Peter Reitze hatte hart gearbeitet und wollte aus dem Geld, das er als technischer Angestellter verdient hatte, das Beste herausholen. Das Angebot für den Handel mit der Kryptowährung Bitcoin kam ihm gerade recht. „Dies ist die beste Gelegenheit, mit mir zu investieren“, las der 55-Jährige. Das Risiko sei gering, die Rendite hoch. Eine sichere Sache.
Reitze war überzeugt und investierte. Nun ist er um rund 10.000 Euro ärmer. Denn das gesamte Investment ist weg. Reitze saß einem Betrüger auf. Eingefädelt wurde das Geschäft, das man wohl eher Abzocke nennen muss, auf Telegram, jenem Messengerdienst, der zu den populärsten der Welt gehört, aber auch Extremisten und organisierten Kriminellen eine Heimstatt bietet.
Der Kanal, auf dem Reitze auf den Handel mit Bitcoins aufmerksam wurde, heißt: „Achtung Reichelt“. Als Profilbild prangte dort ein Bild von Julian Reichelt, dem einstigen Chefredakteur der „Bild“, der mittlerweile prägender Kopf der rechtspopulistischen Krawall-Plattform „Nius“ ist. Reitze war ein Fan von Julian Reichelt – und fühlte sich auf dem Kanal in besten Händen. Auf die Idee, dass der Account gefälscht sein könnte, kam er nicht. Ihm fiel auch nicht die dortige laxe Rechtschreibung und ein fehlender Buchstabe bei dem Benutzernamen auf („JReichelts_Offiziel“) – und so investierte er.
„Nachdem ich auf dem Kanal meinen Namen und meine persönlichen Daten angegeben hatte, wurde ich Schritt für Schritt angeleitet“, erzählt Reitze WELT AM SONNTAG. Auf einer Seite für den Handel mit Kryptowährungen, deren Betreiberfirma sich in der Selbstdarstellung als „Vertrauenswürdiges Investmentunternehmen“ vorstellt, richtete Reitze ein Konto ein. Erst zahlte er 900 Euro ein, dann weitere 2100 Euro. Das Investment und somit Risiko schienen also überschaubar zu sein. Reitzes Hoffnungen, das Geld möge sich schnell vermehren, waren umso größer.
Und tatsächlich: Schon wenige Tage später sprudelten die Gewinne. So jedenfalls ließ es ihn die Anzeige seines Bitcoin-Kontos glauben. Aus den 3000 Euro waren innerhalb weniger Tage unglaubliche 43.785 Euro geworden. Reitze konnte sein Glück kaum fassen, meinte, das große Los gezogen zu haben – und wollte sich den vermeintlichen Gewinn auszahlen lassen.
Doch so einfach war es nicht. Er müsse eine „Provisiongebühr“ in Höhe von zehn Prozent des Gewinns entrichten, richtete ihm der vermeintliche Julian Reichelt per Telegram aus. Reitze überwies die 4378 Euro. Den Gewinn bekam er nicht. Denn nach der „Provisionsgebühr“ verlangte „Julian“ nun eine „Auszahlungsgebühr“ von 3000 Euro. „Ich habe kein Geld mehr“, schrieb Reitze. Doch irgendwie trieb er die geforderten Summen dann doch auf.
Erst als „Julian“ noch einmal eine Gebühr verlangte, diesmal 2000 Euro für ein „Konto-Upgrade“, zog Reitze die Reißleine. Er versuchte es im Guten, schlug „Julian“ vor, auf den Gewinn zu verzichten, aber zumindest seine Einzahlung und die entrichteten Gebühren zurückzuerhalten – erhielt aber nur die Antwort, er möge die Gebühr bezahlen. Heute sagt Reitze: „Dass ein System dahintersteckte, wollte ich lange nicht wahrhaben.“
Peter Reitze heißt eigentlich anders. Doch was er erlebt hat, hat sich tatsächlich so zugetragen. Und: Was ihm widerfuhr, ist kein Einzelfall. Das Bundeskriminalamt (BKA) teilte auf Anfrage dieser Zeitung mit, das Phänomen des sogenannten Cybertrading-Betrugs sei der Polizei „grundsätzlich bekannt“. Die Bundesländer führten entsprechende Ermittlungsverfahren. In einem Lagebild des BKA zur Wirtschaftskriminalität heißt es, vermeintlich profitable Anlagemodelle würde sogar auf Dating-Plattformen angeboten.
Die Geschädigten würden nach dem Abbruch des Kontaktes zu ihren Kontaktleuten und dem Totalverlust des eingesetzten Kapitals mitunter sogar ein weiteres Mal betrogen. Angebliche Anwaltskanzleien würden ihnen vorgaukeln, sie könnten ihr verlorenes Geld zurückbekommen – wenn sie einen Vorschuss bezahlten. Die versprochene Hilfe werde den Opfern aber natürlich nie gewährt, warnt das BKA.
Die Täternetzwerke seien „konzernähnlich“ aufgebaut, heißt es aus der Polizeibehörde. Die Kontaktleute nutzten sowohl die Erwartungshaltung als auch die mangelnde Erfahrung ihrer Opfer aus. Die Verschleierung der Betrugseinnahmen würden durch „international aufgestellte Geldwäschenetzwerke“ abgewickelt.
Und Julian Reichelt? Eine Rechtsberaterin der Firma Vius, die als Herausgeberin des Reichelt-Portals „Nius“ fungiert, teilte auf Anfrage von WELT AM SONNTAG mit, der Telegram-Kanal „JReichelts_Offiziel“ sei „uns bis soeben nicht bekannt gewesen“. Man werde Anzeige erstatten. Auch Peter Reitze hat die Polizei eingeschaltet. Viel Hoffnung, dass er sein Geld zurückerhalten wird, hegt er aber nicht. „Ich habe einen Großteil meines Ersparten verloren“, sagt Reitze. Nachrichten von „Julian“ erhalte er weiterhin. Er möge die fälligen Gebühren bezahlen.
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