Ein bislang geheimer Bericht des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zeichnet erstmals detailliert nach, warum der Bund zum Anfang der Coronapandemie Schutzmasken weit über den tatsächlichen Bedarf hinaus beschaffte. Der Bericht liegt WELT vor.
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Darin werden die Vorgänge ein „Drama in Milliarden-Höhe“ genannt. Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe abweichend von der Kompetenzverteilung der Bundesressorts und „ungeachtet der dort jeweils vorgehaltenen Fachkompetenz“ versucht, die Beschaffung allein zu meistern. Er habe der funktionierenden Bundesverwaltung nicht vertraut.
In der Folge seien Beschaffungsverträge im Volumen von über 11 Milliarden Euro abgeschlossen worden. Die Überbeschaffung schlage sich mit sieben Milliarden Euro auf den Bundeshaushalt nieder.
Seit Januar liegt der Bericht der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof im Bundesgesundheitsministerium vor. Ex-Minister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben, das Ergebnis aber mit Verweis auf den Wahlkampf nicht veröffentlicht. Seine Nachfolgerin, Nina Warken (CDU), lehnte eine Publikation bis zuletzt ebenfalls ab. Stattdessen kündigte sie an, das Papier dem Haushaltsausschuss geschwärzt vorzulegen.
WELT liegt dieses Dokument nun erstmals vor. Diese Redaktion hatte vergangene Woche vor dem Verwaltungsgericht Berlin Klage auf eine vollständige und ungeschwärzte Herausgabe des Berichts gegen das Ministerium eingereicht.
Allein innerhalb von mehreren Wochen im März 2020 habe Spahn 48 Verträge zur Maskenbeschaffung im Rahmen von sogenannten Dringlichkeitsvergaben geschlossen. Das Volumen: mehr als zwei Milliarden Euro. Bereits mit diesen Direktbeschaffungen habe das BMG „die im Covid19-Krisenstab festgelegten Mindestbedarfsmengen um ein Vielfaches übertroffen“.
Angebotsschwemme im Open-House-Verfahren
Später kamen Lieferungen aus einem sogenannten Open-House-Verfahren dazu. Das Ministerium bot Unternehmen, die Masken liefern konnten, einen Stückpreis von 4,50 Euro. Es wurden zehnmal so viele Lieferzusagen ausgesprochen, als ursprünglich geplant. Nur ein kleiner Teil der Masken konnte tatsächlich genutzt werden. In dem Bericht heißt es, dass Open-House-Verfahren sei „außer Kontrolle geraten“. Es habe eine regelrechte „Angebotsschwemme“ gegeben. Der beauftragte Logistiker sei „kollabiert“. Später weigerte sich das Ministerium, nicht bis zum April 2020 gelieferte Masken zu bezahlen. Die Folge: bis heute andauernde Rechtsstreitigkeiten.
Zudem prangert der Sudhof-Bericht Chaos bei der Aktenführung zu den Maskenverträgen sowie Intransparenz bei der Beauftragung von Beraterfirmen an. Bisher seien 150 Millionen Euro für „die externe Beauftragung der Betriebsführung und von Rechtsanwaltskosten angefallen“. Bereits fast fünf Jahre dauere eine externe Beauftragung mit Kernaufgaben der öffentlichen Verwaltung – darunter Aktenführung, Rechnungslegung, Haushaltsanmeldungen, Steuer und Zollangelegenheiten – an.
Das BMG nahm vor der Sitzung des Haushaltsausschusses am Mittwoch in einem dem Bericht angehängten Schreiben Stellung zu den Vorwürfen. Darin äußert das Ministerium Zweifel an den Ergebnissen Sudhofs.
„Welche Methodik und Quellen Frau Dr. Sudhof für ihr Papier genutzt hat, ergibt sich überwiegend nicht aus dem vorliegenden Papier der ‚Sachverständigen Beraterin‘“, heißt es. „Es werden teilweise Tatsachen vorgetragen, die durch Quellen nicht untermauert sind. Nur vereinzelt konnten Quellen rekonstruiert werden.“ Auch die Rolle des Spahn-Nachfolgers Lauterbach wird darin problematisiert.
„Ungewöhnlich für eine gutachterliche Stellungnahme ist, dass das Papier keine Darlegung des konkreten Auftrags enthält, sondern nur eine Bezugnahme auf ein Interview des damaligen Gesundheitsministers Prof. Dr. Lauterbach. Inwieweit die alte Hausleitung sich mit dem Papier auseinandergesetzt und daraus Konsequenzen gezogen hat, ist nicht erkennbar. Ein Bericht an den Haushaltsausschuss zu dem Papier ist jedenfalls nicht mehr erfolgt“, so das BMG.
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