Wie lässt sich mit der Gefahr durch psychisch auffällige Menschen umgehen? Diese Fragen stellen sich die deutschen Innenminister nach dem Amoklauf von Graz mit elf Toten und den Messerattacken in Hamburg und München. Umfragen zufolge hat sich das Sicherheitsgefühl in Deutschland zuletzt verschlechtert.
Hessens Innenminister Roman Poseck schließt deshalb nicht aus, dass noch einmal über eine Verschärfung des Waffenrechts diskutiert wird. Der CDU-Politiker sieht in einer Verbesserung der Sicherheitslage einen Hebel, um die AfD politisch zu stellen.
WELT: Herr Innenminister, aus aktuellem Anlass sprechen wir über die Amoktat in Graz. Was nehmen Sie da mit für diese Innenministerkonferenz?
Roman Poseck: Ich gehe davon aus, dass wir uns auch über dieses schreckliche Ereignis austauschen werden. Auch in Deutschland hat es schreckliche Amokläufe an Schulen gegeben. Unsere Maßnahmen sind bereits sehr hoch an dieser Stelle, wir haben das Waffenrecht immer wieder verschärft. Das waren notwendige und richtige Schritte. Ich sehe deshalb gegenwärtig keine Notwendigkeit, dass wir bei uns gesetzgeberisch aktiv werden. Aber wir werden die weitere Entwicklung in Österreich sehr intensiv beobachten. Vor allen Dingen sind wir alle sehr betroffen über diese schreckliche Tat.
WELT: Sind unsere Schulen wirklich sicher, oder müsste man Detektoren einführen oder ein Waffenverbot stärker kontrollieren?
Poseck: Wir diskutieren in Hessen im Moment darüber, ein Waffenverbot an den Schulen einzuführen. Unser Kultusminister ist da aktiv. Das finde ich sehr richtig. Denn Waffen haben an Schulen nichts zu suchen. Ich glaube aber auch nicht, dass es eine Notwendigkeit gibt, dass wir Schulen jetzt zu Hochsicherheitsgebäuden machen. Das würde ihnen auch ihren Charakter nehmen und hätte viele andere Nachteile. Wir müssen das abwägen. Natürlich ist Sicherheit wichtig, aber wir müssen auch das richtige Maß wahren. Und gerade deshalb werden wir das jetzt auf der Innenministerkonferenz besprechen. Aber noch einmal: Wir dürfen jetzt an dieser Stelle auch nicht überreagieren. Wir haben in Deutschland bereits viele Maßnahmen getroffen, nicht zuletzt im Waffenrecht.
WELT: Zählen dazu auch Übungen, die man mit Schülern in so einer Situation machen kann, wenn sie wirklich eintreten würde?
Poseck: Diese Übungen finden statt. Wir müssen uns natürlich auch immer wieder auf diese schrecklichen Szenarien vorbereiten. Das macht die Polizei auch, die Amok-Übungen durchführt. Das machen die Schulen aber auch selbst. Das ist ein Szenario, das in der Tat auch vorbereitet und geübt werden muss. Wir hoffen natürlich, dass es nie eintritt, aber es ist immer gut, wenn man vorbereitet ist. Und da hat sich auch in den letzten Jahren sehr viel getan. Da haben wir, glaube ich, einen insgesamt guten Stand, was aber auch nicht heißt, dass man es nicht aus diesem schrecklichen Anlass heraus überprüfen kann.
WELT: Sie haben eine ganze Vielzahl von Themen auf der Innenministerkonferenz. Ihr Amtskollege aus Bremen, Ulrich Mäurer, fordert, dass man mehr prophylaktische Maßnahmen gegen auffällige Täter wie zum Beispiel in Hamburg und Aschaffenburg durchsetzen kann, damit es zu solchen Taten gar nicht erst kommt. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Poseck: Wir müssen uns jedenfalls mit den aktuellen Entwicklungen auseinandersetzen. Wir sehen, dass es mehr psychisch auffällige Menschen gibt, die auch gewaltbereit sind. Das haben wir zuletzt auch immer wieder bei anderen Anschlagsszenarien gesehen. Wir haben auf der einen Seite die Gefahr, die von politisch und religiös motivierten Tätern ausgeht, aber auf der anderen Seite eben auch eine Gefahr von psychisch auffälligen, gewaltbereiten Personen. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie man dieser Gefahr besser begegnen kann. Das ist auch ein Schutzauftrag des Staates. Als Innenminister ist es uns ganz wichtig, dass wir für ein Höchstmaß an Sicherheit sorgen. Absolute Sicherheit können wir nicht gewährleisten. Das ist leider nicht möglich, aber unser Anspruch muss es sein, ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten. Und deshalb bin ich sehr offen, darüber zu diskutieren, wie wir solchen Gefahren besser begegnen können. Wir haben in Hessen im Landeskriminalamt eine eigene Einheit eingerichtet, die sich mit diesem Personenkreis beschäftigt, auch mit konkreten Fällen, damit wir frühzeitig reagieren können. Das schreckliche Attentat auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg war ja letztlich eins, das von einem psychisch erkrankten Täter offensichtlich ausgegangen ist.
WELT: Ist es eigentlich jetzt einfacher für die Innenministerkonferenz, weil wir eine schwarz-rote Bundesregierung haben? Macht das die Arbeit für schnellere Abschiebungen, für die Migrationswende, effektiver?
Poseck: Darauf setze ich. Ich denke, wir können ein neues Kapitel aufschlagen. Ich freue mich sehr auf die Begegnung mit Alexander Dobrindt, der sein Kommen zugesagt hat. Er hat bereits sehr, sehr viele Maßnahmen für eine echte Migrationswende ergriffen. Das unterstütze ich nachdrücklich. Und ich bin sicher, dass er aus unserem gesamten Kreis für diese Maßnahmen Unterstützung erfahren wird. Die Innenministerkonferenz hat schon an verschiedenen Stellen Maßnahmen für eine Migrationswende in der Vergangenheit vorgeschlagen: Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten, Abschiebungen auch nach Syrien und Afghanistan, insbesondere von schweren Straftätern. Wir haben zwei Farben, die in der Innenministerkonferenz vertreten sind, SPD-Innenminister und CDU/CSU. Und ich glaube, wir werden ein hohes Maß an Einigkeit haben. Denn uns liegt es gemeinsam am Herzen, dass wir die innere Sicherheit stärken und dass wir auch zu einer anderen Migrationspolitik kommen.
WELT: Und welche Rolle spielt dabei die Frage: Wie weiter umgehen mit der AfD? Also Verbotsverfahren, ja oder nein?
Poseck: Mein Zugang ist an dieser Stelle: Wir müssen gute Politik machen. Das ist das beste Mittel, um die AfD auch wieder kleinzukriegen. Das sollte jedenfalls unser Schwerpunkt sein. Und die aktuellen Umfragezahlen sind an dieser Stelle ermutigend. Ich glaube, die Politik der neuen Bundesregierung kommt an, gerade auch in der Migrationsfrage. Und das verändert Umfragen. Die AfD wird auch ein Thema im Rahmen der Innenministerkonferenz sein. Es gibt aber keinen Beschlussvorschlag, der beispielsweise sich für ein AfD-Verbotsverfahren ausspricht. Ich persönlich bin an dieser Stelle auch dagegen. Ich glaube, dass das im Moment der falsche Weg ist. Es ist zu langwierig, es ist zu risikoreich. Wir haben andere Möglichkeiten, die AfD erfolgreich zu bekämpfen, nämlich mit politischen Mitteln. Das sollte unser Schwerpunkt sein.
Das Interview wurde für WELT TV geführt. In dieser schriftlichen Fassung wurde es zur besseren Lesbarkeit leicht gekürzt und redaktionell bearbeitet.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.