Jürgen Trittin, 70, war rund 25 Jahre lang Bundestagsabgeordneter der Grünen, sein Mandat legte er im Januar 2024 nieder. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag war er außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Von Oktober 1998 bis November 2005 war er Bundesumweltminister.
Politico: Herr Trittin, was bleibt von Annalena Baerbock?
Jürgen Trittin: Ohne Annalena Baerbock hätte Deutschland bis heute keine Nationale Sicherheitsstrategie. Und ohne Annalena Baerbock würden wir auch weiterhin mit der Naivität, dass Handel Wandel schafft, mit China umgehen. Insofern hat sie Deutschland krisenfester gemacht, und dazu beigetragen hat ihr Realismus, den sie immer an den Tag gelegt hat, über die Interessen, die Ambitionen und die imperialistische oder revisionistische Politik von Putin. Das haben ja einige, sowohl in CDU wie SPD, bis heute nicht verstanden.
Politico: Andererseits ist sie auch für die feministische Außenpolitik bekannt geworden, die vielleicht eine gute Idee sein mag, aber die so ein bisschen als das wahrgenommen wurde, was die Weltlage nicht so richtig widerspiegelt.
Trittin: Die männlich-chauvinistische Welt der klassischen Sicherheitspolitik hat sich gerne darüber das Maul zerrissen, hat aber nie verstanden, was ein erweiterter Sicherheitsbegriff bedeutet. Ein erweiterter Sicherheitsbegriff beinhaltet Krisenfaktoren wie beispielsweise Klimawandel, wie den Zerfall von Gesellschaften. Und gerade wenn wir den Zerfall von Gesellschaften betrachten, stellen wir fest, dass die Anwendung sexualisierter Gewalt, insbesondere gegen Frauen, heute zu einem globalen Kriegsmittel geworden ist. Und dieses auch in den Mittelpunkt der Außenpolitik zu stellen, war klug.
Politico: Dann war es falsch kommuniziert. Es ist immer wieder Kritik geäußert worden.
Trittin: Die Misogynie der deutschen Politik hat gemeint, man könne sich über dieses sehr ernste Thema lustig machen. Ich habe das nie ganz verstanden. Aber noch mal: Darüber wird oft vergessen, was sie an harter Sicherheitspolitik mit der Verabschiedung der Nationalen Sicherheitsstrategie als Dachstrategie und beispielsweise der China-Strategie auf den Weg gebracht hat. Das hat vor ihr keine Regierung hinbekommen. Es mussten Grüne kommen, um Deutschland auf den Stand zu bringen, auf dem die USA schon seit 40 Jahren sind.
Politico: Annalena Baerbock ist ja die Außenministerin geworden, die Sie – als männlicher Außenminister – nie sein durften. Hat Sie das geärgert?
Trittin: Nein, ich habe meine Tätigkeit als außenpolitischer Sprecher so verstanden, dass wir dazu da waren, unserer Außenministerin Annalena Baerbock den Rücken freizuhalten. Ich habe auf der ersten Klausur meiner AG (Arbeitsgruppe, d. Red.) gesagt: Wir sind die Infanterie von Annalena, und wir wissen, wo Infanterie herkommt. Das war die Leibgarde der spanischen Thronfolger.
Politico: Sehr kriegerisches Bild für einen Grünen, wenn ich das anmerken darf. Finden Sie es richtig, dass sie jetzt den Uno-Job übernimmt?
Trittin: Ich glaube, dass es eine gute Entscheidung für Deutschland ist. Es ist richtig und wichtig, dort jemanden mit dem protokollarischen Status einer Außenministerin zu haben. Immerhin wird sie dafür zuständig sein, die Redereihenfolge, die Aufrufe von so fragwürdigen, aber auch bekannten Menschen wie Putin, gegebenenfalls Trump, aber eben auch von Führern des demokratischen Südens wie beispielsweise Lula (Brasiliens Präsident, d. Red.) auf den Weg zu bringen. Das ist gut, dass das Deutschland, eine Außenministerin, eine ehemalige, macht.
Politico: Kurz zum Schluss. Glauben Sie, sie kommt noch mal zurück in den Bundestag?
Trittin: Das müssen Sie sie fragen. Ich glaube, dass sie eine der großen politischen Begabungen der Grünen ist und würde mir wünschen, dass sie noch eine politische Zukunft hat.
Das Interview stammt aus dem „Berlin Playbook“-Podcast. Es wurde aus Gründen der Verständlichkeit und Leserlichkeit editiert. Das „Playbook“ von „Politico“ Deutschland finden Sie hier. Gordon Repinski ist Executive Editor „Politico“ Deutschland.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.