Es ist ein 48-Buchstaben-Monster, das der Bundestag heute diskutiert: Das Lieferkettensorgfaltspflichten-Abschaffungsgesetz. Der Streit dahinter läuft ähnlich lange wie das Wort. Worum geht es heute?

Mitte der 1990er-Jahre flimmerte ein Werbespruch über die deutschen Fernsehbildschirme: "Ein Stück heile Welt." Dem norddeutschen Unternehmen Tesa ging es damals um ein neues Selbstklebeband.

Drei Jahrzehnte später ist die deutsche Wirtschaft gesetzlich verpflichtet, auf eine heile Welt zu achten: Jedes Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern muss darauf schauen, dass ihre Zulieferer egal wo in der Welt sie sitzen - auf Grundsätze achten wie faire Löhne, den Schutz der Umwelt und das Verbot von Kinderarbeit. Für das Bundesarbeitsministerium ein Erfolgsmodell: "Damit endet die Verantwortung der Unternehmen nicht länger am eigenen Werkstor, sondern besteht entlang der gesamten Lieferkette."

Bürokratischer Aufwand

Das kann aufwendig sein, Beispiel Tesa. In einem Produkt können 20 Rohstoffe und Rohmaterialien aus verschiedenen Ländern stecken, sagt Unternehmenschef Norman Goldberg: "Wir müssen überall nachweisen, was vor Ort wo unter welchen Bedingungen produziert wird. Das muss dokumentiert werden und das muss nachhaltbar sein."

Da Tesa weltweit 7.000 Produkte im Angebot habe, die in allen möglichen Dingen stecken, ob Auto oder Handy, sei das ein bürokratischer Aufwand, der besondere Datenbank-Systeme brauche und geschätzt mittlere sechsstellige Kosten verursache.

Das müsse einfacher werden, kündigte vor einem Jahr der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen an: "Ich kann zusagen, dass es beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nochmal eine richtige Schneise geben wird." Wie breit die werde, so Habeck weiter, müsse man sehen. Dann kam der Bruch der Ampel dazwischen. Die neue Regierung will laut Koalitionsvertrag nun das deutsche Gesetz zu Lieferketten abschaffen und ersetzen durch ein neues Gesetz, das eine europäische Richtlinie für Lieferketten umsetzt.

AfD will deutsches Gesetz sofort abschaffen

Die AfD allerdings ist ungeduldig, sie hat für heute eine Debatte über das Thema auf die Tagesordnung des Bundestags gesetzt. "Wir befürchten, dass das zwar im Koalitionsvertrag steht, aber nicht vollzogen wird", sagt der Bundestagsabgeordnete Malte Kaufmann: "Man muss da unverzüglich handeln."

Die AfD will deshalb das deutsche Gesetz sofort abschaffen und mit der Umsetzung der europäischen Richtlinie bis zum letztmöglichen Zeitpunkt Mitte 2026 warten. "So könnten wir den Unternehmen mal eine Verschnaufpause geben."

Von denen sehen aber nicht alle das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz als Nachteil. "Wir haben gesagt: Wenn wir so etwas machen, dann versuchen wir das auch tatsächlich als Wettbewerbsvorteil zu nutzen, dass wir vor der Welle sind", sagt Tesa-Chef Goldberg. Das Unternehmen kümmere sich intensiv um die Themen Lieferketten und Nachhaltigkeit - und wirbt auch damit. 

Grüne: "Vereinfachung ja, Deregulierung nein"

"Viele Unternehmen leben diese Verantwortung längst", betonen die Grünen. Sie haben einen eigenen Antrag geschrieben und fordern einen "fließenden und unbürokratischen Übergang" vom deutschen Lieferkettengesetz zu der Umsetzung der europäischen Richtlinie. "Die Devise muss jetzt sein: Vereinfachung ja, Deregulierung nein", argumentiert die Grünen-Wirtschaftspolitikerin Sandra Detzer. "Menschen in Europa wollen sich darauf verlassen können, dass ihr T-Shirt nicht unter Kinder- oder Zwangsarbeit hergestellt wurde."

Ob der Übergang nun fließend wird oder Schritt für Schritt, das beantwortet das Bundesarbeitsministerium nicht. Auf tagesschau.de-Anfrage heißt es: "Klar ist: Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben werden zügig umgesetzt. Die genaue gesetzliche Ausgestaltung ebenso wie der konkrete zeitliche Fahrplan bleiben abzuwarten."

Die weiche Aussage macht klar: Beim Thema Lieferketten muss die schwarz-rote Koalition noch nacharbeiten.

"Ein populistischer Schnellschuss"

Bundeskanzler Friedrich Merz würde die europäische Richtlinie wohl am liebsten abschaffen und damit das Thema komplett loswerden: Es sei nicht sinnvoll, sagte er vor rund zwei Wochen, das deutsche Gesetz abzuschaffen und dann "in Brüssel eine vergleichbare Richtlinie zu bekommen, die das Ganze wieder zurückdreht".

Aber da es wohl nicht durchsetzbar wäre, die EU-Richtlinie abzuschaffen, betont die Union inzwischen das Thema Entbürokratisierung: Dafür will man sich auf europäischer Ebene einsetzen. Das deutsche Gesetz sei "in seiner jetzigen Form eine unnötige bürokratische Belastung für Unternehmen", sagt Marc Biadacz, Sprecher der Unionsfraktion für Arbeit und Soziales. Man werde die europäischen Vorgaben bürokratiearm in deutsches Recht gießen. "Dabei gilt: Sorgfalt vor Schnelligkeit. Der Entwurf der AfD ist ein populistischer Schnellschuss. Da machen wir nicht mit." 

Tesa-Chef Goldberg schaut beim Thema Lieferketten vor allem auf die internationale Ebene: "Wenn die anderen großen Global Player nicht die gleichen Regeln einbinden müssen in ihren Heimatmärkten, führt das bei uns zu einem massiven globalen Wettbewerbsnachteil." Hier sehe er das eher mit Sorgenfalten, so Goldberg. "In Europa, das muss ich ganz ehrlich sagen, sind wir eigentlich fast sorgenfrei."

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