Mit einem Blumenstrauß in der Hand eilt Matthias Warnig am 11. August 2020 zur Staatskanzlei in Schwerin. Der Manager hat in dem klassizistischen Regierungsgebäude einen wichtigen Termin. Er will Ministerpräsidentin Manuela Schwesig um Hilfe bitten, damit der durch US-Sanktionen bedrohte Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 erfolgreich abgeschlossen werden kann.

Der Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens ahnt da schon, dass die SPD-Politikerin alles tun wird, um ihm beizustehen. Denn Schwesig hatte bereits im Vorfeld erklärt, Mecklenburg-Vorpommern unterstütze das milliardenschwere Projekt.

An diesem Sommertag mischt sich das kleine Ostsee-Land in die große Weltpolitik ein. Die Situation ist verfahren. Auf der Insel Rügen ist ein Drohbrief aus den Vereinigten Staaten eingetroffen. Drei US-Senatoren warnen die Verantwortlichen des Fährhafens Sassnitz eindringlich davor, den Pipelinebau weiter logistisch zu unterstützen. Sollte für das Vorhaben auch nur „ein Rohr“ ins Wasser herabgelassen werden, würden sie dafür sorgen, den Hafenbetrieb finanziell zu ruinieren. Getroffen werden soll damit aber nicht Mecklenburg-Vorpommern, sondern Kreml-Herrscher Putin. Denn hinter Nord Stream 2 steht der russische Staatskonzern Gazprom.

Was damals genau geschah, beschäftigt seit Mai 2022 einen Untersuchungsausschuss des Landtages. Gehört wurden bislang 91 Zeugen, zuletzt wurde Schwesig am 5. Dezember elf Stunden lang einvernommen. Immer wieder musste sie Fragen zu ihren Kontakten mit Warnig beantworten. Denn vor fünf Jahren haben Schwesig und Warnig einen staatlichen Schutzschirm aufgespannt, um die Pipeline vor US-Sanktionen zu bewahren – Mecklenburg-Vorpommern gründete damals die berühmt-berüchtigte Klimastiftung. Angeblich diente sie dazu, einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. In erster Linie sorgte das Konstrukt jedoch dafür, Nord Stream 2 fertigzustellen. Als staatliche Einrichtung konnte sie Aufträge an Firmen vergeben, ohne dabei Gefahr zu laufen, sanktioniert zu werden.

Vor dem Ausschuss bezeichnete Schwesig den Vorwurf ihrer Kritiker, Moskau hätte bestellt und die Landesregierung geliefert, als „die niederträchtigste Verschwörungstheorie“. Der Kontakt zu Warnig sei immer sachlich und professionell gewesen. Er habe sie in ihren Entscheidungen nicht beeinflusst. Die Regierung habe den Bau der Pipeline aus Überzeugung unterstützt. „Es ging uns um preiswerte Energie für Bürger und Wirtschaft“, sagte sie.

Das klingt nach gut gemeinter Fürsorge einer Landesfürstin. Schwesig verdrängt bei ihrem Rückblick geflissentlich, mit wem sie einst so harmonisch verhandelt hatte. Warnig, zu DDR-Zeiten als hauptamtlicher Stasi-Offizier und Spion in Westdeutschland aktiv, gehört zu den engsten Vertrauten Putins. Die beiden haben sich Anfang der 1990er-Jahre in Sankt Petersburg kennengelernt, wo Warnig für die Dresdner Bank eine Repräsentanz aufgebaut hatte und Putin eine wichtige Figur in der Stadtverwaltung war. Den früheren Stasi- und einstigen KGB-Mann verbindet seitdem eine enge Männerfreundschaft.

Schwesig, wie Warnig ein Kind der DDR, hatte trotz solcher nebulösen Geheimdienstverbindungen keinerlei Berührungsängste. Erst nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 ging sie auf Distanz zu ihm. Ihre lange Kungelei mit dem Putin-Regime sorgt besonders im Nachbarland Polen nach wie vor für erheblichen Unmut.

Der Ukraine-Beauftragte der polnischen Regierung, Paweł Kowal, sagte WELT AM SONNTAG: „Ohne Frau Schwesig, auch bekannt als ‚die kleine Merkel‘, hätte es Nord Stream 2 nicht gegeben. Und ohne Nord Stream 2 gäbe es diesen Krieg nicht. Die Stiftung Klimaschutz sollte dem Klima dienen – in Wirklichkeit schützte sie Putins Pipeline vor US-Sanktionen.“ Für Kowal hat die von Schwesig geführte Landesregierung die Interessen des Kremls in Europa vertreten und Deutschland in die Energiekrise gestürzt. „Die europäischen Institutionen sollten Ermittlungen gegen die Befürworter von Nord Stream 2 einleiten“, fordert der Politiker.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Hannes Damm, der den Ausschuss für die Grünen begleitet hat. Die Klimastiftung sei „weniger im Interesse des Landes als vielmehr im Interesse der Nord Stream 2“ errichtet worden. Schwesig habe die Stiftungsidee mit der Bedeutung für die Energieversorgung, die Wirtschaft sowie den Klima- und Umweltschutz begründet. Damm hält dies für vorgeschoben: „Keines dieser drei Argumente war wirklich zutreffend.“ Schwesig habe das Parlament „hinters Licht geführt“.

Schon lange vor Schwesig, Anfang Januar dieses Jahres, musste Warnig vor dem Ausschuss in Schwerin erscheinen. Das Protokoll seiner Aussage umfasst 155 Seiten. Es ist eine spannende Lektüre. Warnig sagte, der Impuls zur Gründung der Stiftung sei nicht etwa in der Landesregierung, sondern vielmehr innerhalb des damals von ihm gelenkten Unternehmens Nord Stream 2 entstanden. „In meiner Wahrnehmung kam der erste Gedanke einer Stiftung aus unserer Rechtsabteilung“, erklärte er. Vor der Ministerpräsidentin sei erst ihr damaliger Energieminister Christian Pegel (SPD) einbezogen worden. Sowohl Pegel als später auch Schwesig hätten positiv reagiert.

Warnig erzählte zudem, er habe seinerzeit mit Schwesig verschlüsselt über die Messenger-App Threema kommuniziert – dafür sei eigens eine spezielle Verbindung hergestellt worden. Falls es stimmt, was Warnig geschildert hat, wäre das irritierend. Schließlich mutet es seltsam an, dass sich eine Ministerpräsidentin und der Chef der Tochter eines russischen Konzerns in dieser Weise austauschen. Was Schwesig und Warnig genau besprochen haben, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Telefonprotokolle sind angeblich nicht angefertigt worden.

Unterlagen vorenthalten?

Der Obmann der CDU-Fraktion im Ausschuss, Sebastian Ehlers, hat keinen Zweifel daran, dass die Klimastiftung eine Erfindung von Nord Stream 2 war. „Der Satzungsentwurf kam von einer Kanzlei des Konzerns. Die Stiftung, deren Chef der Russlandfan und Schwesig-Vorgänger Erwin Sellering war, bekam im Gegenzug 20 Millionen Euro Spielgeld mit Aussicht auf mehr.“ Leider würden dem Ausschuss bis heute wichtige Vertragsunterlagen vorenthalten, sodass sich die Spur des Geldes in den Aktentresoren der Stiftung verliere, bemängelt Ehlers.

Vielleicht sollte sich Schwesig ein Beispiel an ihrem Parteigenossen und früheren Wirtschaftsminister Reinhard Meyer nehmen. Bei seiner Aussage vor dem Ausschuss im September gab er sich selbstkritisch und bezeichnete die Russland-Politik der Landesregierung als naiv. Zudem sei die Stiftung zu Beginn kein Umweltprojekt gewesen, sondern ein Instrument zur Absicherung von Nord Stream 2. Er habe Offenheit und Transparenz angemahnt und sich eine solche Konstruktion „nicht gewünscht“.

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