US-Präsident Donald Trump vermeldet Fortschritte bei seinen Bemühungen um eine Feuerpause im Gazastreifen. Israel habe den „Bedingungen zur Finalisierung“ einer 60-tägigen Waffenruhe zugestimmt, teilte Trump am Dienstag mit. „Während dieser Zeit werden wir mit allen Parteien daran arbeiten, den Krieg zu beenden.“ Vertreter Katars und Ägyptens würden „diesen endgültigen Vorschlag“ der Hamas übermitteln.

Eine Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas könnte laut Trump bereits „innerhalb der nächsten Woche“ zustande kommen. Am kommenden Montag besucht Israels Premier Benjamin Netanjahu zum dritten Mal in Trumps zweiter Amtszeit das Weiße Haus.

Trump hat mehrfach offen eingefordert, den Krieg in Gaza zu beenden. Erst vergangene Woche gelang es ihm, ausreichend Druck auf Israel für einen Waffenstillstand mit dem Iran auszuüben. Aber wie könnte ein Ende der Kampfhandlungen im Gaza-Streifen aussehen?

Wer kontrolliert den Streifen?

Nach 20 Monaten Krieg hat die israelische Armee (IDF) den Großteil der palästinensischen Enklave unter Kontrolle gebracht. „In naher Zukunft werden wir die für diese Phase definierten Ziele erreichen“, sagte Generalstabschef Ejal Samir der „Times of Israel“. Nach dem Bruch der Waffenruhe im März hatte sich die IDF zum Ziel gesetzt, drei Viertel des Streifens zu kontrollieren.

Während die Terrororganisation Hamas keine offiziellen Angaben zu ihren Verlusten macht, gehen israelische Militärschätzungen davon aus, dass inzwischen mindestens 20.000 der Hamas-Kämpfer getötet wurden. Das dürfte dem Großteil der ausgebildeten Einheiten entsprechen, längst sind ungelernte Kämpfer im Einsatz. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge, der sich auf israelische Geheimdienste bezieht, sinkt ihr Durchschnittsalter „von Tag zu Tag“. Die Islamisten rekrutieren demnach aus den Hunderttausenden verarmten, arbeitslosen und vertriebenen jungen Männern.

Vergangene Woche vermeldete die israelische Armee die Tötung von Hakem al-Isa. Dieser war laut Militärangaben „einer der letzten hochrangigen Führer der Hamas, der vor dem 7. Oktober ein hohes Amt innehatte und sich noch immer im Gaza-Streifen befindet“. Al-Isa soll sowohl für die Planung des Hamas-Überfalls auf Israel am 7. Oktober 2023 als auch für den Wiederaufbau der Kapazitäten der Terrororganisation nach dem Angriff maßgeblich verantwortlich gewesen sein.

Wer führt die Hamas in Gaza?

Nachdem viele ranghohe Befehlshaber getötet wurden, lässt die Terrormiliz nicht mehr verlauten, wer sie im Gaza-Streifen anführt. Seit der Tötung von Anführer Mohammed Sinwar im Mai wird davon ausgegangen, dass die Hamas nun von dem 55-jährigen Ezzedin al-Haddad geleitet wird. Haddad war der Hamas-Chef in Nord-Gaza und steht in der Hierarchie der Terrororganisation direkt nach Sinwar.

Laut „Wall Street Journal“ war Haddad nach dem Terrorüberfall vom 7. Oktober für die von der Hamas entführten Geiseln verantwortlich. Eine freigelassene israelische Geisel sagte, sie habe Haddad fünfmal während ihrer Geiselhaft in Gaza getroffen und sogar in derselben Wohnung wie er geschlafen. Haddad habe Fotos von Geiseln auf seinem Handy gehabt, die er anderen Geiseln gezeigt habe, berichtete sie weiter. Haddad soll im Gaza-Krieg zwei Söhne verloren haben.

Wie viele Geiseln sind noch in der Gewalt der Hamas?

Derzeit befinden sich 50 Geiseln in den Händen der Islamisten. Laut einer Bilanz der Nachrichtenagentur AP gelten 27 von ihnen als tot. Über das Schicksal mehrerer weiterer Geiseln bestehen laut Premierminister Netanjahu „Zweifel“.

Insgesamt waren am 7. Oktober 2023 251 Geiseln von der Hamas verschleppt worden. Vier weitere Geiseln befanden sich bereits vor dem Angriff im Gaza-Streifen.

Seit dem Terrorangriff konnte die israelische Armee acht Geiseln lebend befreien, 140 Geiseln wurden nach Verhandlungen freigelassen. Außerdem wurden insgesamt 54 Leichen im Gaza-Streifen geborgen, darunter fünf Menschen im vergangenen Monat. Acht Leichen wurden im Rahmen von Verhandlungen mit den radikalen Islamisten zurückgegeben.

Wie übt die Hamas ihre Macht in Gaza aus?

Um die Kontrolle über die Palästinenser im Gaza-Streifen zu bewahren, hat die Terrororganisation ihre gezielten Angriffe auf dortige Oppositionelle intensiviert. So wie in Beit Lahia, wo Palästinenser immer wieder gegen die Hamas protestieren. Dort griffen maskierte Männer vergangene Woche den prominenten Aktivisten Ahmed al-Masri an und brachen ihm das Bein.

Die gewalttätigen, maskierten Männer gehören der sogenannten „Spezialeinheit“ der Hamas an, die in Gaza als „al-Sahm“ – arabisch für „der Pfeil“ – bekannt ist. Gegenüber dem katarischen Sender „Al Jazeera“ erklärte die Terroristen-Einheit: „Das Ziel der harten Bestrafungen besteht darin, Menschen davon abzuhalten, überhaupt daran zu denken, mit der israelischen Besatzung in Kontakt zu treten.“

In den vergangenen Monaten gewann die Einheit an Bedeutung für die Hamas, weil sie die zusammengebrochene Polizeistruktur im Streifen ersetzt und somit die Hamas-Kontrolle über die Palästinenser aufrechterhält – trotz des Vorrückens der israelischen Armee.

Das von der Hamas kontrollierte Innenministerium gründete „al-Sahm“ Anfang 2024, um „Kollaborateure zu bekämpfen“ und „Chaos und Diebstähle von Hilfsgütern zu verhindern“. Anti-Hamas-Stimmen in Gaza werfen der Einheit jedoch vor, selbst die Hilfslieferungen für die Hamas zu plündern.

Gibt es Hamas-freie Zonen in Gaza?

Anfang Juni bestätigte Premierminister Netanjahu erstmals, dass Israel eine palästinensische Anti-Hamas-Miliz im Gaza-Streifen ausrüstet: die „Volkskräfte“ des 31-jährigen Jasser Abu Schabab. Abu Schabab gehört einem Beduinen-Clan in Gaza an, dessen Verbindungen bis auf die ägyptische Sinai-Halbinsel und in die israelische Negev-Wüste reichen. In der Vergangenheit war der Clan laut einem Bericht der „Times of Israel“ in Waffenschmuggel über die Grenze zum Sinai verwickelt.

Mit dem Zerfall der Hamas-Ordnung im Gaza-Streifen etablierte die Miliz von Abu Schabab ein eigenes Machtgebiet im Osten von Rafah. Laut einem internen UN-Memo, über das die „Washington Post“ im vergangenen November berichtete, soll Abu Schabab dort zum „wichtigsten und einflussreichsten Akteur hinter der systematischen und massiven Plünderung“ von Hilfskonvois aufgestiegen sein.

Das Brisante an den im Mai gegründeten „Volkskräften“ von Abu Schabab: Sie verfügen über Basen tief im israelischen Kontrollgebiet in Gaza. Laut einem Bericht von „ynet“, der sich auf Quellen in Gaza bezieht, ist das Vertrauen der Palästinenser in die rund 300 Kämpfer von Abu Schabab jedoch sehr gering. Der Grund: Die Bewohner Gazas sind weiterhin der realen Gefahr durch die Hamas und ihre „Spezialeinheit“ ausgesetzt. Das Risiko, als Kollaborateure gebrandmarkt zu werden, ist zu hoch.

Die Unterstützung der Miliz von Abu Schabab ist in Israel umstritten. „Wir haben uns Clans in Gaza zunutze gemacht, die gegen die Hamas sind. Was ist daran falsch?“, verteidigte sich Netanjahu gegen den Vorwurf der Opposition, Israel bewaffne „Kriminelle und Schwerverbrecher“ in Gaza.

Netanjahu sagte: „Das ist nur gut. Es rettet das Leben israelischer Soldaten.“ Nach eigenen Angaben schützen die Kämpfer von Abu Schabab die Verteilungspunkte der Gaza Humanitarian Foundation (GHF), einer von Israel gesteuerten Stiftung, die Hilfsgüter im Gaza-Streifen verteilt und unter anderem das UN-Hilfswerk UNRWA ersetzen soll, das von israelischem Boden aus nicht mehr operieren darf.

Wie entwickelt sich die humanitäre Situation vor Ort?

Seit Ende Mai verteilen vier GHF-Zentren Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen – und es kommt immer wieder zu Beschuss in der Nähe dieser Verteilungspunkte. Die Hamas hatte offiziell dazu aufgerufen, die Arbeit der GHF zu sabotieren. Fälle, in denen mutmaßliche, als Zivilisten getarnte Hamas-Kämpfer auf Hilfe suchende Menschen feuern, sind dokumentiert.

Allerdings wird auch der israelischen Armee vorgeworfen, auf Zivilisten zu schießen. Die IDF hatte im vergangenen Monat eingeräumt, dass israelische Soldaten in der Nähe der Verteilzentren „Warnschüsse“ abgegeben hätten, wenn sich die Menschen nicht an die von der GHF vorgegebenen Routen gehalten hätten. Am Montag erklärte die Armee erstmals, dass es zu Beschuss und Artilleriefeuer bei GHF-Verteilzentren kam. Dabei seien „wenige Menschen“ getroffen worden, so die Darstellung der IDF.

Die Verantwortung für den Beschuss bei den GHF-Verteilzentren rückte wieder in den Mittelpunkt der weltweiten Berichterstattung, nachdem „Haaretz“ einen Bericht veröffentlichte, der sich auf Quellen innerhalb der Armee bezieht und 19 solcher Vorfälle zählt, bei denen „die IDF auf Menschen schießt, die vor den Öffnungszeiten ankommen, um sie daran zu hindern, sich zu nähern, oder auch nach Schließung der Zentren, um sie zu zerstreuen“. Ein aktiver Soldat sagte der Zeitung: „Unsere Form der Kommunikation ist Schusswaffengebrauch.“ Palästinensischen Quellen zufolge sind in den vergangenen zwei Monaten mehr als 500 Menschen bei den GHF-Zentren gestorben.

Amin Al Magrebi ist Volontär an der Axel Springer Academy. Für WELT schreibt er unter anderem über Syrien und den Nahost-Konflikt.

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