Um Punkt 20 Uhr vibrieren die Handys der Demonstranten. Die Stadt Los Angeles hat an alle einen Warnhinweis verschickt: Ab jetzt gilt eine Ausgangssperre im Stadtzentrum. Ungefähr 300 Menschen haben sich vor dem braunen Betonkoloss versammelt, zu dem auch eine Haftanstalt gehört, der schon in den vergangenen Tagen die Kulisse für Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten bot. Dicht an dicht stehen auf den Treppen rund 30 Nationalgardisten und beobachten das Treiben auf der Straße.
Die Warnmeldung zur Ausgangssperre wirkt wie ein Marschbefehl für die Demonstranten. In verschiedene Richtungen setzen sich Kleingruppen von 20 bis 30 Personen in Bewegung. Aber nicht, um nach Hause zu gehen, sondern um der Polizei zu entkommen. Die hat sich zusammen mit rund 300 der 4000 mobilisierten Nationalgardisten in der Stadt positioniert. Zahlenmäßig sind die Sicherheitskräfte den Demonstranten weit überlegen. Dennoch gelingt es ihnen nicht, die Ausgangssperre durchzusetzen.
Es ist weit nach Sonnenuntergang, eine kleine Gruppe Demonstranten hat mittlerweile sieben bis acht Blöcke hinter sich gelassen, als plötzlich das Signal kommt, stehenzubleiben. Was wie eine spontane Ausgliederung aus dem großen Protest wirkt, entpuppt sich in dem Moment als geplantes Manöver. „Wir gruppieren uns um“, sagt eine in Schwarz gekleidete junge Frau. Ihr Gesicht hat sie mit einer schwarzen Maske vermummt. Als Anführerin will sie nicht bezeichnet werden. „Wir haben das alle gemeinsam in der Hand“, sagt sie. Ihren Namen will sie nicht nennen.
Das Ziel an diesem Abend sei es, der Polizei das Leben schwer zu machen. „Die können Ausgangssperren verhängen und noch mehr Nationalgardisten mobilisieren, aber das ist nicht unser erstes Rodeo“, sagt sie. Die Menschen in Los Angeles wüssten, wie man protestiert. Ein junger Mann, ebenfalls ganz in Schwarz, fährt auf einem Fahrrad in sicherem Abstand voran. Wenn eine Straße frei von Polizei ist, gibt er ihr ein Zeichen, die Gruppe entsprechend zu lenken.
An der Ecke vor dem Rathaus trifft ihre Gruppe auf eine zweite. Es ist das Signal anzuhalten. Die ersten setzen sich auf eine kleine Mauer und ruhen sich aus. Die Polizei, die das Rathaus bewacht, steht auf der anderen Straßenseite.
Aus Langeweile scharen sich einige plötzlich um eine TV-Reporterin, und halten ihre Schilder in die Kamera. Die Stimmung schlägt wenig später um, als jemand aus dem Nichts eine Wasserflasche in Richtung Polizei wirft.
Es sind solche „schwarzen Schafe“, auf die Haley und Christie sauer sind. Die beiden Studentinnen laufen am Nachmittag im großen Demonstrationszug durch die Stadt. „Wir versuchen, den Frieden zu bewahren“, sagt Haley. Sie hat sich eine Flagge von Guatemala umgehängt, ihre Eltern kommen aus dem mittelamerikanischen Land. Christies Familie stammt aus Mexiko. „Wir haben Angst, dass sie unsere Familien verhaften“, sagt sie. Mit den Protesten wollen sie zeigen, „dass wir uns um unsere Leute kümmern“, so Haley.
Es sind die Bemühungen der Trump-Regierung, gezielte Razzien durchzuführen, um Menschen ohne Papiere aufzuspüren, die die Wut von Haley, Christie und den anderen Demonstranten entfacht hat. Los ging es am vergangenen Freitag als Mitarbeiter der Immigrationsbehörde ICE (Immigration and Customs Enforcement) auf dem Parkplatz des Baumarkts Home Depots im Latino-Viertel Westlake in zivilen Autos vorfuhren und Menschen festnahmen. Parkplätze von Baumärkten sind oft Sammelpunkt für Migranten ohne Papiere, die sich als Schwarzarbeiter anbieten.
Der Demonstrationszug erfährt im Stadtzentrum reichlich Sympathiebekundungen. Ob Imbissbudenbesitzer, Ladenverkäufer oder Passanten – Leute kommen aus ihren Geschäften oder bleiben stehen, filmen das Geschehen und strecken ihren Daumen in die Höhe.
„Friedlicher Protest“, skandiert die Menge abwechselnd mit „Fuck Trump“ und „Fuck ICE“. Haley erzählt, wie sie am Montag jemanden davon abgehalten habe, ein Feuer anzuzünden. Schließlich warte die Polizei nur auf einen Vorwand, um hart zu antworten.
Die Polizei kreist die Demonstranten ein
Dafür hat sie den Rückhalt aus dem Weißen Haus. „Ihr spuckt, wir schlagen“, war die Devise, die Donald Trump bereits am Wochenende ausgab. Am Dienstag bekräftigt er seine Haltung: „Wir werden nicht zulassen, dass eine amerikanische Stadt von einem ausländischen Feind überfallen und erobert wird“, sagte er bei einem Auftritt vor Soldaten in Fort Bragg anlässlich der Feierlichkeiten zum 250. Geburtstag der US-Armee. „Wir werden alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um die Gewalt zu beenden und Recht und Ordnung sofort wiederherzustellen.“
An der Ecke vom Rathaus lässt die Reaktion der Polizei auf den Flaschenwurf nicht lange auf sich warten. Mit Pferden und Gummigeschossen rücken die Beamten vor und versuchen, die Menge auseinanderzutreiben. Es sind solche Szenen, die sich durch die Nacht hinweg dutzendfach in der ganzen Stadt abspielen. Wo immer die kleinen Demonstrantengruppen auf Polizei treffen, werden sie eingekreist und auseinandergetrieben.
Bis spät in die Nacht ist sie damit beschäftigt. Das Kreisen der Helikopter und die Sirenen sind bis in die frühen Morgenstunden zu hören. Am Abend teilt die Sprecherin des Northern Command des US-Militärs mit, am Mittwoch die 700 mobilisierten Marineinfanteristen auf den Straßen der Stadt einzusetzen, um Polizei und Nationalgarde zu unterstützen.
Gregor Schwung berichtet für WELT seit 2025 als US-Korrespondent aus Washington, D.C. Zuvor war er als Redakteur in der Außenpolitik-Redaktion in Berlin für die Ukraine zuständig.
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