Als die Mauer fiel, war Carsten Schneider 13 Jahre alt, seine Kindheit und Jugend verbrachte der gebürtige Erfurter im Stadtteil Herrenberg. Das im Südosten der Landeshauptstadt gelegene Plattenbauviertel gehört heute zu den politischen Hochburgen der AfD, wo sich immer wieder auch militante, rechtsextreme Jugendgangs breit machten. Doch jemanden wie Schneider, der 1994 sein Abitur in Erfurt machte und ein Jahr später der SPD beitrat, würde es nicht einfallen, seine alte Heimat einfach nur als „Problembezirk“ zu beschreiben.
Als Politiker interessiert ihn vor allem die Frage, warum Probleme überhaupt entstehen – und wie man sie lösen kann. Dass wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Veränderungen im Osten nicht gleich bejubelt werden, dass viele Menschen solchen Prozessen eher skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen, hat er früher als andere beschrieben und problematisiert.
Nach einer Lehre als Bankkaufmann und Zivildienst in einer Erfurter Jugendherberge zog Schneider 1998 als jüngster Abgeordneter in den Bundestag ein. Der tagte noch in Bonn, den Wechsel zur Berliner Republik hat Schneider also live erlebt. Als parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion kümmerte sich Schneider um das kleingedruckte politische Geschäft, verstand sich aber immer auch als Botschafter des Ostens. Zu seinen Sommerreisen nach Thüringen lud er regelmäßig Hauptstadt-Journalisten ein, um ihnen die zuweilen raue Wirklichkeit, aber eben auch Erfolgsprojekte, näherzubringen.
In der SPD gehört er seit jeher zu den Traditionalisten, die man früher Kanalarbeiter nannte – dem konservativen Seeheimer Kreis. Zu einem seiner ursozialdemokratischen Credos zählt, „dass wir uns stärker um die ‚working poor‘ kümmern müssen, also die, die für extrem wenig Geld harte Arbeit verrichten“.
Schneider ist einer der wenigen bundesweit bekannten Sozialdemokraten aus dem Osten, an ihm ging bei der Verteilung der Kabinettsposten nach seiner Arbeit als Staatsminister und Ost-Beauftragter der Bundesregierung kein Weg mehr vorbei. Er war nun einfach an der Reihe.
„Wenn wir Hilfe brauchten, war Carsten für uns da“
Eine landespolitische Karriere in Thüringen, wo die SPD seit 1990 zwar oft in der Regierung war und ist, tendenziell aber immer schwächer wurde, hat Schneider nie angestrebt. Er suchte früh die Bühne im Bund. Die bekommt er nun, allerdings hätte man ihn bei Wetten woanders verortet. Umwelt- und Klimapolitik gehörten bisher nicht zu seinen Schwerpunkten.
Damit wäre er aber nicht der erste Bundesminister, der sich erst einmal einer „Druckbetankung“ aussetzen muss, um einen fachlichen Überblick zu bekommen. Das kann schiefgehen – wie bei seiner Parteifreundin Christine Lambrecht, die 2021 das Verteidigungsressort übernahm und es später an Boris Pistorius (SPD) abgeben musste.
Allerdings gilt Schneider als wacher Pragmatiker. Dass man sich zuweilen quälen muss, um über den Berg zu kommen, ist ihm als leidenschaftlicher Radsportler bewusst. Schneider wird parteiübergreifend geschätzt, mit manchen CDU-Ministerpräsidenten ist der Genosse per du. „Wenn wir Hilfe brauchten, war Carsten für uns da“, heißt es in ostdeutschen Regierungskreisen.
Mit dem Klimaschutz, der bisher in Habecks Wirtschaftsministerium angesiedelt war, wurde Schneiders künftiges Ministerium nun aufgewertet. Allerdings liegen dort auch die größten Herausforderungen. Das Thema rückte in den vergangenen Jahren durch den Ukraine-Krieg und aktuell wegen des Zollkonflikts mit den USA weiter in den Hintergrund.
Schneider wird es wieder zum Vorschein bringen müssen. Dass er dabei behutsam vorgehen wird, weil er den Transformationsfrust vor allem aus dem Osten aus nächster Nähe kennt, darf man annehmen.
Claus Christian Malzahn berichtet für WELT seit vielen Jahren über die ostdeutsche Politik und die Grünen.
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