An diesem heißen Sonntagnachmittag im südfranzösischen Arles trägt Rachida Dati einen schwarzen Anzug und tut so, als wäre sie die Einzige, die nicht ins Schwitzen kommt. Sie spielt ihre Rolle perfekt. Noch am Vormittag war Frankreichs Kulturministerin in Aix-en-Provence für eine Hommage an Pierre Audi, den überraschend verstorbenen Direktor des Opernfestivals der südfranzösischen Stadt.
Jetzt eilt sie im Schnellschritt durch eine Handvoll der über vierzig Ausstellungen des diesjährigen Fotofestivals. Sie plaudert mit Frauen in Trachtenkleidern, sie gibt ein Interview im Kreuzgang des Klosters Saint-Trophime, sie kündigt ein Museumsprojekt an.
Bei solchen offiziellen Terminen zeigt sich Dati von ihrer freundlichen Seite. Sie hat auch eine andere, eine böse, aggressive. Sie ist schlagfertig, aber auch angriffslustig. Wie ein Pitbull verbeißt sie sich in ihre Gegner, andere vergleichen sie mit einem Bulldozer, der politische Widersacher einfach überrollt.
Disruptiv, provokant, oft vulgär
Auch mit der Wahrheit sieht es Dati nicht so eng. Manche behaupten, sie sei intrigant und korrupt, ein weiblicher Donald Trump à la française, dieselbe Chuzpe, immer disruptiv, provokant, oft vulgär, die Politik als Bühne der Selbstinszenierung und Mittel der Selbstbereicherung begreifend.
Mit dieser Strategie hat es Dati unter Nicolas Sarkozy zur Justizministerin, dann zur Europaabgeordneten gebracht. Nebenbei wurde sie zur Bürgermeisterin des 7. Arrondissements von Paris, dem Bezirk mit den besten und teuersten Adressen der Hauptstadt. Eine wahre Bilderbuchkarriere, für die sie regelmäßig den Trumpf des Migrantenkinds mit arabischen Wurzeln ausgespielt hat.
Dati wurde 1965 als zweites von elf Kindern geboren. Die Eltern beide Analphabeten. Der Vater war aus Marokko eingewandert, die Mutter aus Algerien. Er Maurer, sie Hausfrau. Doch Rachida besuchte eine katholische Schule, studierte Jura und finanzierte sich das Studium durch Nebenjobs.
Bei einem Besuch in der Banlieue erkannte der damalige Innenminister Sarkozy ihr Talent und machte sie erst zur Beraterin, dann zur ersten Ministerin mit arabischen Wurzeln. Dati wurde zum Symbol des neuen Frankreich, das als bunte Mannschaft, black, blanc, beur, 1998 die Fußballweltmeisterschaft gewonnen hatte. Eine Republik, in der Herkunft oder Hautfarbe nicht zählten, sondern einzig die Verdienste – ein schöner Traum.
Aber Dati will hoch hinaus, sie ist noch nicht an ihrem Ziel angelangt. Nach zehn Jahren rot-grüner Regierung will die konservative Politikerin die Sozialistin Anne Hidalgo bei den Kommunalwahlen im nächsten Jahr beerben und ihre Anti-Autopolitik rückgängig machen. Das Rathaus hat sich aber auch als Sprungbrett in den Élysée-Palast erwiesen, von dem Hidalgo ebenfalls kurz geträumt hat, bis sie 2022 mit mickrigen 1,7 Prozent schon in der Vorwahl ausschied.
Im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen blieb Dati ihrer Partei, Les Républicains (LR), bis vor Kurzem treu. Für Überläufer, die zu Emmanuel Macron wechselten, hatte sie kein Verständnis. Seine Partei bezeichnete sie als „Verräter der Linken und Verräter der Rechten“. Als Macron sie aber im Januar 2024 in die Regierung holen wollte, machte sie kurz entschlossen einen Deal mit ihm: Sie erhielt einen Ministerposten, im Gegenzug verpflichtete sich Macron, für das Rathaus von Paris keinen Gegenkandidaten aus der konservativen Mitte aufzustellen.
Obwohl sie aus ihrer alten Partei ausgeschlossen wurde, beteuerte sie, den Konservativen die Treue zu halten. „Ich bin sicher, dass wir Paris gewinnen können“, sagte sie in einem Video-Call mit den Pariser Bezirksbürgermeistern von LR, die die Welt nicht mehr verstanden. Manche waren so verärgert, dass sie die Aufzeichnung Journalisten zusteckten.
Macron hat Dati geholt, weil ihm das Personal ausgegangen ist und er sich mit der Bling-Bling-Ministerin, die sich in Umfragen immer überraschend großer Beliebtheit erfreut, schmücken kann. Allerdings darf man diesen Schachzug auch als Offenbarungseid des Macronismus lesen. Dieser hatte zu Beginn seiner ersten Amtszeit die „makellose Republik“ versprochen. Nach etlichen Skandalen scheint es aber auf einen weiteren auch nicht mehr anzukommen.
Denn im Herbst droht Macrons Kulturministerin ein erster Strafprozess wegen Veruntreuung, Einflussnahme und Korruption. Es geht um jährlich 300.000 Euro, die Dati neben ihrer Entlohnung als Europaabgeordnete von der niederländischen Niederlassung von Renault erhielt, ohne dass sie bislang nachweisen konnte, was sie dafür getan hat.
Insgesamt geht es um fast eine Million Euro – womöglich „einer der größten Skandale im EU-Parlament“, so die Formulierung ihres ehemaligen Abgeordneten-Kollegen Daniel Freund, der die Korruption bekämpft. Wie Marine Le Pen könnte auch Dati ihr Recht verlieren, bei Wahlen anzutreten.
Es geht auch um Schmuck im Wert von knapp einer halben Million Euro, den sie bei ihrem Amtsantritt als Ministerin nicht angegeben hat. Gegenüber der Transparenzbehörde hat sie lediglich ihr Vermögen im Wert von 5,6 Millionen Euro angegeben, das in Immobilien und Finanzprodukten angelegt ist.
Heraus kam die Schmuckaffäre nur anlässlich des Rosenkriegs mit ihrem ehemaligen Lebensgefährten Henri Proglio‚ Ex-Manager der Konzerne EDF und Veolia. Nachdem die Polizei den Banksafe seines Chauffeurs durchsucht hatte, steckte Proglio den Medien eine Liste der Schmuckstücke zu, die er Dati in den sieben Jahren ihrer Beziehung geschenkt hatte, darunter ein Cartier-Ring im Wert von 68.500 Euro.
Dati scheut die Presse nicht
Als Dati kürzlich in einer Talkshow zu den Korruptionsvorwürfen befragt wurde, ging sie wie gewohnt in die Offensive und griff den Journalisten persönlich an, der sie interviewte. „Ich könnte die Staatsanwaltschaft einschalten“, drohte sie. Im Nachklang der Sendung forderte Dati den „Skalp“ der Intendantin, wie sie sich nach Informationen der investigativen Wochenzeitung „Le canard enchaîné“ ausdrückte. Dazu ist sie nicht einmal als Ministerin befugt. Aber so betreibt Dati Politik: kompromisslos und ihre Kompetenzen überschreitend.
Auch in dieser Hinsicht ähnelt sie Trump: Die Medien hofieren sie, aber sie hasst die Medien. Als Kulturministerin ist sie allerdings auch für diese zuständig. Doch als sie am Montag vergangener Woche eine umstrittene Reform des öffentlichen Fernsehens und Rundfunks durch die Nationalversammlung bringen wollte, lehnte die Opposition den Gesetzesentwurf im Schnellverfahren ab.
Jetzt setzt sie alles daran, dass die Reform noch vor der Sommerpause durch den Senat geht. Dati, das Einwandererkind, hat das Talent, selbst Niederlagen wie Siege aussehen zu lassen. „Es gibt keine Alternative zu dieser Reform“, sagte sie, was einer Kriegserklärung an die öffentlichen Sender gleichkommt, die in jüngster Zeit immer wieder gestreikt haben. Zwischen den Zeilen darf man lesen: „Ich werde diesen Krieg gewinnen.“ Und dafür ist ihr jedes Mittel recht.
Martina Meister berichtet im Auftrag von WELT seit 2015 als freie Korrespondentin in Paris über die französische Politik.
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