SPD-Politiker Philipp Türmer, Jahrgang 1996, ist seit November 2023 Bundesvorsitzender der Jusos, der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialisten bei den Sozialdemokraten.

POLITICO: Herr Türmer, wenn Sie Teil des Koalitionsausschusses wären, wie würden Sie heute Friedrich Merz begrüßen?

Philipp Türmer: Ich würde ihn noch mal darauf hinweisen, dass die Pride-Flag keine Zirkusfahne ist (Merz lehnt eine Regenbogen-Flagge auf dem Bundestag anlässlich des Christopher Street Day ab, d. Red.), sondern dass sie ehrlicherweise genau für die Werte des Grundgesetzes steht: für Toleranz, dafür, dass niemand diskriminiert werden soll, und dass sich das ganz hervorragend auf der Spitze des Bundestags macht.

POLITICO: Und wäre dann die Stimmung für den Koalitionsausschuss verdorben, oder würden Sie dann ins konstruktive Arbeiten übergehen?

Türmer: Also erst mal fände ich das einen sehr konstruktiven Hinweis, der Friedrich Merz dabei hilft, auch mit diesen Fragen in unserer Zeit anzukommen. Und dann geht es natürlich los. Dieser Koalitionsausschuss wird zeigen müssen, dass die Koalition auch politisch liefern kann.

POLITICO: Was wäre das denn für Sie? Ich meine eine Senkung der Stromsteuer, das war ja zunächst mal von Lars Klingbeil nicht erwünscht.

Türmer: Das Problem ist ja dieser Finanzierungsvorbehalt an der Stelle. Und das ist schon ein bisschen wohlfeil, wenn jetzt ganz viele CDU-Ministerpräsidenten sich darüber beschweren, dass das nicht kommt, es aber ebendiese CDU-Ministerpräsidenten waren, die sich beispielsweise mit Händen und Klauen dagegen gewehrt haben, dass wir auch mal über höhere Steuern, etwa für Vermögen, Erbschaften oder hohe Einkommen, sprechen. Ich bin dafür, dass die Senkung der Stromsteuer für alle so schnell wie möglich kommt. Und am liebsten würde ich es damit finanzieren, dass diese Koalition auch ein bisschen was bei der Verteilungsgerechtigkeit hinbekommt.

POLITICO: Aber Sie haben ja eine Gegenfinanzierung durch das Bürgergeld. Da soll ja eine fast genauso hohe Summe eingespart werden.

Türmer: Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn man dem Auftrag nachkommen will, dem das Bürgergeld nämlich eigentlich dienen soll – Menschen dabei zu unterstützen, möglichst schnell in Arbeit zu kommen –, dass wir da eher Geld in die Hand nehmen müssen. Und dass ganz viele, die jetzt Vorstellungen haben, man könnte mit Sanktionen dort wahnsinnig viel einsparen, dass das alles in die völlig falsche Richtung läuft. Wir brauchen einen funktionierenden Sozialstaat, den die Menschen als Verbündeten an ihrer Seite wahrnehmen. Nur dann akzeptieren sie das, und dann wird dem gedient, was alle am Ende wollen: nämlich Menschen in Arbeit bringen.

POLITICO: Aber wenn es jetzt die vier bis fünf Milliarden bringt und das ungefähr die Kosten sind für die Stromsteuer, ist das doch in Ordnung?

Türmer: Ja, und wenn wir damit dann einen Beitrag dazu leisten, dass wir quasi in alte Hartz-IV-Zeiten zurückkommen, bei denen Hartz-IV-Empfängerinnen...

POLITICO: Aber da sind wir doch weit entfernt.

Türmer: Genau, da dürfen wir auch nicht wieder hin. Also, das ist ja die große Errungenschaft des Bürgergelds gewesen, dass dieser Vermittlungsvorrang abgeschafft worden ist und dass man zu diesen Kooperationsvereinbarungen übergegangen ist, damit Menschen, die im Bürgergeld-Bezug sind, gut mit den Jobcentern zusammenarbeiten. Weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass das der beste Weg ist, um Menschen schnellstmöglich einen Job zu vermitteln, der ihnen passt und wo es dann auch passt für die Unternehmen, die sie beschäftigen.

POLITICO: Ist Lars Klingbeil für Sie zu sehr Regierungspolitiker, zu wenig Parteichef?

Türmer: Lars Klingbeil ist beides und hat jetzt im Koalitionsausschuss gemeinsam mit Bärbel Bas die Möglichkeit, das auch noch mal zu zeigen.

Gordon Repinski ist Executive Editor POLITICO Deutschland.

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