Inhalt des Artikels:

  • Es droht großer Aufwand und viel Bürokratie
  • Kritik aus Sachsen-Anhalt an rückwirkendem Stichtag
  • Warnung vor Doppelstrukturen
  • Unterschiede zwischen Bürgergeld und Asylbewerberregelsatz
  • Was passiert bei Krankenversicherung, Unterbringung und Arbeitsmarktintegration?
  • Wie viele Betroffene in Mitteldeutschland?
  • Linke und Grüne kritisieren "Symbolpolitik" – AfD will Kürzung für alle

Die von der Bundesregierung geplante Kürzung der Leistungen für Geflüchtete aus der Ukraine ist nicht in Sicht. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) teilte auf Anfrage von MDR-Anfrage mit, "die Umsetzung des Vorhabens erfordert unter anderem Rechtsänderungen in den Sozialgesetzbüchern (SGB) X, II, XII und im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Bis das neue Gesetz beschlossen ist, erhalten die Betroffenen Leistungen nach geltender Rechtslage".

Im Kern ist ein sogenannter Rechtskreiswechsel geplant. Ukrainische Flüchtlinge fallen dann nicht mehr unter das SGB II (Bürgergeld), sondern unter das Asylbewerberleistungsgesetz. Doch bislang gibt es für das Gesetz keinen Entwurf oder einen Zeitplan. Das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung in Sachsen-Anhalt teilte MDR AKTUELL mit, es gebe auch "noch keine Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen".

Es droht großer Aufwand und viel Bürokratie

Nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) wird seit Start der neuen Bundesregierung Anfang Mai zusammen mit Ländern und Verbänden an der Reform gearbeitet, das Vorhaben sei "Teil des Sofortprogramms" der Koalition.

Mit Inkrafttreten soll die Leistungskürzung für alle Geflüchteten aus der Ukraine gelten, die nach dem 1. April 2025 in Deutschland eingereist sind. Ob gegebenenfalls aufgrund der geänderten Rechtslage Leistungen zwischen den zuständigen Behörden erstattet werden müssen, "ist im Rahmen eines Gesetzgebungsprozesses zu bestimmen". Das BMAS strebt demnach eine für Verwaltungen und Leistungsberechtigte bürokratiearme Regelung an.

Hintergrund ist ein erheblicher Abstimmungsbedarf zwischen verschiedenen Ministerien und Behörden auf Bundes-, Länder und kommunaler Ebene, mit neuen Zuständigkeiten und Umstellungen bei der Finanzierung. Zudem drohen wegen unterschiedlicher Regeln für bisherige und neue Flüchtlinge Doppelstrukturen.

Stichwort: "Rechtskreiswechsel"

CDU und CSU haben im Bundestagswahlkampf angekündigt, dass Ukraine-Flüchtlinge kein Bürgergeld mehr erhalten sollen, sondern die geringeren Asylbewerberleistungen. Auch von SPD-Seite gab es entsprechende Aussagen. Im Koalitionsvertrag mit der SPD wurde festgehalten:

"Flüchtlinge mit Aufenthaltsrecht nach der Massenzustrom-Richtlinie, die nach dem 01.04.2025  eingereist sind, sollen wieder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, sofern sie bedürftig sind. Die Bedürftigkeit muss durch konsequente und bundesweit einheitliche Vermögensprüfungen nachgewiesen werden. Der Bund wird die hierdurch bei den Ländern und Kommunen entstehenden Mehrkosten tragen."

Erreicht werden soll das mit einen sogenannten "Rechtskreiswechsel". Im deutschen Sozialrecht bezeichnet das den Übergang einer Person oder eines Personenkreises von einem Zuständigkeitsbereich zu einem anderen, etwa von der Agentur für Arbeit (ALG I) zum Jobcenter (ALG II/Bürgergeld) oder bezieht sich auf Übergangsregelungen etwa im Rechtskreis Ostdeutschland in Abgrenzung zur früheren Bundesrepublik.

Kritik aus Sachsen-Anhalt an rückwirkendem Stichtag

Wann der Entwurf zu Beratungen im Bundestag und Bundesrat eingebracht und beschlossen werden soll, ist unklar. Ein Problem könnte auch der rückwirkende Stichtag 1. April werden.

Das Sozialministerium in Sachsen-Anhalt teilte MDR AKTUELL mit, man sehe "den geplanten rückwirkenden Rechtskreiswechsel zum 01.04.2025 äußerst kritisch". Wenn neu ankommende Geflüchtete aus der Ukraine bis Inkrafttreten des Gesetzes weiterhin Bürgergeld erhielten, gelte eigentlich sechs bis zwölf Monate lang ein Vertrauensschutz für die Leistungen. Die Stichtagsregelung passe damit nicht zusammen.

Das Ministerium warnt: "Will man Neuankömmlingen den Zugang ins SGB II verwehren, so sollte das dringend erst nach Inkrafttreten eines entsprechenden Änderungsgesetzes und keinesfalls rückwirkend erfolgen." Das habe man auch gegenüber dem Bund zum Ausdruck gebracht. Zudem erschwert nach Angaben aus Magdeburg die Rückführung ins AsylbLG die Arbeitsmarktintegration der Menschen aus der Ukraine, da dann die Verknüpfung von Leistungen und Eingliederung ende.

Will man Neuankömmlingen den Zugang ins SGB II verwehren, so sollte das dringend erst nach Inkrafttreten eines entsprechenden Änderungsgesetzes und keinesfalls rückwirkend erfolgen.

Sozialministerium Sachsen-Anhalt

Warnung vor Doppelstrukturen

Weiteres Problem sind geänderte Verantwortlichkeiten. Denn für das Bürgergeld sind die Jobcenter zuständig und damit überwiegend der Bund. Die Asylbewerberleistungen hingegen werden von den Kommunen organisiert. Das Sozialministerium in Magdeburg erläuterte dazu MDR AKTUELL, im Land gebe es sechs Jobcenter in kommunaler Trägerschaft sowie weitere Jobcenter in gemeinsamer Trägerschaft von Kommune und Bundesagentur für Arbeit.

Der Bund trage den Großteil der Finanzierung, insbesondere für Regelleistungen, Eingliederungsleistungen und einen Anteil der Unterkunftskosten. Die Kommunen übernähmen die übrigen Unterkunftskosten sowie einen Teil der Verwaltungskosten.

Und für alle Ukraine-Flüchtlinge, die nach dem Stichtag 1. April einreisen, wären laut schwarz-rotem Koalitionsvertrag dann die Asylbewerberleistungsbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte zuständig. Damit drohen perspektivisch eine Parallelstruktur und zusätzlicher Personalbedarf bei den kommunalen Behörden.

Unterschiede zwischen Bürgergeld und Asylbewerberregelsatz

Bedürftige Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine würden mit der Abstufung vom Bürgergeld zu Asylbewerberleistungen im Schnitt bei Erwachsenen gut 100 Euro weniger erhalten, Jugendliche und Kinder etwa 80 bis 60 Euro weniger. Im Unterschied zum Bürgergeld werden Asylbewerberleistungen jedoch teils als Geld, Bezahlkarte, Gutschein und Sachleistungen gezahlt.

Geplante Regelbedarfskürzung für Ukraine-Flüchtlinge
  Bürgergeld/Regelbedarf Asylbewerbersatz
Alleinstehende Erwachsene 553 Euro/Monat 441 Euro
Ehepartner 506 Euro 397 Euro
Jugendliche 471 Euro 391 Euro
Kinder je nach Altersgruppe 357 bis 390 Euro 299 bis 327 Euro
 

Die Bundesregierung begründet die Reform mit der Notwendigkeit, Sozialkosten zu senken sowie mit dem Anspruch, arbeitsfähige Flüchtlinge schneller in den Arbeitsmarkt zu bringen. Zudem würden die ukrainischen Flüchtlinge damit Geflüchteten aus anderen Ländern gleichgestellt.

Was passiert bei Krankenversicherung, Unterbringung und Arbeitsmarktintegration?

Wie das Sozialministerium in Sachsen-Anhalt MDR AKTUELL mitteilte, ist "noch unbekannt", ob mit dem geplanten Rechtskreiswechsel vom Bürgergeld ins Asylbewerberleistungsgesetz auch Änderungen im Bereich Arbeitsmarktzugang, Krankenversorgung und Unterbringung einhergehen. Ohne Ausnahme- oder Übergangsregelungen gäbe es große Auswirkungen auf Leistungsansprüche, Integrationsangebote und Teilhabemöglichkeiten. Dazu zählen:

  • Krankenversicherung: Im SGB II besteht Schutz in der Regel in der gesetzlichen Krankenversicherung, im AsylbLG erfolgt eine Kostenerstattung im Krankheitsfall über das zuständige Amt
  • Sprachförderung und Arbeitsmarktintegration: Während im SGB II eine Mitwirkungspflicht an allen Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit besteht, entfällt diese Verpflichtung im AsylbLG. Der Zugang zu Integrationskursen oder Berufssprachkursen ist grundsätzlich möglich, aber nicht verpflichtend und an Bedinungen geknüpft. Laut sächsischem Sozialministerium sieht das AsylbLG keine Arbeitsmarktberatung vor.
  • Unterbringung: Bürgergeldleistungen umfassen angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung, die in den Regelbedarf einfließen. Beziehende von Asylbewerberleistungen werden zunächst bis zu 18 Monate in Sammelunterkünften untergebracht. In einer eigenen Wohnung später sind Unterkunft und Energie gesondert geregelt.


Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales stellt auf MDR-Anfrage klar: Da Geflüchtete aus der Ukraine weiterhin ein Aufenthaltsrecht gemäß der EU-Massenzustromrichtlinie haben, sind "auch die Neufälle nicht verpflichtet, in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen".

Wie viele Betroffene in Mitteldeutschland?

Laut Bundesinnenministerium wurden bis April 2025 rund 1,26 Millionen Flüchtlinge in Deutschland erfasst, die vor dem seit 2022 andauernden Krieg Russlands gegen die Ukraine geflüchtet sind. In den ersten Monaten dieses Jahres kamen demnach noch jeweils einige Tausend neue Flüchtlinge an, im April nur noch knapp 2.000.

In Sachsen werden laut Sozialministeriums derzeit pro Woche rund dreißig Vertriebene aus der Ukraine neu erfasst, also etwa 120 pro Monat. Zum Vergleich: Im Jahr 2024 waren es insgesamt 10.100 Menschen.
Sachsen-Anhalt meldete dieses Jahr bis 16. Juni insgesamt 1.453 Neuaufnahmen aus der Ukraine, also etwa 250 pro Monat.
Thüringen erfasste bis Ende April 1.369 neue Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, das entspricht rund 350 pro Monat.

Linke und Grüne kritisieren "Symbolpolitik" – AfD will Kürzung für alle

Die Linke im Bundestag wirft Union und SPD vor, AfD-Forderungen zu übernehmen, um Wählerstimmen zu gewinnen. Die innenpolitische Sprecherin Clara Bünger teilte MDR AKTUELL mit, die Linke werde dagegen stimmen. Die Menschen aus der Ukraine seien bisher wegen das Krieges geflohen und und das sei heute noch immer so. Es gebe "keinen sachlichen Grund für eine Andersbehandlung".

Bünger kritisiert, den Ukrainern werde nicht nur das Geld gekürzt, sondern auch die Gesundheitsversorgung. Das sei "menschenunwürdig". Hier gehe es nicht um nachhaltige Lösungen, sondern um Machtdemonstration. Ohnehin sei das Asylbewerberleistungsgesetz diskriminierend und gehöre abgeschafft.

Die Grünen im Bundestag bewerten die Pläne der Regierung Merz als integrationspolitisch kontraproduktiv und im Sinne der russischen Desinformationskampagne, Ukrainer betrieben "Sozialtourismus". Zudem verstoße das Vorhaben gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Es sei absehbar, dass Kommunen und Jobcenter dadurch zusätzlich belastet würden – statt behaupteter Entlastung. Leidtragende seien vor allem Frauen aus der Ukraine, die neben ihrem Kriegsleid "jetzt mit einem irrsinnigen bürokratischen Rückschritt bestraft werden sollen".

Wir brauchen weniger Bürokratie, nicht mehr. Wir brauchen Integration, nicht politische Symbolpolitik auf Kosten von Menschen, die vor einem unsäglichen Krieg fliehen.

Filiz Polat, Migrationsexpertin von Grüne/B90

Die AfD-Fraktion begrüßt die beabsichtigte Rückführung ukrainischer Geflüchteter ins Asylbewerberleistungsgesetz. Das dürfe sich aber nicht auf Neuzugänge beschränken. Aus AfD-Sicht verletzt die bisherige Regelung den Gleichheitsgrundsatz, weil die Ukrainer gegenüber Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern bevorteilt werden. Die AfD hält auch den Verwaltungsaufwand für gerechtfertigt.

Von einer Leistungskürzung erhofft sich die AfD mehr Anreize zur Erwerbsaufnahme. Unterm Strich kritisiert auch die AfD das Regierungsvorhaben als "wirkungslos", weil der Großteil der derzeit rund 700.000 ukrainischen Bürgergeldbezieher nicht einbezogen werde.

MDR AKTUELL(ans)

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.