Die Welt hat sich daran gewöhnt, dass es im Konflikt zwischen Indien und Pakistan immer wieder Tote gibt. Doch was sich derzeit zuträgt, ist außergewöhnlich. Seit der Teilung Britisch-Indiens 1947 streiten dessen Nachfolgestaaten, die Islamische Republik Pakistan und das überwiegend hinduistische Indien um die Region, deren Maharadscha – ein Hindu – sich damals Indien anschloss, obwohl die meisten der Bewohner Muslime waren.

Mehr als ein Vierteljahrhundert ist vergangen, seit die beiden Atommächte das letzte Mal Krieg um Kaschmir geführt haben. Doch die Ereignisse seit der grausamen Ermordung von 26 Touristen durch eine islamistische Terrorgruppe in Kaschmir Ende April ähneln immer weniger den ständigen Spannungen und immer mehr einem echten Krieg.

Am Donnerstag traf Pakistan die zweite Angriffswelle. Es waren vor allem Drohnen, die den muslimischen Staat unter Beschuss nahmen. Am Tag zuvor hatte Indien Raketen auf Pakistan gefeuert. Sie trafen nicht nur Ziele im pakistanischen Teil Kaschmirs, sondern auch Orte in anderen Teilen Pakistans, vor allem in der Provinz Pundschab, der Heimat des pakistanischen Ministerpräsidenten Schehbaz Scharif und Kernregion der pakistanischen Armee.

Zugleich habe Indien mit Kampfflugzeugen angegriffen, von denen die pakistanische Luftwaffe fünf abschießen konnte, meldete Pakistan. Indien dementierte die Abschüsse. Ebenso dementierte Pakistan, dass es in der Nacht zu Freitag seinerseits einen Großangriff gegen Indien gestartet hatte. Drei seiner Militärbasen seien getroffen worden, meldete Indien. Zudem gab es Berichte über Explosionen im von Indien verwalteten Teil Kaschmirs.

Mehrere Merkmale unterscheiden diesen Schlagabtausch von gewöhnlichen Spannungen. Die Angriffe beschränken sich nicht mehr nur auf die umstrittene Region Kaschmir. Sie stellen also schon räumlich eine Ausweitung des Konflikts dar. Zudem sind nicht wie sonst allein Militäreinrichtungen betroffen, sondern auch zivile Ziele.

Auch die Dauer dieser Eskalation geht über das übliche Maß hinaus. Zwar gehen Experten wie Diplomaten weiterhin davon aus, dass keine der beiden Seiten an einem echten Krieg interessiert ist. Aber es wird zunehmend fraglich, wie genau die aktuelle Eskalation beigelegt werden kann.

Mehrere Staaten bemühen sich derzeit um Deeskalation. China und Russland haben ihre Vermittlung angeboten, doch die Chinesen gelten als klarer Verbündeter Pakistans und Gegner Indiens und die Russen wiederum als so eng mit Indien verbunden, dass sie ebenfalls nicht neutral sind. Auch die Türkei versucht zu vermitteln, ist aber zu nah an Pakistan, um als neutral zu gelten.

Großbritannien hat zu beiden Ländern enge Kontakte und genießt trotz seiner Rolle als ehemalige Kolonialmacht großes Vertrauen. Noch einflussreicher dürften aber die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien sein, das am Freitag seinen stellvertretenden Außenminister entsandte. Das Königreich ist mit seinen Investments seit Jahrzehnten ein unverzichtbarer Partner Pakistans.

Doch ebenso wie die Emirate haben die Saudis in den letzten Jahren immer engere wirtschaftliche Kontakte zu Indien aufgebaut. Sie sind deshalb in beiden Staaten einflussreich. Zudem haben Emiratis wie Saudis ein Interesse daran, dass zwischen Indien und Pakistan Frieden herrscht. Denn in beiden Ländern leben zahlreiche indische und pakistanische Gastarbeiter. Bräche ein Krieg aus und griffen die Spannungen auf diese Arbeitskräfte über, könnte das ein Sicherheitsproblem für die Golfstaaten erzeugen.

Nur die USA kommen als Vermittler in Betracht

Fragt man in den Außenministerien nach, die sich um Vermittlung bemühen, dann hört man oft, letztlich könne nur ein Staat wirksam vermitteln: die USA. Für Pakistan ist Washington ein extrem wichtiger Geldgeber und zentraler militärischer Partner. Für Indien sind amerikanische Investitionen und Technologiepartner ein wichtiger Erfolgsfaktor. Und anders als die Saudis oder die Briten sind die USA ein wichtiger sicherheitspolitischer Akteur in Asien.

Zudem haben zentrale Akteure der Trump-Administration persönliche Beziehungen in die Region. Usha Vance, Ehefrau von Vizepräsident J.D. Vance, ist die Tochter von Einwanderern aus dem südostinidischen Bundesstaat Andhra Pradesh. Die Eltern von FBI-Chef Kash Patel stammen aus dem Bundesstaat Gujarat an der Grenze zu Pakistan. Die Nationale Geheimdienstdirektorin Tulsi Gabbard bekannte sich als Teenager zum hinduistischen Glauben und soll eng mit der amerikanischen Lobby der Hindu-Nationalisten von Indiens Premier Narendra Modi verbunden sein. Doch dieser Mediator fällt offenbar aus.

Nachdem US-Präsident Donald Trump zunächst beide Seiten zur Zurückhaltung aufgefordert hatte, lehnte Vance nun eine Vermittlerrolle klar ab. „Wir können diese Leute nur ermutigen ein bisschen zu deeskalieren“, sagte Vance dem Sender Fox News. „Aber wir werden uns nicht in einen Krieg einmischen, der uns grundsätzlich nichts angeht.“ Washington hoffe, dass es nicht zu einem Krieg, gar zu einem Atomkrieg komme. Und derzeit erwarte man das auch nicht.

Senior Editor Daniel-Dylan Böhmer berichtet für WELT über den Nahen Osten und Afghanistan.

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