CDU-Politiker Herbert Reul, 72, ist seit 2017 Innenminister von Nordrhein-Westfalen.

POLITICO: Herr Reul, warum werden Straftäter immer noch nicht so abgeschoben, wie man sich das eigentlich in der Regierung wünschte?

Herbert Reul: Weil wir in einem Rechtsstaat leben und die Regeln kompliziert sind und wir sie in der Vergangenheit immer komplizierter gemacht haben. Also mich wundert das nicht.

POLITICO: Was muss man vereinfachen?

Reul: Ich bin kein Jurist, kann ich nicht sagen, aber ich weiß, dass die Abläufe sehr kompliziert sind, sehr aufwendig sind, es ständige Möglichkeiten gibt, Verfahren noch mal von vorne aufzurollen. Wenn das so sein muss, dann kann man es nicht ändern. Da muss man aber auch damit leben, dass es eben mühsam sein wird, oder aber man ändert die Regeln. Das müssen Juristen entscheiden, ob das geht. Ich glaube sowieso, dass die Frage der Abschiebung das Problem der zu vielen Menschen aus anderen Ländern hier nicht löst.

POLITICO: Aber müssen die Politiker nicht die Regeln ändern als gesetzgebende Kraft?

Reul: Doch, aber die im Bundestag.

POLITICO: Okay, aber dann sind Sie nicht zufrieden mit dem, was da getan wird auf der Bundesebene?

Reul: Ich bin vorsichtig, weil Sie haben ja zu Recht eben gefragt, wie ist das mit den Regeln. Ich bin kein Jurist, ich könnte es Ihnen nicht sagen. Ich weiß, es liegt in den Abläufen, in den Widersprüchen, in den Einsprüchen, in all den Möglichkeiten, die ein Rechtsstaat auch geben muss und wo man da auf eine bestimmte Schleife verzichten kann, da würde ich mich nicht trauen, das festzulegen. Aber wenn man da schneller werden will, ist das der entscheidende Punkt.

POLITICO: Okay, dann kommen wir noch mal zum Thema, vielleicht gar nicht erst diejenigen reinlassen, die kein Recht auf Asyl haben. Da gibt es ja jetzt die Methode der Grenzkontrollen. Sind Sie zufrieden mit der Zwischenbilanz?

Reul: Ja, ich finde, das ist gar nicht schlecht. Aber auch da gilt, es gibt nicht eine Methode, mit der man es in den Griff kriegt. Viel interessanter als die Frage der Zahl ist die Zahl der Wirkung — also zum Beispiel die Wirkung auf die Menschen hier in der Bundesrepublik Deutschland, die wissen: Die Politik kümmert sich, die nimmt es jetzt ernst, die schwätzt nicht nur rum.

POLITICO: Also Symbolpolitik?

Reul: Nee, ist mehr. Nee, ist schon mehr, weil man zeigt ja, man tut was. Man hat ja nicht den Anspruch, dass damit das ganze Problem gelöst ist.

POLITICO: Das ist Symbolpolitik?

Reul: Nein, das ist ein erster Schritt, man kann auch sagen: Schritt-für-Schritt-Politik. Weil es nämlich eine zweite Wirkung hat, und die kann sehr groß sein auf die Anliegerstaaten. Das Problem bisher war doch, dass jeder alle durchgewunken hat, nach dem Motto „wollen sowieso alle nach Deutschland“, und das geht eben jetzt nicht mehr. Und wenn sich rumspricht, Deutschland nimmt nicht mehr jeden, dann kommen wir vielleicht endlich zu dem Punkt, der viel bedeutender ist: europäische Außengrenzen, und zwar wirksam.

POLITICO: Aber lassen Sie uns noch mal einmal auf die Zahlen gucken. Wir haben da ungefähr 200 Fälle von abgelehnten Asylbewerbern, oder sozusagen aussichtslosen, bei ungefähr 3000 Mann Personaleinsatz. Lohnt sich das?

Reul: Ja, ich würde das nie so mitmachen. Da würde bei meiner Clan-Politik auch jeder immer sagen: Mathematik heißt, da ist zu viel Einsatz für so wenig Erfolg. Da ist ein Fall, da sind zwei Fälle, da sind Einzelfälle durchaus wirkungsvoll, weil sie eine Wirkung auslösen. Also ich glaube, die Maßnahmen sind viel bedeutsamer in der Wirkung als im Einzelfall.

POLITICO: Sie haben das Thema europäische Lösungen angesprochen, da muss man jetzt aber sagen, bis es die gibt, bricht ja Deutschland in gewisser Weise das Recht, indem man national agiert. Ist das der richtige Weg?

Reul: Das ist der richtige Weg, aber wir brechen kein Recht, weil es gibt Juristen, die sagen, das ist okay. Es gibt ein Verwaltungsgericht, das gesagt hat, das ist problematisch oder falsch. Und wie oft habe ich erlebt, dass ein solches Urteil von einem Oberverwaltungsgericht oder einem anderen Verwaltungsgericht kassiert wurde. Also da bin ich ganz relaxt. Bei Juristen weiß man nie, wo die Sache landet.

Gordon Repinski ist Executive Editor POLITICO Deutschland.

Das Interview stammt aus dem „Berlin Playbook“-Podcast. Das „Berlin Playbook“ finden Sie hier.

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