Wenn die SPD auch nicht mehr klar vermitteln kann, was der Kern der heutigen Sozialdemokratie ist und welche Funktion die Partei für die Bürger noch haben kann, bleibt sie in einer Sache doch unerschütterlich klar: im proklamierten „Kampf gegen rechts“. In sozialdemokratischer Übersetzung heißt das mittlerweile, ein Verbot der AfD anzustreben.
Am dritten und letzten Tag ihres Bundesparteitags diskutierten die Sozialdemokraten in Berlin einen Initiativantrag des Parteivorstands, der dafür plädiert, ein AfD-Verbotsverfahren vorzubereiten. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll Materialien sammeln, Gutachter sollen prüfen, „ob damit der Nachweis der Verfassungswidrigkeit der AfD erbracht werden kann“. In der Partei schätzt man, dass dieser Prozess etwa ein bis anderthalb Jahre dauern und der Nachweis dann erbracht sein wird.
Wie die SPD die erforderliche Mehrheit erreichen will, um einen Antrag auf Verbot der AfD beim Bundesverfassungsgericht einzureichen, blieb indessen unklar.
Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung sind antragsberechtigt. Die SPD wäre nicht nur auf Zustimmung der Grünen und der Linkspartei angewiesen, sondern auch auf etliche Stimmen aus der Union. Derzeit scheint es äußerst unwahrscheinlich, dass sie diese gewinnen könnten. Doch die Sozialdemokraten hielten hartnäckig an ihrer Überzeugung fest, auf dem richtigen Weg zu sein und auch das Lager der Union umstimmen zu können.
Verbotsverfahren könnte scheitern – und AfD triumphieren
Selbst wenn die SPD eine Mehrheit für ihr Vorhaben gewinnen würde, bliebe allerdings das Risiko, dass ein Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert und die AfD als triumphierender Sieger aus dem Verfahren hervorgeht. Aber auch dieses Szenario schreckte die Sozialdemokraten nicht ab. „Das Risiko, nichts zu tun, ist größer als das Risiko, vor Gericht eine Niederlage zu erleiden“, sagte Georg Maier, Innenminister in Thüringen und schon seit langem Anhänger eines AfD-Verbots.
Woher die Sozialdemokraten diese Sicherheit nahmen, erschloss sich nicht unmittelbar. Denn die Einzigen, die durch eine solche Niederlage beschädigt würden, wären all jene demokratischen Kräfte, die das Verbotsverfahren angestrebt haben.
Es werde in wenigen Jahren düster für die Demokratie aussehen, wenn die Vorbereitungen für ein Verbotsverfahren nicht jetzt getroffen würden, warnte Carmen Wegge. Sie gehört zu den Initiatoren eines fraktionsübergreifenden Gruppenantrags vom November 2024, mit dem Abgeordnete im Bundestag ein AfD-Verbot prüfen lassen wollten. Der Antrag verfehlte die erforderliche Mehrheit und scheiterte. Wegge schien das erst recht kämpferisch zu machen: „Die AfD will unsere Demokratie abschaffen“, sagte sie auf dem Parteitag und erinnerte wieder einmal an die Geschichte der SPD, die als einzige Partei 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte.
Ungeachtet der erheblichen Differenzen, die zwischen Berlin und Weimar bestehen, war in mehreren Wortbeiträgen flugs von „Faschismus“ die Rede und davon, die „faschistischen Strukturen“ zerschlagen zu müssen. Während die wiederbelebte Antifa-Allianz in der SPD auf hohen Zuspruch stieß, die Delegierten jubelten und applaudierten, schien sich niemand daran zu stören, aus welcher Position der Schwäche die Sozialdemokraten gerade agieren. In den Umfragen liegt die AfD deutlich vor der SPD, in manchen Bundesländern erreicht die AfD mehr als 30 Prozent. Wie ließe sich diese Diskrepanz den Wählern vermitteln, die sich mit einem Parteiverbot plötzlich außerhalb des Spektrums demokratischer Repräsentation befänden?
„Eine Partei wird nicht deshalb demokratisch, weil sie demokratisch gewählt wird“, sagte Georg Maier. Das geht allerdings am entscheidenden Punkt vorbei. Denn noch ist die AfD eine demokratisch legitimierte Partei und ihre Wahl nicht rechtswidrig. Zweifelhaft ist, ob sich die Menschen durch politische Ausgrenzung wirklich „zurückgewinnen“ lassen, wie die SPD es sich vorstellt.
Es überwog eine andere Überzeugung: Es gehe nicht um „politische Willkür“, so Maier, sondern um verfassungsrechtliche Verantwortung. Dazu meldete sich auch der Co-Vorsitzende Lars Klingbeil zu Wort, der am Freitag bei seiner Wiederwahl mit nur knapp 65 Prozent der Stimmen einen schmerzhaften Dämpfer erlitten hatte.
Diesmal aber konnte er auf breiten Konsens in seiner Partei setzen: Wenn der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem einstufe, gebe es kein „Taktieren“ mehr. Aus seiner Sicht ist auch die Stärke der AfD oder die fehlende Garantie auf einen juristischen Erfolg kein Argument gegen ein Verbotsverfahren. „Es ist unsere historische Aufgabe, die Leute wieder aus dem Parlament zu kriegen, die gehören da nicht rein“, sagte Klingbeil und meinte damit die AfD, den „blauen Block“ im Bundestag, der mittlerweile so große Ausmaße angenommen habe.
In der mehrstündigen Aussprache gab es niemanden, der sich gegen das angestrebte AfD-Verbotsverfahren ausgesprochen hätte. Der Antrag wurde einstimmig angenommen.
Durch das geschlossene Auftreten in dieser Frage traten andere Themen des Parteitags in den Hintergrund. Einen Eklat beim Thema Wehrpflicht konnte die SPD am Samstagabend gerade noch abwenden, nach stundenlangem Ringen war ein Kompromiss gefunden: Musterung soll künftig erlaubt sein, eine Zwangsrekrutierung nicht. Glück für die Sozialdemokraten, denn ein Dissens in dieser zentralen Frage hätte das in seltener Einigkeit verhandelte AfD-Thema am Sonntag mutmaßlich laut übertönt.
Politikredakteurin Hannah Bethke ist bei WELT zuständig für die SPD und innenpolitische Debatten.
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