Karl Marx ist noch da, doch Chemnitz strahlt derzeit nicht allzu rot. Die gut sieben Meter hohe Büste aus DDR-Zeiten ist ein Wahrzeichen der Stadt, die einmal seinen Namen trug.
Doch bei der Bundestagswahl holte hier die Rechtsaußenpartei AfD knapp ein Drittel der Stimmen, ihr Ehrenvorsitzender Alexander Gauland das Direktmandat. Am Freitag und Samstag hält die im Februar ebenfalls bundesweit erstarkte Linke ihren Parteitag hier ab, nach eigenen Angaben wegen rechtsextremer Bedrohung mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen.
Unter den erst im Oktober 2024 gewählten Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken hat sich die Partei erfolgreich auf wenige Themenfelder konzentriert. Den Haustürwahlkampf mit Konzentration auf Miet- und Lebenshaltungskosten schaute man sich bei der Kommunistischen Partei Österreichs ab. Mit Heidi Reichinnek und ihrer TikTok-Kampagne bekam der Kampf gegen den Rechtsextremismus ein Gesicht.
Wie stark die neue Linke ist, zeigte sich bei der Wahl des Bundeskanzlers. Nachdem Friedrich Merz im ersten Anlauf durchgefallen war, verhalf die Linke ihm zum zweiten Wahlgang noch am selben Tag. Nun zweifeln selbst Unionsleute wie Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) am Unvereinbarkeitsbeschluss, der der Union eine Zusammenarbeit mit der Linken – wie auch mit der AfD – verbietet.
Weil die Regierung im Bundestag ohne Linke oder AfD keine Zwei-Drittel-Mehrheit erreichen kann, wird sie sich für eine Seite öffnen müssen. Die Linke strotzt entsprechend vor Selbstbewusstsein. „Ob die Union will oder nicht: Sie müssen mit uns reden, das ist die neue politische Realität“, sagt Schwerdtner WELT AM SONNTAG. Und: „Ich werde nicht ruhen, ehe die Schuldenbremse reformiert ist. Wir werden Merz jeden Tag damit nerven.“
„Nicht seitenweise Prosa zum Weltgeschehen“
In Chemnitz möchte die Führung nun eine neue Zeitrechnung beginnen – die sehr oldschool klingt: Die Partei soll sich als „organisierende Klassenpartei“ definieren. „Wir wollen eine Linke, die vor Ort verankert ist, hilft, kämpft und organisiert – eine Linke, die einen echten Unterschied im Leben der Menschen macht“, heißt es im Leitantrag von Schwerdtner und van Aken. Die Partei soll sich auf ihren sozialistischen Kern fokussieren.
„Nicht zu stark theoretisieren. Nicht seitenweise Prosa zum Weltgeschehen“, sagt Schwerdtner zum Leitantrag. Nur ein „robuster Sozialstaat“ und ein Fokus auf Arbeits- und Lebensbedingungen schützten vor weiteren AfD-Erfolgen. Es brauche ein „Klassenbewusstsein“, also ein Verständnis von der Spaltung der Gesellschaft in unten und oben, in Arbeiter und Ausbeuter: „Wir sollten nicht mehr in Tarnbegriffen reden, sondern von Klasse und demokratischem Sozialismus“, sagte Schwerdtner kürzlich im WELT-Interview.
Die Zahl der Parteimitglieder hat sich seit Jahresbeginn auf 112.660 Mitglieder fast verdoppelt. Auf dem Parteitag werden aber noch die vor der Bundestagswahl gewählten Delegierten sitzen. Die vorwiegend jungen Neumitglieder wolle man schulen, so heißt es im Leitantrag, ihnen mit einer „Parteikultur des Willkommens und der revolutionären Freundlichkeit“ begegnen.
Für zum BSW übergelaufene Ex-Genossen, die nun wieder anklopfen, gilt das jedoch nicht uneingeschränkt: „Wer zurückkommt, muss wissen: Es geht nicht mehr so zerstörerisch wie damals, und es ist absolut klar, wofür wir als Linke stehen“, sagt van Aken. „Wir wollen nicht in alte Grabenkämpfe zurückfallen, die die Partei zerrissen haben.“
Kevin Culina berichtet für WELT über die Linkspartei und das BSW.
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