Der Umgang mit Mördern, Räubern oder Vergewaltigern ist für die Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Dresden Alltag. Mehr als 800 Häftlinge sitzen dort ein, doch mit einem von ihnen haben sie besondere Schwierigkeiten. Sein Name: Taleb al-Abdulmohsen. Der Attentäter vom Magdeburger Weihnachtsmarkt soll das Gefängnispersonal bedrohen, die Ermittler beleidigen und immer wieder durch Wutanfälle auffallen. Das erfuhr WELT AM SONNTAG aus Sicherheitskreisen.
Der aus Saudi-Arabien stammende Arzt, der bei seiner Amokfahrt am 20. Dezember vergangenen Jahres sechs Menschen getötet und 327 verletzt hatte, soll im März in seiner Zelle einen Brief geschrieben haben. Darin habe er Angestellte der JVA wüst beschimpft und mit Rache für die aus seiner Sicht schlechte Behandlung gedroht, heißt es innerhalb der Justiz. Wegen des Schreibens sei ein unmittelbarer Angriff auf das Gefängnispersonal befürchtet worden, wozu es allerdings nicht gekommen sei.
In dem Brief habe Taleb al-Abdulmohsen zudem angedeutet, dass sein Hass auf deutsche Behörden Motiv für die Tat gewesen sei. Das werde von den Strafverfolgern als indirektes Geständnis gewertet. Bei Vernehmungen verhalte er sich allerdings unkooperativ und sei nicht bereit, zur Aufklärung beizutragen. Dennoch werde er als „voll steuerungs- und zurechnungsfähig“ angesehen. Eine Sprecherin der JVA Dresden erklärte auf Anfrage, „dass aus Gründen der Persönlichkeitsrechte von Gefangenen grundsätzlich keine Aussagen getroffen werden, die konkrete persönliche Daten der Gefangenen betreffen“.
Derzeit sitzt der 50-Jährige in der JVA Leipzig ein. Er sei laut Ermittlern zum wiederholten Mal dorthin verlegt worden, weil er sich mehrfach geweigert habe zu essen und dadurch geschwächt sei. Zum Leipziger Gefängnis gehört ein Haftkrankenhaus, in dem er medizinisch behandelt werden kann.
Taleb al-Abdulmohsen war bereits während seiner Tätigkeit als Psychiater im Maßregelvollzug Bernburg immer wieder durch wirre Äußerungen aufgefallen. Aus internen Unterlagen der Einrichtung geht hervor, dass der Arzt etwa über „Erdbeben im Kopf“ geklagt hatte und sich in einem „wirklichen Krieg“ wähnte, „dessen Ausgang entweder sterben oder umbringen sein wird“.
Die Justiz in Sachsen-Anhalt beschäftigt sich unterdessen intensiv mit der Frage, wie der Prozess gegen Taleb al-Abdulmohsen organisiert und abgesichert werden kann. Eine Taskforce unterstützt dabei das Landgericht Magdeburg, vor dem der Attentäter angeklagt werden soll. Kein anderer Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik hat so viele Opfer gefordert wie der von Magdeburg. Weit mehr als 100 Nebenkläger, die Betroffene des Anschlags sind, werden erwartet. Es wird mit großem Interesse der Öffentlichkeit und zahlreichen Verfahrensbeteiligten wie Zeugen und Anwälten gerechnet.
„Die Justiz muss im Anklagefall für eine umfassende Sicherheit aller Verfahrensbeteiligten – also auch für den Beschuldigten – sorgen. Mir ist in Sachsen-Anhalt bislang noch kein Gebäude bekannt, welches sich für einen Prozess dieser in der deutschen Rechtsgeschichte einmaligen Größenordnung eignen würde“, sagte Klaus Tewes, der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg. Nach Informationen dieser Zeitung wird derzeit eine Leichtbauhalle auf einem gesicherten Gelände, etwa einer Bundeswehrkaserne oder einem Areal der Bereitschaftspolizei favorisiert.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat das universitäre Institut für Rechtsmedizin in Sachsen-Anhalt beauftragt, die Verletzungen von Opfern, die mindestens 24 Stunden stationär behandelt werden mussten, zu begutachten. Damit soll die Schwere der Verletzungen dokumentiert werden. Einige der Verletzten sind bis heute nicht vernehmungsfähig.
Inzwischen sind auch 57 Anzeigen gegen Verantwortliche der Stadt Magdeburg, die Betreiber des Weihnachtsmarktes und mehrere Politiker bei den Strafverfolgungsbehörden eingegangen. Fahrlässige Tötung durch Unterlassen und gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen – so lauten etwa die Vorwürfe. „Unabhängig von der Anzahl der Anzeigen gehen wir schon von Amts wegen der Frage nach, ob sich jemand diesbezüglich schuldig gemacht habe. Vorrangig für uns ist aber die Aufklärung der Tat“, erklärte Oberstaatsanwalt Tewes.
Er geht davon aus, dass Taleb al-Abdulmohsen schuldfähig sein dürfte. „Es handelt sich – nach vorläufiger Bewertung – wohl um einen vorsätzlich geplanten Anschlag eines Amokläufers“, hatte Tewes bereits im Februar gesagt. Die Erstellung des von der Generalstaatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen Gutachtens eines Psychiaters zur Schuldfähigkeit des Täters verzögert sich, weil dieser nicht mitwirken will.
Auch ein weiterer Vorwurf gegen Taleb al-Abdulmohsen wirft Fragen auf: Auf seinem Computer stießen Ermittler auf Dateien, die auf pädophile Inhalte hindeuten. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Halle wird deshalb ein Verfahren wegen des Verdachts auf Besitz kinderpornografischer Inhalte geführt. Die Ermittlungen dauern an. Ein Abschluss sei derzeit nicht absehbar, sagte Staatsanwältin Katrin Herbst.
In dem Zusammenhang bekommt möglicherweise eine bislang nicht aufgeklärte Spur eine neue Bedeutung. Recherchen haben ergeben, dass Taleb al-Abdulmohsen für den Tattag eine Übernachtung mit Halbpension für sich und ein Kind gebucht hatte, obwohl er selbst keine Kinder hat. Es handelte sich um ein Doppelzimmer in einem Golfhotel in Brandenburg. Eine Rezeptionistin soll bei ihm zweimal angerufen und sich erkundigt haben, wann er zum Abendessen erscheinen werde. Er müsse erst noch etwas erledigen, lautete seine Antwort. Dann fuhr er in Magdeburg in die Menschenmenge und meldete sich nicht mehr. Ob es das Kind gab und warum er in dem Hotel einchecken wollte, konnte bislang nicht geklärt werden.
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