Wann endet dieser unfassbare Hass?“, schreibt Nikodemus Schnabel, der katholische Abt der Dormitio Abtei in Jerusalem, und veröffentlicht auf der Plattform X die Bilder eines brennenden Ortes, der seit Jahrtausenden an den Hängen des Heiligen Landes liegt.

Taybeh ist eine kleine christliche Gemeinde im israelisch besetzten Westjordanland, nur zehn Kilometer von Ramallah entfernt. Die Bilder stammen aus einer Nacht, in der hier niemand schläft. Die Luft ist erfüllt vom schweren Geruch verbrannten Holzes und Gummis, Benzindämpfe wabern durch die Ortschaft, während etwa 70 Männer schweigend durch die Gassen patrouillieren. Ihre Gesichter sind angespannt, die Hände umklammern Taschenlampen und Handys. „Wir müssen wachsam sein“, sagt einer von ihnen leise, „sie könnten wiederkommen.“

So beschreibt ein Augenzeuge die nächtliche Szenerie. Seit dem Angriff gewalttätiger jüdischer Siedler am Mittwochabend ist Taybeh im Ausnahmezustand. Maskierte Männer hatten Olivenbauern überfallen, Steine geworfen, mehrere Autos und Gebäude in Brand gesteckt. Laut verschiedener Quellen gab es mindestens zehn Verletzte. Die Angst ist allgegenwärtig – und sie ist nicht neu.

Die meisten Menschen im Nahen Osten kennen den Ort mit 2100 Einwohner wegen seiner Brauerei. Taybeh Bier hat weit über die Grenzen des Westjordanlands einen guten Ruf. Es ist ein Ort mit langer Geschichte. Vor mehr als 4000 Jahren von Kanaanitern gegründet, wurde der Ort nicht zum ersten Mal in jüngerer Zeit Opfer von Pogromen.

Im Jahr 2005 waren es nicht jüdische Siedler, sondern muslimische Bewohner eines Nachbardorfes, die in Taybeh einfielen. Sie brannten vierzehn Häuser nieder – um die „Ehre ihres Dorfes“ wieder herzustellen, hieß es dann. Angeblich hatte zuvor ein Christ aus Taybeh mit einer verheirateten Muslimin Kontakt, sie sei schwanger geworden. Auch die Brauerei wäre beinahe niedergebrannt worden.

In Taybeh leben griechisch-orthodoxe, griechisch-katholische und römisch-katholische Christen, die ihre Feste gemeinsam feiern. Hierher soll sich Jesus Christus in den Tagen vor seiner Passion zurückgezogen haben. Aber nun, 2000 Jahre später, wird den Christen ihr Platz dort streitig gemacht. Immer näher kommen die wachsenden jüdischen Siedlungen an den Ort. Es beginnt, wie es immer beginnt, mit provisorischen Blechhütten und Holzverschlägen. Nach wenigen Wochen werden erste Fundamente errichtet.

Seit dem 7. Oktober hat die israelische Regierung viele dieser illegalen Außenposten genehmigt. Dann kommen maskierte Männer ins Dorf und beginnen, die Anwohner zu terrorisieren. Man kann es nicht anders interpretieren: Sie wollen das Land für sich. Die Christen sollen verschwinden.

Der römisch-katholische Gemeindepfarrer Bashar Fawadleh stellt resigniert fest, „in diesen Tagen leben wir unter dem Feuer, der Barbarei und der Brutalität der Siedler“.

Immer mehr Christen verlassen das Westjordanland

Der Olivenbaum, das Symbol des Friedens, ist für die Menschen hier mehr als nur Erwerbsquelle – er steht für ihre tiefe Verwurzelung im Land. Doch die Realität ist rau: Seit 1967 steht das Westjordanland unter israelischer Besatzung, die Siedlungspolitik der jetzigen israelischen Regierung verschärft die Spannungen. Viele christliche Familien wandern aus, Dörfer wie Taybeh werde immer seltener.

„Wir sind schon so wenige“, sagte Pfarrer Fawadleh, „aber wir werden uns mit Hoffnung durchsetzen. Wir sind palästinensische Christen. Wir widerstehen mit unserem Glauben.“ Worauf er anspielt ist, dass die palästinensischen Christen bereits vor einem Vierteljahrhundert dem bewaffneten Widerstand gegen die Besatzung entsagt haben. Sehr zum Ärger von einem großen Teil der muslimischen palästinensischen Bevölkerungsgruppe.

Eltern fürchten um ihre Kinder, denn die Erinnerungen an die Gewalt sind noch frisch. „Wir fühlen uns alleingelassen“, schreibt eine Mutter aus Taybeh in den sozialen Medien. „Von der Polizei kommt kein Schutz, von der Armee auch nicht.“ Pfarrer Fawadleh versucht Öffentlichkeit zu schaffen. Internationale Aufmerksamkeit soll die Lage entschärfen. Doch viele Bewohner glauben nicht mehr an schnelle Lösungen. Recherchen unter anderem der „New York Times“ zeigen, dass gewalttätige Siedler zwar gelegentlich von der Armee festgenommen werden, aber der Rechtsstaat oft nicht mehr durchgesetzt wird, seitdem in der israelischen Regierung radikale Vertreter der Siedler-Lobby in Ministerämtern sind.

Abt Nikodemus Schnabel, den WELT am See Genezareth erreicht, fasst die Lage so zusammen: „Seit Antritt der derzeitigen israelischen Regierung scheint der Begriff ‚Terroristen‘ für die Feinde von außen reserviert zu sein, wie etwa die Hamas oder die Hisbollah. Die Existenz Israels ist aber auch von innen gefährdet, und zwar von denen, die der Autor Amos Oz als ‚jüdische Neonazis‘ bezeichnet hat.“

Diese „terroristische Gruppe“ hat vor genau zehn Jahren, am 18. Juni 2015, das Benediktinerkloster Tabgha am Nordwestufer des Sees Genezareth in Brand gesteckt, berichtet Schnabel. „Ein Teil von deren kahanistischer Ideologie ist neben fremdenfeindlichem Rassismus nämlich auch ein tief sitzender Christenhass.“ Der Begriff bezieht sich auf den radikalen Rabbiner Meir Kahane, der einen ultranationalistischen und fundamentalistischen Zionismus begründete.

Jetzt hat es das einzige vollständig christliche Dorf in Westjordanland getroffen. Der Unterschied zum Brandanschlag auf das Kloster vor zehn Jahren aber sei, so Schnabel, das damals das offizielle Israel, „dieses Hassverbrechen gegen uns auf das Schärfste verurteilt hat“, allen voran der damalige Staatspräsident Reuven Rivlin. „Diesmal nur dröhnendes Schweigen. In meinen Augen sollte Israel nicht weiter seine Augen vor diesem wachsenden staatsgefährdenden Problem verschließen, und zwar um seiner eigenen Zukunft willen!“, sagt Schnabel.

Derweil zieht die Nachtwache weiter durch die Straßen von Taybeh. „Wir schlafen nicht mehr“, sagt einer der Männer. „Aber wir geben unser Zuhause nicht auf.“ Trotz aller Angst, trotz aller Gewalt – in Taybeh hält man an der Hoffnung fest, dass der Olivenbaum eines Tages wieder nur für Frieden stehen wird.

Bis dahin bleibt der Alltag von Unsicherheit geprägt. Die Bewohner von Taybeh wissen: Jede Nacht könnte die nächste sein, in der sie wieder wach bleiben müssen – und immer näher rückt die Siedlung an den Ort heran.

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