Claudia Major, 48, ist Politikwissenschaftlerin und Expertin für Sicherheitspolitik. Seit März 2025 ist sie Senior Vice President für Transatlantische Sicherheitsinitiativen des German Marshall Fund of the United States.
POLITICO: Frau Major, kommt es international noch auf Europa an?
Claudia Major: Wenn wir uns die letzten Entwicklungen mit Blick auf Iran anschauen, sieht man, dass Europa keine große Rolle spielt. Die Europäer haben versucht, über die Verhandlungen in Genf irgendwie wieder mit an den Tisch zu kommen und doch eine Rolle zu spielen. Und im Endeffekt haben wir gesehen in den letzten Tagen: Sie werden nicht gebraucht, sie werden nicht gefragt, sie spielen keine Rolle, und ihnen fehlen letztlich die Mittel, diese internationalen Entwicklungen zu gestalten. Also das haben wir alles vorher schon vermutet, aber die letzten Tage haben das leider noch mal sehr offen gezeigt.
POLITICO: Und was kann man jetzt machen, damit sich das ändert?
Major: Ja, die Frage ist: Was sind die Mittel, die man braucht, um diese internationalen Entwicklungen zu gestalten? Die USA haben jetzt gezeigt, dass militärische Macht ein Instrument ist; die Europäer haben immer mehr auf regulatorische Macht gesetzt, die spielt gerade überhaupt keine Rolle. Aber wir sehen auch in dem aktuellen Fall – das ist die Lehre, die die USA gerade ziehen –, es ist relativ einfach, in einen Krieg einzusteigen. Aber was dann daraus wird, wie man ihn zu Ende bringt, wie man ihn auch zu seinen eigenen Zielen bringt, das ist die riesengroße Herausforderung.
Die USA wollen, dass die Iraner verhandeln. Ob das so kommt, ist bislang nicht absehbar. Also im Endeffekt: Macht heißt ja, dass man wirklich etwas gestalten kann. Aber ob die USA das hinkriegen: Die Frage ist für mich noch offen, genauso wie die ganze Strategie dahinter noch offen ist.
POLITICO: Das große Bild ist ja in dieser Woche dann auch abgerundet durch den Nato-Gipfel. Und auch da wieder die Frage: Was müssen die Europäer eigentlich tun, um unabhängiger von den USA zu werden?
Major: Ich würde es, glaube ich, ein bisschen anders formulieren. Ich würde sagen, dass die Herausforderung oder das Ziel für die Europäer ist, dass sie eigenständiger werden. Dass sie also immer mehr selbst in der Lage sind, Europa zu verteidigen, Russland oder andere abzuschrecken. Und das Ziel hat sich auch mit dem Krieg Iran-Israel nicht verändert.
Also die Agenda für den Gipfel steht fest: Es geht vor allen Dingen darum, letztlich Trump einen Erfolg zu bescheren. Das zentrale Ziel, die zentrale Aufgabe dieses Gipfels wird es sein, dass sich alle Alliierten auf fünf Prozent Verteidigungsausgaben einigen – 3,5 Prozent für wirklich engere militärische Ausgaben, 1,5 Prozent für infrastrukturelle Sachen wie Straßen oder Brücken oder so was. Also, es geht eigentlich darum, den USA einen außenpolitischen Erfolg zu bescheren, Trump einen außenpolitischen Erfolg zu bescheren, den er bislang noch nicht hatte, weil weder die russisch-ukrainischen sogenannten Gespräche mit Blick auf Frieden funktioniert haben, noch hat der bilaterale Reset mit Russland funktioniert. Iran-Israel ist unklar. Also es geht eigentlich um einen außenpolitischen Erfolg für Trump.
POLITICO: Jetzt ist es noch total unklar, ob er überhaupt aufkreuzt. Gerade weil die USA im Iran eingegriffen haben, ist es ja unwahrscheinlicher geworden. Und Gipfel mag er ja auch nicht?
Major: Ja, wir wissen bei Trump – so disruptiv, wie er ist, und so unvorhersehbar, wie er ist – nicht, wie lange er bleibt, ob er überhaupt kommt, ob er das Thema Iran ansprechen wird. Das ist alles unklar. Wir haben jetzt schon gehört, er wird wahrscheinlich später kommen. Er hat sehr klar gesagt, dass er für die Europäer keine Rolle sieht. Die Europäer haben kein Interesse, Iran-Israel anzusprechen. Sie haben ein riesengroßes Interesse, dass dieser Gipfel erfolgreich über die Bühne geht und sie zeigen können, die Amerikaner sind noch da.
Gordon Repinski ist Executive Editor POLITICO Deutschland.
Das Interview stammt aus dem „Berlin Playbook“-Podcast. Das „Berlin Playbook“ finden Sie hier.
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