Der Händedruck war ebenso eisig wie kurz: Beim Treffen der Staatschefs des südamerikanischen Handelsbündnisses Mercosur in Buenos Aires in dieser Woche offenbarten der argentinische Gastgeber Javier Milei (54) und Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva (79) einmal mehr ihre tiefe persönliche Abneigung. Während Lula keine Probleme damit, hat vor den Kameras der internationalen Presse demonstrativ die Diktatoren dieser Welt zu umarmen, lässt er den libertären Polit-Exzentriker aus Argentinien regelmäßig links liegen. Gegen den Rat des eigenen Außenministeriums besuchte er sogar Mileis innenpolitische Gegenspielerin in ihrem Hausarrest. Die gerade wegen Korruption verurteilte linkspopulistische Ex-Präsidentin Cristina Kirchner darf ihre Wohnung nicht verlassen und trägt eine Fußfessel.
Und das war nicht die einzige Nachricht, die negative Schlagzeilen machte: Nach scharfer Kritik aus der Heimat musste der brasilianische Präsident kurzfristig die ursprünglich geplante Übernachtung in der Luxusherberge Alvear Palace Hotel gegen ein Bett in der argentinischen Botschaft tauschen.
Am Sonntag nun beginnt in Brasilien der zweitägige BRICS-Gipfel. Gastgeber Lula da Silva steht unter Druck. Jüngste Umfragen sehen seine Popularität auf einem Tiefpunkt, im Kongress musste er gerade erst eine herbe Niederlage bei einer Abstimmung einstecken. Die Regierung in Brasilia ist hochnervös und sah sich sogar genötigt, einen Lula-Verriss des renommierten Magazins „The Economist“ mit einer Stellungnahme zu kontern. Der Präsident sei nach wie vor eine „moralische Autorität“. Das Magazin hatte Lula als innenpolitisch immer unpopulärer und außenpolitisch zunehmend wirkungs- und machtlos bezeichnet.
Ein gutes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen in Brasilien steckt der fast 80-jährige Lula in einer Krise. Und wie zum Beweis reisen Lulas Partner auf der Weltbühne aus unterschiedlichen Gründen nun gar nicht erst zum BRICS-Gipfel nach Rio de Janeiro: Chinas Präsident Xi Jinping, Russlands Machthaber Wladimir Putin und Irans Präsident Massud Peseschkian sagten laut brasilianischen Medienberichten ab.
Offenbar halten sie eine Präsenz beim Treffen des einst von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gegründeten Schwellenländer-Bündnisses derzeit nicht für opportun. Dabei hatte Lula dem russischen Präsidenten Putin – trotz des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofes wegen Kriegsverbrechen – in der Vergangenheit stets eine sichere Einreise nach Brasilien in Aussicht gestellt.
In Europa und in den USA war Lulas demonstrative Zuwendung hin zu den antiwestlichen Regierungen in Moskau und Peking irritiert zur Kenntnis genommen worden, hatten sie Brasilien doch stets auf der Seite der westlichen Demokratien verortet. „Es ist in einer viel zerklüfteteren Welt, die von Gegensätzen geprägt ist, nur natürlich, dass Brasilien innerhalb der BRICS bei den europäischen Partnern eine gewisse Befremdung hervorruft“, sagt Politikwissenschaftler Paulo Velasco von der Universität Rio de Janeiro (UERJ) im Gespräch mit WELT. Lula müsse nun versuchen, den politischen Ton innerhalb der BRICS zu mäßigen, um weniger den Eindruck eines antiwestlichen Blocks zu vermitteln, sagt Velasco.
Genau das tut Lula aber nicht und nimmt sich damit auch eine mögliche Rolle als Brückenbauer in internationalen Konflikten. Seit Beginn des Ukraine-Krieges zeigte der Brasilianer deutlich mehr Sympathien für Moskaus Position als für die Selbstverteidigung der Ukraine. Den Überfall der Hamas auf Israel verurteilte er nur halbherzig, wirft umgekehrt Israel aber einen Völkermord an den Palästinensern vor. Sowohl in der Ukraine als auch in Israel ist Lula damit als Vermittler „verbrannt“.
Auch Lulas Ruf in manchen westlichen Medien als Klimaretter und Regenwaldschützer ist inzwischen ramponiert. Denn auch in seiner dritten Amtszeit tut er das, was er bereits von 2002 bis 2010 tat: Die Exporte von Soja nach China weiter auszubauen. Die überwiegend als Tierfutter genutzte Pflanze wird auf vor allem auf jenen gigantischen Flächen angebaut, die im Amazonas-Regenwald abgeholzt wurden.
Lula und Milei brauchen sich
Dass Lula nun auch noch im Mündungsbecken des Amazonas nach Erdöl bohren lassen will, brachte selbst die ihm eigentlich wohl gesonnene katholische Kirche und die prominentesten Indigenen-Vertreter auf. „Fossile Brennstoffe gehören der Vergangenheit an. Die Zukunft muss mit sauberer und erneuerbarer Energie versorgt werden“, heißt es in einer in diesen Tagen veröffentlichten gemeinsamen Erklärung von Bischofskonferenzen aus dem Globalen Süden, an deren Ausarbeitung auch brasilianische Kirchenvertreter teilnahmen.
Der Versuch von indigenen Organisationen, das Thema auf die Tagesordnung der kommenden Weltklimakonferenz COP30 im brasilianischen Belem zu setzen, scheiterte am Widerstand der Regierung in Brasilia. Nun planen die indigenen Gruppen Proteste, um den Rest der Welt auf das umstrittene Vorhaben aufmerksam zu machen. In Belem droht Lulas Maske als Umweltschützer dann endgültig zu fallen.
Was der Präsident derzeit also dringend braucht, sind Verhandlungserfolge auf internationalem Parkett. Und da kommt wieder der argentinische Präsident Javier Milei ins Spiel. Die beiden politischen Intimfeinde sind derzeit stärker aufeinander angewiesen, als sie es sich selbst eingestehen möchten. Milei benötigt gute Handelsbeziehungen zum Nachbarn, um seinen knallharten Reformkurs der wirtschaftlichen Gesundung voranzutreiben, und Lula da Silva gelang zuletzt auf internationaler Bühne wenig bis gar nichts.
Ein erfolgreicher Abschluss des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens käme da beiden gerade recht. Hier sind sich die zwei Streithähne im Süden Lateinamerikas ausnahmsweise auch einmal einig. Und so gab es zum Abschluss des Mercosur-Gipfels (Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay) erstmals eine kleine Umarmung der beiden Präsidenten – und Applaus der sichtbar erleichterten Augenzeugen.
Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.
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