung wird diese ungeheuerlichen Akte extraterritorialer Zensur nicht länger tolerieren.“

Breton wiederum verglich die US-Sanktionen mit der „Hexenjagd“ auf vermeintliche Kommunisten zu Zeiten der berüchtigten McCarthy-Ära in den USA, in der viele Menschen zu Unrecht ins Visier der Staatsgewalt gerieten. Auf der Plattform X schrieb er: „An unsere amerikanischen Freunde: Die Zensur findet nicht dort statt, wo ihr sie wähnt.“

Die US-Regierung fordert seit längerem Änderungen an den strengen EU-Digitalgesetzen, die zum Beispiel die Verbreitung von Falschinformationen über Plattformen wie X verhindern sollen und auch Unternehmen wie Amazon, Apple und Meta (Facebook), Alphabet (Google) und Microsoft betreffen. Die EU-Kommission betont immer wieder, dass diese nur einen fairen Wettbewerb und den Schutz von Kindern und demokratischen Wahlen garantieren sollen.

Das Gesetz über digitale Dienste (DSA) verpflichtet Plattformen beispielsweise dazu, einfache Verfahren zum Melden illegaler Inhalte, Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Zudem müssen sie Maßnahmen ergreifen, um Minderjährige vor Glücksspielen oder Pornografie zu schützen.

Ministerium: Förderung von HateAid, aber kein Einfluss

Die deutsche Justizministerin Hubig erklärte in Berlin, HateAid leiste einen wichtigen Beitrag dazu, dass Persönlichkeitsrechte auch im digitalen Raum geschützt würden. „Wer das als Zensur bezeichnet, stellt unser rechtsstaatliches System falsch dar.“

Hubigs Ministerium fördert nach eigenen Angaben seit 2020 eine Beratung durch HateAid für Betroffene von digitaler Gewalt. Die Entscheidung, ob und in welcher Höhe Organisationen gefördert werden, treffe final der Haushaltsgesetzgeber, also der Bundestag. Das Ministerium habe auf die Geschäftsführung von HateAid keinen Einfluss.

Politiker fordern Einbestellung des US-Geschäftsträgers

Bundestags-Vizepräsident Omid Nouripour fordert unterdessen die Einbestellung des Geschäftsträgers der US-Botschaft in Deutschland, Alan Meltzer. „Hier geht es um den Schutz deutscher Staatsbürger“, sagte der Grünen-Politiker. Die förmliche Einbestellung gilt als scharfes diplomatisches Mittel, mit dem die Regierung des Gastlandes eine deutliche Verstimmung signalisiert.

Auch der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter forderte die Einbestellung des Geschäftsträgers. Unter Präsident Donald Trump hätten die USA sehr deutlich gemacht, „dass sie sich weder für Europa noch für die liberale regelbasierte Ordnung einsetzen oder interessieren“, sagte er dem „Handelsblatt“.

Sanktionen verhängte die US-Regierung auch gegen die Gründerin des britischen Global Disinformation Index (GDI), Clare Melford, und den Gründer des in den USA und Großbritannien tätigen Center for Countering Digital Hate (CCDH), Imran Ahmed. Der Brite lebt der Organisation zufolge in Washington, ihm droht nun die Abschiebung aus den USA. Beide setzen sich gegen Hass und Desinformation im Internet ein. X-Eigentümer Elon Musk hatte das Center for Countering Digital Hate als „kriminelle Organisation“ bezeichnet.

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