In den Aufregungen um die Besetzung der Ministerposten der künftigen Bundesregierung ging in dieser Woche ein erwähnenswertes Jubiläum unter: der 70. Jahrestag des Nato-Beitritts Deutschlands. In Brüssel gab es einen Festakt, in dessen Rahmen der geschäftsführende und absehbar auch künftige Verteidigungsminister sprach.
Boris Pistorius (SPD) fand wie gewohnt würdige Worte über die Allianz als Eckpfeiler der deutschen Sicherheit und des Friedens in Europa. Über Deutschlands Dankbarkeit für die Unterstützung der Verbündeten im Kalten Krieg. Und über die Bereitschaft der Bundesregierung, den Alliierten heute „etwas zurückzugeben. Verlässlich zu sein. Zukunftsorientiert zu handeln.“ Auch deshalb habe Deutschland die Stärkung seiner Verteidigungsposition zu einer der obersten Prioritäten gemacht und investiere historisch beispiellos viel Geld in seine Streitkräfte.
Pistorius glaubt an das, was er sagt. Das in den vergangenen Jahren herrschende Chaos in der Ampel-Koalition verstellte allerdings gelegentlich den Blick darauf, dass der bei den Bürgern so beliebte Minister seine Positionen nur selten in der SPD durchsetzen konnte.
Mal blockierte ihn Kanzler Olaf Scholz, mal Fraktionschef Rolf Mützenich und der linke Parteiflügel, mal der Chefhaushälter Dennis Rohde. Wird in der neuen Koalition nun also alles anders und die SPD ihrem angesehensten Politiker in Fragen der Aufrüstung folgen?
Die ersten Signale lassen daran zweifeln. Zum Beispiel der rhetorische Eiertanz, den Pistorius selbst bei der Einführung der Systeme für den Drohnenkrieg in die Bundeswehr aufführt.
„Wenn was aussieht wie eine Banane...“
Ein gutes Jahrzehnt hat die SPD alle möglichen Bedenken gegen die Beschaffung von unbemannten Flugsystemen mit Bewaffnung angeführt. Nun will Pistorius dieses Versäumnis innerhalb kürzester Frist bereinigen und noch in diesem Jahr Drohnen verschiedener Größe und Funktion testen und kaufen.
Darunter sind auch sogenannte Kamikaze-Drohnen. Das sind Flugkörper, die autark ihre Ziele suchen können. Sie sind mit Sprengstoff beladen, stürzen sich aus der Luft auf ihr Ziel und zerstören sich dabei selbst. Laut Verteidigungsminister sind Kamikaze-Drohnen allerdings „tatsächlich gar keine Drohnen“, sondern „loitering ammunition“, übersetzt: herumlungernde Munition.
Technisch ist das korrekt, weil Kamikaze-Drohnen wie andere Munitionsarten zum einmaligen Gebrauch ausgelegt sind. Abseits dieser fachlichen Überlegungen jedoch gilt für den politischen Betrieb, was der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner in der ARD so formulierte: „Wenn was aussieht wie eine Banane, gelb ist wie eine Banane, dann ist es auch eine Banane.“
Dass Pistorius die Banane anders nennen will, hat mit seiner Partei zu tun. Die SPD-Linke will laut Stegner nämlich sicherstellen, dass die von der Bundesregierung im Dezember vorgelegten Richtlinien zum Drohneneinsatz auch für Kamikaze-Drohnen beachtet werden. Die damit verbundenen Debatten im Bundestag würde Pistorius durch die Munitionskategorisierung wohl gern vermeiden – weil er die SPD-Fraktion fürchtet?
Der Verdacht liegt nahe, denn der Minister laviert bei der Umsetzung des schwedischen Wehrdienstmodells auf ähnliche Weise. Die Skandinavier setzen, wie künftig die Bundesregierung, zwar zunächst auf Freiwilligkeit bei der Rekrutierung. Lassen sich damit aber nicht genug Soldaten gewinnen, greift eine Pflicht – die Pistorius in der SPD nicht durchbekam und deshalb jetzt als unnötig kleinredet.
So gesehen ist der beliebte Minister eine Art „loitering ammunition“ seiner Partei. Er schwebt bei zentralen Material- und Personalfragen quasi abwartend in der Luft. Ob er zum Zeitpunkt der Entscheidung dann zündet und sich in der SPD durchsetzen kann, ist eine noch offene Frage – allen guten Reden zum Trotz.
Der Politische Korrespondent Thorsten Jungholt schreibt seit vielen Jahren über Bundeswehr, Sicherheitspolitik und Justiz. Seinen Newsletter „Best of Thorsten Jungholt“ können Sie hier abonnieren.
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